Entsetzt verfolgte die Welt die damalige Kampagne des Saddam-Regimes im Nordirak: Von Februar bis Ende August 1988 tötete die irakische Armee in mehreren Einsätzen dort zehntausende Kurden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kam vier Jahre später nach umfangreichen Recherchen sogar auf bis zu 100 000 Tote. Die Armee setzte mit Senf- und Nervengas international geächtete chemische Waffen ein und tötete allein im Dorf Halabdscha innerhalb weniger Tage 5000 Menschen.
Wer die Angriffe überlebte, war den Häschern der Armee ausgeliefert, die heutigen Erkenntnissen zufolge in mehreren Gebieten ohne jede Einschränkung das Feuer eröffnen und alle Menschen zwischen 15 und 70 Jahren ohne Verfahren hinrichten durften. Die Toten wurden in Massengräbern bestattet. In zwei davon fanden Ermittler der US-Armee 123 Tote, darunter 88 Kinder und Kleinkinder. Sie waren alle mit einem Schuss von hinten in den Kopf getötet worden.
Die irakische Armee nannte ihre Offensive "Anfal" - Kriegsbeute. Die Bezeichnung stammt aus einem Koranvers, der dazu aufruft, die Herzen der Ungläubigen in Angst und Schrecken zu versetzen. Saddam hatte die kurdische Minderheit in den nordirakischen Grenzgebieten genauso wie die Schiiten im Süden im Verdacht, im damaligen Krieg mit dem Iran dem Feind zu helfen.
Als das Sondertribunal im April sein zweites Verfahren gegen Saddam ankündigte, reagierten viele Kurden mit großer Befriedigung. Der 31-jährige Ibrahim Wadi, dessen Familie damals aus ihrem angestammten Dorf vertrieben wurde, sagte: "Wenn Saddam und diejenigen, die mit ihm angeklagt sind, hingerichtet werden, werden wir eine große Erleichterung empfinden."
Menschenrechtler und Rechtsexperten bezweifeln allerdings, dass das Sondertribunal auch wirklich Recht schaffen wird: Das Tribunal zur Verfolgung der unter Saddam begangenen Verbrechen kämpfte bereits im ersten Verfahren mit großen Schwierigkeiten. Anwälte der Angeklagten fielen Anschlägen zum Opfer. Die Verteidigung fühlte sich bei ihren Recherche-Arbeiten behindert und protestierte wiederholt mit Boykotten gegen ihre Arbeitsbedingungen. Pflichtverteidiger wurden bestellt, die nicht das Vertrauen der Angeklagten besaßen. Der Vorsitzende Richter warf der aus Kurden und Schiiten gebildeten Regierung Einmischung vor. Und Saddam nutzte die Anklagebank als Bühne, beschimpfte die Richter und drohte den Zeugen. Kaum ein Prozesstag verging ohne einen Eklat.
Im "Anfal"-Prozess sitzen gemeinsam mit Saddam sechs Mitstreiter auf der Anklagebank - darunter sein Cousin Hassan al-Madschid, der den Einsatz von chemischen Waffen angeordnet haben soll und unter anderem für den berüchtigten Angriff auf Halabdscha mitverantwortlich gemacht wird. Als "Chemie-Ali" stand der General auf Platz fünf der von den USA meistgesuchten Regierungsvertreter und wurde im August 2003 gefasst. Er ist neben Saddam der Einzige, dem die Anklage Völkermord vorwirft. Alle sieben Angeklagten müssen sich zudem für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen rechtfertigen.