LESERANWALT

Leseranwalt: Wenn Botschaften aus dem Comic nicht tierisch ernst zu nehmen sind

Ein Leser kritisiert einen Cartoon, der auf der Kinderseite erschien, und spricht von "ranziger Fantasie". Der Leseranwalt setzt auf Nachsicht.
Der Comic auf der Kinderseite dieser Redaktion ist beliebt - ein Strip hat jetzt aber auch einmal deutliche Kritik ausgelöst. 
Foto: Aus Comic von Andreas Brandt | Der Comic auf der Kinderseite dieser Redaktion ist beliebt - ein Strip hat jetzt aber auch einmal deutliche Kritik ausgelöst. 

Sexismus auf der Kinderseite! Wie ein Alarm erreicht mich dieser Vorwurf. Anlass ist einer der beliebten kurzen Comicstrips "Tierische Zeiten", die in der Samstagszeitung bei Angeboten für den Nachwuchs stehen.

Aufgeschreckt räume ich ein, die Bildchen vom 18. Juni, die hätte man ausnahmsweise wohl besser gegen andere ausgetauscht. Auf einer Kinderseite erscheinen sie deplatziert. Der Austausch gegen einen anderen Strip wäre an der Redaktion gelegen. Der Schöpfer der Serie, der die Cartoons auftragsgemäß gegen Honorar liefert, ist dafür nicht verantwortlich.

Verfängliche Sprechblase? "Röckchen statt Stöckchen"

Die Aufregung haben drei Bilder eines Strips ausgelöst: Im ersten erklärt ein erfreuter Mann per Sprechblase: "Vielleicht hat er Röckchen statt Stöckchen verstanden." Er sagt das zu einer konsternierten jungen Dame. Das offenbart Bild zwei. Händeschüttelnd fährt der Mann fort: "Darf ich mich vorstellen".

Seine Sprechblase " ... ich bin Jürgen, 39, Single" folgt im letzten Bild. So wird zur Pointe, dass sein Hund die Frau im knappen Röckchen an ihren langen Beinen gepackt hat. – Tierische Kontaktanbahnung zur Freude des Herrchens.

Tierische Zeiten vom 18.6.22 auf der Kinderseite der Zeitung.
Foto: Zeichnung: Andreas Brandt | Tierische Zeiten vom 18.6.22 auf der Kinderseite der Zeitung.

"Aus der Klamottenkiste des Sexismus"

Diese meine schmucklose Beschreibung eines Comic reizt kaum zum Schmunzeln. Auslöser können aber die gefälligen Bilder sein. Sie gehören dazu und machen den Charme von Comics aus. Der erreichte Leser J.S. aber im beschriebenen Fall auch gezeichnet nicht. Bissig distanziert er sich per Leserbrief von der "ranzigen Fantasie aus der Klamottenkiste des Sexismus". Er fragt, was das auf der Kinderseite zu suchen hat. Er fürchtet, "letzte redaktionelle Sicherungen" seien "durchgeschmort". Das ist hart, denn es geht um Menschen, deren Auswahlentscheidung kritikwürdig ist.

Vom Zeichner für Familien konzipiert

Könnte auch sein, dass im gewachsenen Vertrauen in den renommierten Zeichner der schon prämierten Serie, Andreas Brandt, nicht genau hingesehen wurde. Der antwortet mir auf meine telefonische Nachfrage: "Tierische Zeiten" sei für Familien konzipiert. Na also, denke ich: Gemeinsam mit Papa und Mama sollte dieser Strip doch dem Nachwuchs vermittelbar sein.

Im Gespräch mit dem Zeichner erfahre ich, dass seiner kreativen Kunstfertigkeit nicht nur "Tierische Zeiten" entspringen. Leute wie er hauchen mit wenigen Strichen ihren Figuren charakteristisches Leben ein, machen sie unverwechselbar. Ihre regelmäßige Wiederkehr als Comic oder Cartoon ist in ernsthafter Umgebung von Zeitungen Tradition, gerade weil ihre Botschaften nicht tierisch ernst zu nehmen sind.

Sexistischer Geist ist nicht beabsichtigt

Über einen frechen Hund wurde im vorliegenden Fall ertragbar präsentiert, was sonst durchaus auch als sexistischer Herrenwitz störend daherkommen könnte. Da setze ich aber auf die Nachsicht bei Leserinnen und Lesern, falls sie aus lustig gezeichneten Bildchen heraus dennoch böser sexistischer Geist erreicht hat. Der ist tatsächlich nicht nur für diese Zeitung abzulehnen und weder von Andreas Brandt noch der Redaktion beabsichtigt.

Freilich sind Bewertungen halt auch Geschmackssache und deshalb beim Sexismus-Vorwurf immer wieder Grund für Diskussionen. "Tierische Zeiten" für Familien kommt jedenfalls auf der Kinderseite bei vielen Leuten gut an. Bestätigung dafür darf man im Lob von Lesern dieser Zeitung sehen, das auch Brandt nach eigenem Bekunden wiederholt erreicht hat (Kontakt: brandt-cartoons@email.de).

Erst Kritik, dann Protest: Wie Hägar schnell zurückkehrte

Apropos Geschmack und individuelle Wahrnehmung. Ich erinnere mich, dass es vor einer ganzen Reihe von Jahren heftige Klagen aus der Leserschaft gegen "Hägar der Schreckliche" von Dirk Browne gegeben hat. Es hieß, die Strips (die nicht auf der Kinderseite stehen) seien stereotypisch, kämen abgeschmackten Schwiegermutterwitzen gleich und würden Gewalt verherrlichen. Das war Anlass für die Redaktion, das Erscheinen dieser Comics nach vielen Jahren einzustellen. Die darauf folgende Welle der Entrüstung hat bald zur Entscheidung für die Rückkehr des Schrecklichen geführt. Erkenntnisse daraus: Gerade von kriegerischen Machoauftritten und kalauernden Familienszenen lebt die Figur Hägar. In deren überspitzter Vermittlung als Comic steckt Satire, die solches Verhalten herausarbeitet. Und dann wäre auch da noch der Faktor Geschmack.

Anton Sahlender, Leseranwalt

Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

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