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Würzburg: Leseranwalt: Was machen die Berichte über den Krieg mit Ihnen?

Würzburg

Leseranwalt: Was machen die Berichte über den Krieg mit Ihnen?

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    Wie lässt sich die Lebensrealität im Krieg abbilden? Unser Foto zeigt die 92-jährigen Tatiana Tichonovna vor einem zerstörten Wohnhaus in der Ukraine, in dem sie laut Berichterstattung 70 Jahre gelebt hat. 
    Wie lässt sich die Lebensrealität im Krieg abbilden? Unser Foto zeigt die 92-jährigen Tatiana Tichonovna vor einem zerstörten Wohnhaus in der Ukraine, in dem sie laut Berichterstattung 70 Jahre gelebt hat.  Foto: Michal Burza, dpa

    Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellen – geht das bei Berichten über Kriege? Antworten suchte das Bonn Institute (BI), eine gemeinnützige Einrichtung, die zusammen mit den Medien den Journalismus so verändern will, dass er morgen noch relevant sein kann. Wie kann man in Kriegszeiten noch viele Menschen mit wichtigen, faktenbasierten Informationen erreichen?

    Erst im Frühjahr warnte eine Untersuchung des Reuters Institutes und der Universität of Oxford, dass sich immer mehr Menschen vom Konsum der Berichte über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukrainer und Ukrainerinnen abwendeten. Man meint zu wissen, dass einer der Hauptgründe, warum Menschen Nachrichten meiden, die negativen Auswirkungen auf ihre Stimmung sind.

    Viele Menschen schränken Medienkonsum aus Selbstschutz ein

    Das war Grund für das BI in einer qualitativen Studie Tiefen-Interviews mit Mediennutzenden zu führen und sie zu Wahrnehmungen und Wünschen an Berichte über Kriege zu befragen. Titel: "Zwischen Wunsch und Wirklichkeit". Das Institute schreibt: "In Europa herrscht Krieg. Trotzdem vermeiden immer mehr Menschen den Nachrichtenkonsum. Dabei brauchen unsere Demokratien gerade jetzt eine informierte Öffentlichkeit. Was können Journalistinnen und Journalisten tun, um die Menschen auch in Kriegszeiten zu erreichen?" Über einen Einblick in Ergebnisse der Studie können Sie als Nutzerin oder Nutzer der Beiträge dieser Zeitung vielleicht auch ihre eigenen Wahrnehmungen und Befindlichkeiten erkennen.

    Die meisten der sechzehn unterschiedlichen Personen aus Deutschland, die das BI interviewte, beschreiben sich als interessiert an Nachrichten. Sie vertrauen überwiegend den Medienangeboten. Doch berichten fast alle von Belastungen und Hilflosigkeit, besonders beim Anblick von Kriegsbildern. Darüber schränken viele den Nachrichtenkonsum ein, meist als Schutz gegen psychischen Stress und nicht aus Desinteresse.

    Einige wünschen mehr Beiträge darüber, was für Frieden getan wird

    Deutlich wurden bei den Interviews Wünsche nach der Abbildung verschiedener Sichtweisen und Lebensrealitäten oder der Bewältigung täglicher Herausforderungen in Kriegsgebieten durch die Bevölkerung. Dabei sollten die Berichterstatter auf Augenhöhe mit Mediennutzern bleiben und in möglichst einfacher und verständlicher Sprache berichten. Transparenz für die dabei verwendeten Quellen ist ebenso wichtig. Denn bei Kriegsberichten steht Glaubwürdigkeit immer in Frage. Einige der Befragten, das halte ich für sehr wichtig, wünschen sich mehr Beiträge darüber, was für den Frieden getan wird und wie sie selbst helfen könnten. 

    Durchaus für möglich hält alle konstruktiven Ansätze die Hälfte der dazu befragten Journalistinnen und Journalisten aus unterschiedlichen Redaktionen, die selber aus Kriegsregionen berichten oder als Redakteure im Kontext dazu tätig sind. Etwa dann, wenn über Handlungsmöglichkeiten, historische Vergleichsfälle und persönliche Geschichten berichtet wird - ohne zu romantisieren. Unerlässlich sei aber ein direkter Austausch mit den Menschen vor Ort, schon um eigene blinde Flecken zu entdecken.

    Gute Beispiele aus Deutschland und englischsprachigen Medien

    Es gibt freilich hinderliche Umstände, welche die Journalisten und Journalistinnen als Gründe für Mängel nennen, etwa den Zeitdruck im Alltag oder eigene psychische Belastungen. Die aus Kriegsgebieten berichten, bekennen, es verändere die eigene Psyche immer wieder mit menschlichem Leid konfrontiert zu werden. Es bedürfe aber auch der Selbstreflexion einzelner Medienschaffender auf Voreingenommenheiten.

    Ich verweise jedoch viel lieber auf 40 vom BI gesammelte gute Beispiele aus Deutschland und englischsprachigen Medien. Und freue mich über Rückmeldungen, über Anmerkungen zu eigenen Befindlichkeiten, Wahrnehmungen und Antworten auf die Frage, was Kriegsberichte mit Ihnen machen. Daraus können auch Sie Wünsche ableiten. 

    Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

    Ergänzende Leseranwalt-Kolumnen zu Krieg und Gewalt aus 2022:

    "Über die Gefahr, russische Menschen pauschal zu verunglimpfen"

    "Die Herausforderung, das Grauen zu illustrieren, ohne Bilder von toten Kindern zeigen zu müssen"

    "Auch Reaktionen aus Selenskyjs angegriffenes Aussehen sind eine Nachricht"

    "Warum man bei der Veröffentlichung von Kriegsverbrechern und Opfern gut abwägen muss"

    "Wie sich Putins imaginärer Heiligenschein deuten lässt"

    "Was einem sehr guten Artikel aus Russland zur Perfektion fehlt"

    "Putins Verbrechen müssen nicht in jedem Bericht über ihn erwähnt werden"

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