Geärgert hat sich Leser J.S. über einen Beitrag im redaktionellen Teil einer Lokalausgabe der Zeitung. Seiner Meinung nach hätte er mit „Werbung“ überschrieben werden müssen. Wer den Text lese, gewinne nämlich den Eindruck, der Bericht über den Ruhestand einer Mitarbeiterin sei nur Vorwand, möglichst oft den Namen der Firma abzudrucken. J.S.: Eine PR-Meldung erschien da offenbar ohne redaktionellen Eingriff.
Weiter schreibt J.S., dass die ständigen Wiederholungen eines Werbebegriffs suggerieren würden, dass es in diesem Betrieb bessere Waren gibt als in anderen.“ Was laut J.S. natürlich Unsinn ist. Dem hinzuzufügen ist, dass das Unternehmen in Konkurrenz zu einer Reihe anderer lokaler Unternehmen steht.
Das musste nicht sein
Tatsächlich werden in der kritisierten Nachricht die Unternehmensgruppe und ein Teilbetrieb unter der Überschrift „Namen & Notizen“ sechsmal genannt. So sehr auch Mitteilungen über den Ruhestand von langjährigen Mitarbeiter*innen Teil lokaler Berichterstattung sein dürfen, das musste nicht sein. Das kann leicht als werbliches Penetrieren durch Wiederholung empfunden werden. Zumal der Unternehmenschef im Text noch mit einer lobenden Bewertung zu eines Unternehmensteils zitiert ist. Da darf durchaus etwas mehr journalistische Distanz erwartet werden.
Zu viel des Guten
Nicht genug: Anderntags ging es in der Zeitung um das Betriebsjubiläum eines verdiente Mitarbeiters im selben Unternehmen. Diesmal war unter dem Titel „Firmen & Fakten“ siebenfach der Firmenname verbreitet, das erneut samt mehrfacher Bezeichnung einer besonderen Eigenmarke, die wie das gesamte Unternehmen in lokaler Konkurrenz steht.
Offenbar versteht sich ein/e findige/r Mitarbeiter*in des Unternehmens bestens auf das Texten positiver Pressemitteilungen. Doch bei allem notwendigen Respekt vor Mitarbeiter*innen und vor Unternehmen: Das ist wieder zu viel des Guten. Die Rolle der verantwortlichen Redaktion darf freilich nicht unerwähnt bleiben. Von ihr verlangt der Presserat in seinem Kodex Sorgfalt im Umgang mit PR-Mitteilungen, also Mitteilungen aus dem Bereich Public-Relations/Öffentlichkeitsarbeit.
Eine Überschreitung der Grenze zur Schleichwerbung könnte unterstellt werden, wegen der unnötig häufigen Nennung der Firma und ihrer besonderen Marke. Geht die doch eindeutig über ein begründetes Informationsinteresse der Leser*innen hinaus, selbst dann noch, wenn man den Lokalkolorit anerkennt, der in den Beiträgen ebenfalls erkennbar wird.
Das sagt der Pressekodex
Ich zitiere aus Richtlinie 7.2 der Pressekodex: „Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. <..> Die Glaubwürdigkeit der Presse als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material.“
Den Namen des Unternehmens erwähne ich in diesem Beitrag nicht. Es wäre auch nicht im journalistischen Sinne, die Wirkung der kritisch besprochenen Nachrichten ins Gegenteil zu verkehren, schon um die Auszeichnungen der Mitarbeiter*in nicht zu schmälen.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
Journalistische Distanz wahren
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