War diese Zeitung früher besser? Eine deutliche Antwort gibt mir Herr R.S., der darauf verweist, sie seit seinem Studium in den Sechziger Jahren zu lesen. So erinnert er an Adolf Köster, der damals noch lesenswerte Leitartikel im Volksblatt geschrieben habe, an Hans Heer, der ebenfalls im Volksblatt aussagestarke Bilder geliefert habe. Und an Hans Behr von der Main-Post, der mit spitzer Feder professionelle Würzburger Nachrichten geliefert habe. Das vermisst er heute.
Leser R.S.: Inhalt, so peinlich und dünn wie das Papier
Auch ansprechende Theaterkritiken habe es zu jener Zeit gegeben, als diese Zeitung noch Niveau gehabt habe, resümiert ein nunmehr enttäuschter R.S.. Peinlich und so dünn wie das Papier, so gerate in letzter Zeit nämlich ihr Inhalt. Das erkenne er auch an "überdimensionalen Bildern". Immerhin räumt der Leser noch ein, das könne Folge von wirtschaftlichem Druck sein.
Die Nostalgie von R.S., die erreicht auch mich. Denn seit 1971 wirke ich an dieser Zeitung mit. Die gelobten Redakteure, die habe ich noch persönlich als Kollegen gekannt. Selbst wenn es mich nun sehr betrübt, wie düster Herr R.S. das Heute für diese Zeitung zeichnet: als seine Meinung respektiere ich auch das.
Wahr bleibt jedoch auch: Beiträge von Kolleginnen und Kollegen, auch die der genannten, fanden zu ihrer Zeit ebenfalls Kritiker. Vergleiche mit früher gab es allemal. Die Ausnahme: Für Hans Heers kreative Fotos fielen sogar die meist positiv aus.
Kommunikation und Technik im gravierenden Wandel
Angekommen in den Zwanzigern der Gegenwart, unterscheidet sich meine Leseranwalt-Perspektive auf die Tageszeitung von der des Lesers R.S. besonders. Denn es ist doch nicht nur für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Mediums erlebbar: Die Kommunikation und ihre technischen Wege haben sich seit den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts weltweit gravierend verändert, dabei haben sich die Übermittlung und die Präsentationen von Nachrichten und Kommentierungen extrem beschleunigt.
Tageszeitungen konnten sich dem Wandel in den letzten Jahrzehnten schon ob schwierig gewordener wirtschaftlicher Bedingungen nie entziehen. Nun bewegen sie sich vorsichtig in das Feld der künstlichen Intelligenz (KI) hinein. Auf der Höhe der Zeit zu bleiben, ist für sie existenziell. Oft war das hier mein Thema.
Abbestellen? Was wirklich betroffen macht
So maile ich dem unzufriedenen Leser als Antwort auf dessen abschließende, nun in seine familiäre Zukunft gerichteten Ansagen zurück: ""Lieber Herr R.S., trotz Ihrer Enttäuschung wollen Sie diese Zeitung behalten. Meine Freude darüber verliert sich allerdings, weil Sie zugleich ankündigen: 'Auf der To-do-Liste für meine Kinder steht ganz oben: Main-Post abbestellen!'"
Dass dieser Abschied von der Tageszeitung ohne solches Zutun passieren kann, sagen leider Statistiken. Sogar die Marktforschung des Zeitungsmarketings (ZMG) erkennt ihre weiter alternde Leserschaft. Wirklich betroffen macht aber R.S. damit, dass er erwachsen gewordenen Kindern noch auflisten will, was sie zu tun haben. Wo bleibt da sein Vertrauen?
Dabei übersieht er überdies hohe Werte. Erstens, dass lokale Tageszeitungen, dort wo es sie auch noch in Papier gibt, Demokratie und Freiheit stützen. Probleme für die politische Teilhabe der Menschen wachsen, wenn lokale journalistische Medien wie in Regionen der USA ganz verschwunden sind.
Zweitens: Eine wehrhafte demokratische Gesellschaft wird stärker durch seriös informierte Menschen, die darin eigenverantwortlich interagieren können. Die Grundlagen dafür müssten in Elternhaus, Schule und sozialer Umgebung gelegt worden sein. Darauf sollte nicht nur Herr R.S. vertrauen können.
Ich gebe mein über sechs Jahrzehnte gewachsenes Vertrauen weiter
Was einstige Kollegen wie Köster, Heer und Behr, die nicht mehr unter uns weilen, heute sagen würden, das weiß ich nicht. Ich bin aber so frei und gebe mein über sechs Jahrzehnte gewachsenes Vertrauen in das stets erkennbare Streben nach journalistischer Wahrhaftigkeit weiter.
Ich empfehle, informieren Sie sich aus dieser Zeitung mit ihren erkennbaren Stärken und Schwächen. Das gilt online oder gedruckt, solange es sich noch in Papier gibt. Und dabei gilt für alle ihre Erscheinungsformen weiterhin wie schon immer: Die Zeitung muss besser werden!
Lesen Sie, was der Journalistik-Professor Klaus Meier von er Katholischen Universtität Eichstätt-Ingolstadt zur Zukunft der Zeitungen schon im März 2019 veröffentlicht hat. Er geht dabei auch auf den Weg der Main-Post ein: Sie stecke den Schwerpunkt ihrer redaktionellen Tätigkeit in "profilgebende, exklusive Themen mit lokalem Bezug und Mehrwert für viele lokale Leser".
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu Entwicklung der Zeitung:
Feb. 2010: "Wachhunde der Demokratie mit Verfassungsrang"
Mai 2010: "Demokratie verpflichtet kommunale Parlamente zu öffentlichen Beratungen und Abstimmungen"
Feb. 2016: "Journalistische Wahrhaftigkeit wiegt schwerer als eine Tendenz"
April 2021: "Warum Werbung für eine Zeitung so wichtig ist"
Dez. 2022: "Wenn ein Leser die halbe Anzeigenseite vor dem Titel kritisiert"
Mai 2022: "Warum Leserinnen und Leser in eigener Sache für Zeitungen werben sollten"
Dez. 2023: "Digitale Angebote sollten auch Leser mit der Zeitung in der Hand beruhigen"
Juni 2024: "Wenn die Lokalzeitung vor Ort weniger Stimmen für die AfD bedeutet"