Noch einige journalistische Gedanken
zum erschreckenden Bild
von einem toten syrischen Flüchtlings-Kind, das widerstreitende ethische Diskussionen ausgelöst hat. Ich hoffe, dass sie auch Leser nachvollziehen können, zumal die Main-Post-Redaktion dazu bereits gute Erklärungen veröffentlicht hat, denen ich direkt nichts mehr hinzufügen kann.

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Vorbildliche Themenseite
Jede in journalistischer Verantwortung getroffene Entscheidung (zur Verbreitung oder Nicht-Verbreitung) ist aus meiner Sicht dann akzeptabel, wenn sie auf humanitärem Gedankengut fußt. Die beiden Faktoren dürfen sich ohnehin niemals
gegenseitig ausschließen. Auf solcher, jeweils gut zu begründenden Basis gibt es für mich - gerade was diese Opfer-Fotos von einem syrischen Kind betrifft - kaum eine falsche Entscheidung. Auch nicht mit Blick auf den
Kodex des Deutschen Presserates
. Von Bedeutung ist dabei stets, was zu den Bildern im Text erklärt und
berichtet wird. Das ist bei der Main-Post auf einer ganzen Themenseite vorbildlich geschehen. Es wird dabei nachvollziehbar, warum dem toten Kind seine Würde nicht genommen worden ist.
Gut für Internet-Nutzer
Bilder gehören mehr denn je zur journalistischen Berichterstattung. Und sie haben weitaus mehr an Bedeutung gewonnen als andere Darstellungsformen. Und im Internet kann sich längst jede/r unterschiedlichster Fotos digital bedienen. Obwohl das überwiegend außerhalb klassischer Medien vor sich geht, erfordert es intensives Nachdenken auch darüber, wie mit Fotos redaktionell verantwortlich umzugehen ist. Es ist gut, wenn das Wissen um ethische Grundlagen für Bild-Veröffentlichungen aus dem Kodex des Deutschen Presserates und deren mögliche Auslegungen auch Internet-Nutzer erreicht.
Schwierige Abwägung
Ich vermag den bereits vorliegenden
Erklärungen verschiedener Redaktionen
(hier Mannheimer Morgen) zur Veröffentlichung des Bildes nicht zu widersprechen. Ich bin ohnehin der Meinung, dass es kein schlechtes Zeichen ist, wenn auf diesem Weg unterschiedliche Medien zu unterschiedlichen Entscheidungen darüber kommen. Das macht unabhängiges Denken deutlich und zeigt, was dabei alles beachtet werden sollte. Es lässt Bewertungen ethischer Argumente erkennen. Zu einer Entscheidung kann am Ende nämlich nur kommen, wer zwischen den Argumenten abgewogen hat. Dazu muss manchmal ein wichtiger Faktor im Einzelfall hinter einem anderen zurückstehen. Das birgt Härten in sich.
Die unglaubliche Flüchtlingssituation, verbunden mit massenhaftem Tod und schwersten Unmenschlichkeiten, hat ein Ausmaß erreicht, dass dieses Bild bei weitem rechtfertigt. Ich meine, dass das Foto das Leid der Angehörigen in diesem Fall kaum steigern kann. In Abwägung mit der Notwendigkeit, das entsetzliche Geschehen zu verdeutlichen, glaube ich, muss der Schutz der Opfer ausnahmsweise zurückstehen. Das bedeutet freilich nicht, dass man auf das Bild aus guten Gründen verzichten kann.
Zumindest den Vergleich mit dem Foto eines in einem unterfränkischen Badesee ertrunkenen Kindes, das niemals veröffentlich würde, kann ich entgegentreten.
Dessen Darstellung wäre übertrieben sensationell. Das kann man diesem Fall nur noch schwerlich sagen. Ich bitte nicht misszuverstehen, wenn i
ch schreibe, dass dieses Bild zwar unter die Haut gehen sollte, aber angesichts der tatsächlichen Umstände geradezu harmlos wirken kann. Die Darstellung sollte schließlich auch im Sinne aller derer sein, die ihrer menschlichen Würde vor und während ihrer Flucht aufs brutalste beraubt worden sind.
Die Auslöser
Es gibt weit mehr Argumente für und wider. Fas alle sind hilfreich und unverzichtbar. Sie gehören auch zu den Grundlagen für das dringend notwendige konsequent humanitäre Handeln - nicht nur das der Politik. Jeder ist gefordert.
Das sollte auch den Journalismus stärken: Unausweichlich gewordene ethische Diskussionen. Sie wurden über terroristische Attentate, über den
und Flüchtlings-Tragödien erst so richtig ausgelöst und öffentlich. Inzwischen reichen sie in den Alltag von Lokalredaktionen hinein.
Veränderung des Bewusstseins
Natürlich ist es tragisch, wenn uns erst schreckliche Ereignisse in unserer Nähe aufwecken müssen, um Ethik und Humanität in journalistischen Entscheidungen so deutlich und nach außen treten zu lassen. Das Drängen nach Durchschaubarkeit erreicht die Redaktionen dabei vor allem über die sozialen Medien aus dem Internet. Man kann nicht alles stehen lassen, was dort an Behauptungen und Unterstellungen umgeht. Nur Argumente sollten Gewicht haben.
Wer will, kann bei diesem Bestreben von Hilflosigkeit bis hin zu einer entscheidenden Veränderung des Bewusstseins vieles daraus ableiten. Ich entscheide mich nach vielen guten Erklärungen, die ich lesen durfte, gerne für Letzteres.
Dessen ungeachtet muss zuerst auf die Kritiker gehört werden, die darauf hinweisen,
dass über den Blick auf den journalistischen Bauchnabel, die Darstellung
der schrecklichen Wirklichkeit niemals in den Hintergrund treten darf.
Hier schließt sich ein Kreis, hoffentlich kein Teufelskreis.
Anton Sahlender
, Leseranwalt
P.S. Obwohl ich mich im Ausland befinde, will ich diese Gedanken aktuell zur Diskussion beitragen.