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Leseranwalt: Leseranwalt: Redaktionen sollten in Ausnahmefällen handschriftliche Leserbriefe abtippen und veröffentlichen

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Leseranwalt: Redaktionen sollten in Ausnahmefällen handschriftliche Leserbriefe abtippen und veröffentlichen

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    Handschriftliche Leserbriefe sind sehr selten geworden. Sollen sie veröffentlich werden, müssen sie noch für die digitale Zeitungstechnik erfasst werden.
    Handschriftliche Leserbriefe sind sehr selten geworden. Sollen sie veröffentlich werden, müssen sie noch für die digitale Zeitungstechnik erfasst werden. Foto:  Repro Sahlender

    Prallen Gestern und Heute aufeinander, ist Verständigung nicht leicht. Handschriftlich, aber lesbar, beklagt sich bei mir ein Leser: "Nach Einsenden eines Leserbriefes, wurde mir mitgeteilt, dass handschriftliche Briefe nicht bearbeitet werden."

    Dazu kam noch eine telefonische Absage, die den Schreiber erzürnt hat. Besitze er doch "weder Computer noch Ähnliches". Und er meint, an digitalisierte und transformierte Redaktionen gewandt, dass in weniger als fünf Minuten sein Schreiben abgetippt gewesen wäre.

    Voraussetzungen für Leserbriefe wurden nicht erfüllt

    Die Redaktion hat aber nichts abgetippt, weil der Brief erstens nicht die Voraussetzungen für Veröffentlichungen erfüllt hat (kein Bezug auf Zeitungsartikel) und weil zweitens für sie die interne Regel gilt: "Handschriftliche Leserbriefe werden nur noch in begründeten Ausnahmefällen erfasst." Dazu kommt die Aufforderung an die Redaktion: "In unserer Kommunikation an die Leserinnen und Leser weisen wir an geeigneter Stelle immer wieder darauf hin, dass wir Leserbriefe als Mail erwarten."

    Mag sein, dass da im vorliegenden Fall etwas schiefgelaufen ist. Vorbeugend habe ich hier diese Regelung nochmal transparent gemacht.

    Schreiber meint Geringschätzung zu erkennen

    Jedenfalls traf die Gewohnheit eines Lesers, alles mit Kugelschreiber zu Papier zu bringen, in der durchdigitalisierten Welt dieses Zeitungshauses auf eine längst vollzogene notwendige Veränderung: Stellen für Text-Erfassungen wurden eingespart, weil es irgendwann kaum noch handschriftliche Texte gegeben hat und auch Schreibmaschinen-Beiträge ausgeblieben sind.

    Der verärgerte Schreiber meint nun aber, erklärenden Gesprächen mit der Redaktion zur Ablehnung seines Textes eine Geringschätzung für Mitbürger mit einfacher Schulbildung entnehmen zu können. Er fürchtet, bildungsferne Schichten würden in der Teilnahme an öffentlicher Meinungsfindung beschnitten.

    Darin erkenne ich ein schlimmes Missverständnis, das die demokratische Rolle von Tageszeitungen trifft. Für dieses Medium habe ich ihm in einem Antwortbrief versichert, dass journalistische Gleichbehandlung ohne Rücksicht auf Herkunft, Bildung oder Diversität gelte und gerade schwache Mitglieder der Gesellschaft die Aufmerksamkeit der Presse verdienen. Und dazu gehören aus meiner Sicht oft die ganz wenigen Personen, die ihren Schriftverkehr noch handschriftlich erledigen. Ich gebe zu, ich habe eine Schwäche für solche Leute, die wie viele Zeitungsleserinnen und -leser wohl meist ein Seniorenalter erreicht haben.

    Folgen der Entscheidungen wider fortschrittliche Techniken

    So halte ich in meiner Antwort an den verärgerten Leser auch fest: Texte, die eigenhändig mit Kugelschreibern oder sonstigen Stiften zu Papier gebracht wurden, sind weder ein Hinweis auf gute Bildung, noch auf schlechte. Es gibt zwar Graphologen, die da mehr hineindeuten, aber bei nüchterner Betrachtung lässt sich bestenfalls erkennen, dass sich die Schreiber entschieden haben, nicht an gewissen technischen Veränderungen teilzunehmen. Auch nicht daran, dass Zeitungen in hohem Maße auch digital gelesen werden.

    Dafür mögen sie Gründe haben, die zu respektieren sind. Aber die meist unabänderlichen Folgen von solchen Entscheidungen wider fortschrittliche Techniken sollten sie dann natürlich auch kennen und damit umgehen können. Wer auf einem Schiff über den Ozean nach New York segelt, weiß schließlich auch, dass Flugpassagiere deutlich schneller ankommen.

    Niemand sollte von der Teilhabe an demokratischen Diskursen ausgeschlossen werden

    Trotz dieses bemühten Vergleichs, betone ich aber gerade für den Journalismus: Wenn handschriftliche Texte alle Voraussetzungen für Leserbriefe erfüllen, sollte das genug Begründung sein, sie ins Digitale zu übertragen. Für solche Schreiben nehmen sich gewiss auch Redakteurinnen und Redakteure ausnahmsweise mal fünf Minuten fürs Abtippen, wenn sich sonst niemand findet. In diesen seltenen Einzelfällen sollte die Ausnahme die Regel sein.

    Das wäre ganz im Sinne der Teilhabe aller an demokratischen Diskursen. Davon sollte gerade in Zeitungen niemand ausgeschlossen werden. Dass ich mit diesem journalistischen Denken nicht alleine stehe, zeigen mir beim Thema "handschriftliche Briefe" auch Stimmen aus anderen Redaktionen. Wert auf digitale Einsendungen legen allerdings alle.

    Und in den Leitlinien der Main-Post Redaktionen findet sich unter anderem die hilfreiche Ansage: "Die Publikationen der Mediengruppe Main-Post fühlen sich den Menschen der Region verpflichtet. Sie informieren, tragen durch eigene Meinung zur Meinungsbildung bei, bieten Lebenshilfe und Service..."

    Wenn Handschriftliches auch Wertschätzung signalisieren kann

    Auch unserem Schreiber, den ich wie alle Gleichgesinnten zu einem ersten kleinen Schritt ins Digitale ermuntere, bleibt ein erster Erfolg. Das Thema seines Briefes hat sich nämlich alleine beim Lesen seiner Handschrift übertragen: in die Köpfe und damit in die Planungen der Lokalredaktion.

    Jedoch sollte nun niemand für diese Zeitung, aber auch nicht amtlich oder geschäftlich, über Unterschriften hinaus wieder seinen Füllfederhalter mobilisieren. Wenn doch, dann vielleicht für Worte an seine Nächsten, die ich im übrigen selbst gerne per Hand zu Papier bringe. In unserer digitalen Welt kann Handschriftliches im Privatleben schließlich auch noch Wertschätzung signalisieren. 

    Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

    Dazu auch:

    2012: "Finden Sie den Fehler! Saubere Handschrift macht Lesen nicht zur 'Kernerarbeit'"

    2012: "Von zielführenden Kritiken der Leser zu stilvollen Entschuldigungen der Redaktion"

    2015: "Ein Lebenselement: Die Leserbriefschreiber"

    2018: "Leserbriefe stärken den demokratischen Diskurs"

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