Hohe christliche Festtage wollen sich Gläubige durch nichts entweihen lassen. Auch nicht durch Veröffentlichungen in ihrer Tageszeitung. Von christlichen Sensibilitäten erfährt deshalb zuweilen die Redaktion in kritischen Zuschriften. Wiederholt habe ich danach Stellung genommen und tue es nach Pfingsten wieder.
Die selbstbezeichneten Werte der Volkszeitung
Empfindet doch Leser H.B. tiefe Verachtung für die Karikatur auf der Meinungsseite in der Pfingstausgabe vom 4. Juni 2022. Ein Cartoon, "der den auf dem Sch…haus sitzenden Viktor Orban" zeigt – und das, wie H.B. mir schreibt, nicht nur wegen seiner Gedanken zu Pfingsten. Beschämend sei das Bild ob der "selbstbezeichneten Werte" seiner Zeitung, der Schweinfurter Volkszeitung.
Ein feiner Unterschied aus vergangenen Zeiten
Zur Erklärung: Die Volkszeitung erscheint in den Teilen weitgehend deckungsgleich mit allen Titeln aus dieser Redaktion. Alleine dem Titelkopf der Volkszeitung ist aber "christlich, kritisch, unabhängig" hinzugefügt. Im Impressum der anderen Ausgaben ist "unabhängig, überparteilich" angegeben. Ein feiner Unterschied, der aus Zeiten mitgenommen ist, in denen die Volkszeitung noch selbstständig war.
"Wir sind uns der unterschiedlichen Wirkungen auf unsere Leser bewusst"
Die gemeinsamen Werte aller Titel finden sich in Leitlinien der Redaktionen. Da steht bei den "Zentralen Grundlagen der journalistischen Arbeit, Punkt 8, unter 'Rücksichtnahme auf Leserinnen und Leser'" der Satz: "Wir sind uns dabei der unterschiedlichen Wirkungen auf unsere Leser bewusst und tragen dem in geeigneter Weise Rechnung."
Außerdem ist in Teil II unter Erläuterungen, Schutz der Ehre, festgehalten: "Die Publikationen der Mediengruppe Main-Post verzichten darauf, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen zu schmähen." Das sind zweifellos Punkte, die Spielräume zulassen und objektiv nicht leicht festzumachen sind.
Überzeugungen werden nicht geschmäht
Widerspricht das Sch…-Motiv (Verzeihung) diesen Leitlinien? Keinesfalls schmäht es die genannten Überzeugungen, auch nicht die religiösen. Nichts religiöses (z.B. Kreuz) ist in dem politischen Cartoon angesprochen oder kritisiert. Sittlichen Werten sollte ein Orban auf dem Sitzklosett ob der satirischen Bedeutung ebenfalls standhalten. Es ist Kritik daran, wie der Ungar die Nachgiebigkeit der EU ausnutzt. Man kann darin aber auch einen Tadel an der EU sehen.
Tun zwei das Gleiche, ist es nicht Dasselbe
Tun jedoch zwei das Gleiche, ist es bekanntlich nicht Dasselbe. Zeigt ein stark politisch orientiertes nationales Blatt den Cartoon zu Pfingsten, ist er gewiss anders zu bewerten als in einer lokal verwurzelten Regionalzeitung. Zu vielen intermediären Verbreitern, bei denen sich sittliche Vorstellungen aufgelöst haben, ziehe ich lieber keinen Wirkungsvergleich. Zumal die Gebräuche im Internet gesellschaftlich gängige Moralvorstellungen ohnehin aufgeweicht haben. Das gilt eben nicht gleichermaßen für die Leserschaft der Main-Post-Titel, der ja zu Pfingsten drei Tage aufliegt.
Gegensätzliche Nachbarschaft
Diese Regionalzeitung hat auf Seite 2 der Pfingstausgabe, auf der die kritisierte Orban-Darstellung erschienen ist, dem christlichen Fest mit den Gedanken eines Geistlichen ("Pfingsten ist, wenn Du mehr kannst, als Du kannst") Rechnung getragen. Die Nachbarschaft der gegensätzlichen Veröffentlichungen sollte auch für Christen zu ertragen sein. In Zeitungen muss eben so wie im Leben oft Böses neben Gutem oder Glück neben Unglück stehen.
Verzichtbarer Cartoon
Den Cartoon selbst bewerte ich als holzschnittartig, deftig, wenig pointiert und als verzichtbar. Ähnlich taxieren ihn auch Mitglieder der Redaktion. Das ist aber Geschmackssache. Satirische Motive sprechen Menschen eben besonders unterschiedlich an, folglich auch die Leserschaft. Dieser Tatsache muss sich die Redaktion laut ihren Leitlinie bewusst sein und ihr geeignet Rechnung tragen. Bei aller Rücksicht auf Gläubige: In diesem Fall gilt das nicht alleine deshalb, weil sie eine stärker christlich orientierte Ausgabe bedient. Geschmacksache ist es eben nicht nur zu Pfingsten, ob sie lieber ein anderes Motiv hätte auswählen sollen.
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Frühere ergänzende Leseranwalt-Kolumnen:
2014: "Kann man die Karikatur einer Weihnachtskrippe wirklich so gründlich missverstehen?"
2015: "Auch wenn Karikaturen fast alles dürfen, müssen nicht alle gelungen sein"
2015: "Warum es in der Redaktion selten nur eine Meinung geben kann"
2016: "Zulässige Satire für Sterbliche"