Manches Mal wünsche ich mir, dass sich Redakteure etwas mehr als Anwälte ihrer Leser sehen. Auch das wäre im Sinne ihres Auftrages. Das heißt gelegentlich, Lesern verständnisvoll entgegenkommen – gerade dann, wenn man sich im Recht fühlt. Das schafft Vertrauen.
Ein gutes Beispiel entnehme ich dem Archiv des Deutschen Presserates. Eine Zeitung hatte einen Meinungsartikel unter der Überschrift „Nackte Kokeljockel“ veröffentlicht. Eine „Brandrede“ gegen Feuerwehrmänner, darin unter anderem als „Komplettversager“ bezeichnet. Dreizehn Leser haben sich darüber beschwert. Frauen und Männer, die sich in der Feuerwehr engagieren, seien verunglimpft. Als Satire wurde der Artikel von einigen nicht erkannt, obwohl als solche gedacht.
Der Autor hat sich trotzdem entschuldigt
Der Presserat erkannte jedoch eine zulässige Satire und sah wie der Justiziar der Zeitung keinen Verstoß gegen publizistische Grundsätze. Gerade die Überzeichnung vermeintlicher negativer Eigenschaften von Feuerwehrleuten habe darauf aufmerksam gemacht, dass sie eine wichtige Stütze der Gesellschaft darstellen, die nicht genug bezahlt und gewürdigt werde (AZ 0359/19/2).
Dennoch, der Autor entschuldigte sich. Er habe seine Worte überdacht und stelle fest, dass sein Text als komische Spekulation und polemische Übertreibung versage. Vor dem Kollegen ziehe ich meinen Hut.
Ein Begriff für Geldmittel und Sachmittel
Demgegenüber missfällt mir ein Beispiel aus dieser Zeitung. Es hat mich zu diesen Zeilen veranlasst. Einer Kommunalpolitikerin war auf einer Lokalseite in einer Überschriftenzeile vorgeworfen worden, sie habe mit „Mitteln“ eines gemeinnützigen Verbandes für ihren Wahlkampf geworben. Dass es sich dabei nicht um "Geldmittel" gehandelt hat, sondern um "Sachmittel" wurde im Text erkennbar. Aber eine journalistisch saubere Trennung sei durch die Zweitüberschrift nicht gegeben, kritisierte ein Leserbriefschreiber.
Wer nicht bis zum Ende gelesen hat, bei dem könnte, meine auch ich, tatsächlich ein falscher Eindruck hängen geblieben sein. Denn selbst Journalisten verwenden gelegentlich für Geldbeträge, die bei Projekten eingesetzt werden, den Begriff „Mittel“.
Freude über bessere Beispiele
Diese Möglichkeit sah die Redaktion nicht: Sie merkte an, an keiner Stelle unterstellt zu haben, dass die Politikerin Geldmittel verwendete. Der Begriff „Mittel“ sei zulässigerweise weiter gefasst worden und auf Sachmittel bezogen, namentlich auf Schreiben mit Briefkopf und Facebookseite des Verbandes.
Nein, es liegt wirklich keine Fehlleistung vor, vielleicht aber eine Schwäche. Hätte man doch einräumen können, dass ein falscher Eindruck entstehen konnte. Das wäre souverän gewesen, meint ein Leseranwalt, der sich schon über bessere Beispiele gefreut hat.
Hier zum Beitrag aus dem Archiv der Presserates: "Brandrede gegen Kokeljockel"
Frühere, ähnliche Leseranwalt-Kolumne: "Warum für den Leseranwalt alle Leser wie Mandanten sind" (2011)
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de