Auch Meinungen zu politischen Beiträgen spiegeln zuweilen das aktuelle Ergebnis der Landtagswahl in Bayern und der Region wieder. Beispielhaft sichtbar wird das in kritischen Stimmen zu einem Bericht dieser Redaktion darüber, dass der Grünen-Abgeordnete Patrick Friedl der Forderung nach mehr Geld für den Wasserschutz in Unterfranken Nachdruck verliehen hat. Auch Erwartungen lassen sich aus den kritischen Reaktionen darauf herauslesen.
Wie wenig Frau H.S. im Online-Forum von dem Bericht hält, kann auch als eine Quintessenz aus den Kritiken gesehen werden: "Der Artikel ist überflüssig, man muss nicht jeden Senf abdrucken, den der Wahlverlierer Friedel (sic) von sich gibt." In der Sache bleibt für die Leserin somit nur ein Wahlverlierer übrig. Zum lebenswichtigen Thema "Wasserschutz in Unterfranken" ist ihr ein Gewürz eingefallen, das sie zur abwertenden Meinung degradiert hat.
Das aktuelle Wahlergebnis zeichnet sich in Kommentaren der Leserschaft ab
Ein einstiger Kollege hat in solchen Fällen die Redaktion gerne gewarnt: "Eine Zeitung kann nicht gegen die Mehrheit ihrer Leser anschreiben." Legt man seiner Logik das aktuelle Wahlergebnis zugrunde, müssten Nachrichten von "Grünen" und "Roten" hinter den eher konservativen, denen über und aus der CSU zurücktreten. Denn die Prozentverteilung bei den Parteien zeichnet sich wohl auch in der Leserschaft ab. Und Frau H.E. fordert wohl ob dieser hohen Wahrscheinlichkeit: Letztendlich solle "der Leser der Souverän sein!"
Die Unabhängigkeit der Redaktion kann nicht zurücktreten
Der Leser als Souverän, das klingt gut, muss aber deutlich eingeschränkt werden. Sonst müsste hinter diesem "Souverän" die Unabhängigkeit der Redaktion zurücktreten. Das geht nicht. Mit dem Verfassungsgrundsatz für das demokratische Wahlrecht, das den Bürger zum Souverän macht, kann nicht einfach das Grundrecht der Pressefreiheit eingeschränkt werden. Dieses steht dafür, dass Journalisten "demokratische Wachhunde" sein können, gerade gegenüber den Personen, die in verantwortungsvolle Ämter gewählt worden sind. Journalisten sind zudem Türöffner, für Stimmen von Minderheiten.
Entscheidung für den Bericht über ein wichtiges Thema der Daseinsvorsorge
Journalisten kreuzen an Wahltagen ebenfalls Parteien und deren Kandidaten an. Beruflich müssen sie jedoch unabhängig davon handeln. Das hat im vorliegenden Fall bedeutet: Wasserschutz liegt in öffentlichem Interesse, damit auch, wer diesem Interesse Nachdruck verliehen hat. Mit dieser richtigen Entscheidung für die Forderung zu einem zentralen Thema der Daseinsvorsorge kann es kaum Zweifel geben.
Das kann nicht von dem geläufigen Hinweis entkräftet werden, dass Journalisten nach Umfragen mehrheitlich eher politisch links eingeordnet werden. Die Bewertung von Veröffentlichungen sollte nicht mit Argumenten zum Autor, sondern zum Thema geführt werden.
Vertrauensverlust in die Medien - und was zu tun ist
Eine Schwächung der Berufsnorm der "Ausgewogenheit"gegenüber aktivistischer Berichterstattung werde dadurch verstärkt, dass der Berufsstand selbst politisch recht homogen sei, erklärt Prof. Dr. Christian Hoffmann von der Universität Leipzig in einer Veröffentlichung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Diese Kombination könne zu einem zunehmenden Vertrauensverlust in die Medien und zu einer zusätzlichen Polarisierung der Öffentlichkeit führen.
Mit Hoffmanns Untersuchungen befasste sich auch die Leipziger Volkszeitung. Sie arbeitete dabei u.a. heraus, was differenziertere Analysen, etwa des Instituts für Demoskopie Allensbach, zeigen: Die Unzufriedenheit des Publikums mit der medialen Berichterstattung ist stark auf jene Anliegen fokussiert, die eher rechtskonservativ orientierten Bürgern am Herzen liegen, wie Migration, Euro-Rettung oder Brexit. Gemäß der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen ist auch das Vertrauen in die Berichterstattung zur AfD in Deutschland schwach ausgeprägt.
Der Anspruch, den Leserinnen und Leser haben
Für Leserinnen und Leser als Kunden lassen sich natürlich Ansprüche ableiten, dazu gehört vor allem der Anspruch auf unabhängigen Journalismus. Dieser beinhaltet auch, dass sie selbst auch keinen Einfluss darauf nehmen dürfen, was Medien veröffentlichen und wie sie das tun. Eine Redaktion ist kein Konfektionsgeschäft, in dem möglichst alle Wünsche erfüllt werden.
Erwarten können Leserinnen und Leser, dass sie von Redaktionen gehört werden und ein konstruktiver Dialog stattfinden kann. Außerdem sollte ihnen eine Plattform zur Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Diskussionen geboten sein. Das bieten die meisten Medien schon oder streben es an, selbst wenn personelle Ressourcen in schwierigen Zeiten knapp geworden sind.
Wozu Medien beitragen müssen
Nach einem wenig sachlichen Landtagswahlkampf 2023 ist die öffentliche Kommunikation schwieriger geworden. Fronten haben sich verhärtet. Journalisten können sich bei dieser Entwicklung kaum aus der Verantwortung nehmen. Mit zugespitzten Kontroversen haben wohl auch sie Stimmungslagen zu oft belastet. Dabei sollte doch der konstruktive Streit gerade auch über umstrittene Themen eine funktionierende Demokratie kennzeichnen. Dazu müssen Medien beitragen - aber auch die Leserinnen und Leser können das mit ihren Reaktionen.
Erfahren Sie in diesem Kontext, warum die Main-Post ("Kommentieren nur noch mit Klarnamen") und auch die FAZ ihren Kommentarbereich umgestellt haben ("Der Ton ist rauer geworden").
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zum Thema:
Okt. 2023: "Herausforderung AfD: Warum Journalisten einen Wertemaßstab für den Umgang mit Parteien brauchen"
Okt. 2023: "Zum Wählen animiert durch Konfrontationen und andere Meinungen in der Zeitung"
Juli 2023: "Was eine Studie dazu sagt, ob Journalismus einseitig rot-grün oder eher konservativ ist"
Juni 2023: "Ein Leser wirft der Redaktion links-grüne Tendenzen vor"
2016: "Journalistische Wahrhaftigkeit wiegt schwerer als eine Tendenz"