Wie, Wo, Wer, Was, Warum - solche "W-Fragen" seien ihm in der Zeitung seit langem ein Dorn im Auge, schreibt mir Leser C.W.. Er fühle sich dabei auf Grundschulaufsatz-Niveau versetzt, nach der Art "Wie Klein-Erna in den Ferien im Zoo war". Das gelte ebenso für W-Zwischentitel in den Texten, die Erwartungen weckten, aber nicht erfüllten.
Frage in der Überschrift - doch die Antwort ernüchtert
Von seriösem Journalismus erwartet Herr C.W., dass im Text auf die mit Frage-Pronomen eingeleitete Überschrift klar geantwortet wird . Er zitiert aus einem W-betitelten Artikel, erschienen am 19. Februar im Lokalteil Würzburg: "Warum die Inzidenz im Landkreis sprunghaft angestiegen ist". Ernüchternd steht in dessen Text: "Eine Erklärung für den sprunghaften Anstieg der Inzidenz im Landkreis Würzburg gibt es nicht". Da fühle er sich an der Nase herumgeführt.
Da kann ich Herrn C.W. verstehen. Ich kann es, obwohl die bekannten journalistischen W-Fragen, die Nachrichten immer beantworten sollten, im Text eigentlich beantwortet werden. Aber eben nicht die alles entscheidende Frage, welche die Redaktion unmissverständlich im Titel gestellt und sich damit selbst in die Pflicht genommen hat.
Genau das Gegenteil soll erreicht werden
Folglich gestehe ich ein: Die Erwartung, welche die Überschrift auslöst, wurde nicht erfüllt. Aber in die Irre soll niemand geführt werden, denn die Redaktion will mit den W-Titeln genau das Gegenteil erreichen. Wie und warum erkläre ich. Und so gerne mehr junge Menschen für die Zeitung gewonnen werden, von und für Klein-Erna sind die Fragen jedenfalls nicht gestellt.
Digitale Überschriften auf die Zeitung übergesprungen
Zunächst: Sollten W-Fragen in Überschriften in der gedruckten Zeitung tatsächlich zugenommen haben (ich führe keine Statistik), vermute ich, dass da der redaktionelle Umgang mit digitalen Beiträgen (auf mainpost.de) und deren Zielsetzung zu oft auf die Zeitung übergesprungen ist. Immerhin ist die digitale Transformation der Redaktion weit fortgeschritten und nicht beendet. Auf großen Zeitungsseiten erfüllen die W-Fragen jedoch nicht den Sinn, der ihnen aus guten Gründen online zugedacht werden muss.
Die Themen-Wegweiser im digitalen Angebot
Im digitalen Angebot der Zeitung sollen die Fragen vor allem für die große Zahl derer, die auf Mobilgeräten (Handys) lesen, zu Themen-Wegweisern werden. Die mobilen Nutzerinnen und Nutzer sehen auf den ihren kleinen Displays nämlich alleine den Titel eines Beitrags. Deshalb muss der schon einen wichtigen thematischen Aspekt fragend aufgreifen. Möglichst so, dass er noch neugierig macht.
Die Antwort sollte immer lohnen
Dieser gewünschte Effekt für Nutzerinnen und Nutzer tritt meist digital messbar ein, denn zielführende Worte optimieren bekanntlich Beiträge auch für Suchmaschinen. Glaubwürdigkeit wird allerdings digital und gedruckt gefährdet, wenn (wie eingangs geschildert) häufiger die versprochene Antwort ausbleiben sollte. Selbst wenn Schriftsteller Oscar Wilde meinte: "Fragen zu stellen lohnt sich immer - wenn es sich auch nicht immer lohnt, sie zu beantworten". Im Journalismus sollte die Antwort immer lohnen.
Der redaktionelle Anspruch für die Zeitung
Ja, auch eilige Zeitungsleser mögen es zuweilen als hilfreich empfinden, wenn nicht nur W-Betitelungen, sondern alle Überschriften sofort erkennen lassen, um was es im Artikel geht. Dennoch ist es redaktioneller Anspruch, zumindest nicht zu viele fragende Headlines in die Zeitung zu bringen, schon gar nicht auf eine Seite. Da gilt es, auch der Versuchung zu widerstehen, durch weniger Änderungen in Schlagzeilen knapp bemessene Zeit einzusparen. Zumal sich Leser schon öfter über zu viele fragende Schlagzeilen beklagt haben. Bei Fragezeichen schwingt immer der Faktor der Spekulation mit, heißt es im "Journalistikon", einem Wörterbuch für Journalistik.
Kreativität darf herausstechen
Allen kleinen Ernas und Hänschens, die noch mit der Zeitung groß geworden sind, wird's auch recht sein, wenn manch kreativer feuilletonistischer oder literarischer Titel heraussticht, selbst wenn der nicht direkt zielführend wirkt. Meist finden die sich deshalb so gut wie nie über Nachrichten, sondern meist über Satiren oder Glossen.
Nun hoffe ich, mit diesen Zeilen meine W-Überschrift auch in der Zeitung gerechtfertigt zu haben.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

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