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Was die Österreicher wollen

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Was die Österreicher wollen

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    Viele Kundinnen kommen seit Jahrzehnten in den Friseursalon von Margit Herrmann. Ihr größtes Problem: Die türkische Konkurrenz ist deutlich günstiger.
    Viele Kundinnen kommen seit Jahrzehnten in den Friseursalon von Margit Herrmann. Ihr größtes Problem: Die türkische Konkurrenz ist deutlich günstiger. Foto: Mariele Schulze Berndt

    Es kommt nicht oft vor, dass Aleksandra Szymanska ausgeht. Während ihre Studienfreunde Klubs unsicher machen oder im Sommer im Park abhängen, verbringt die 24-Jährige die Abende daheim bei ihrer zweijährigen Tochter Alicia. Außerdem schreibt sie ja gerade ihre Bachelor-Arbeit und jobbt in der Verwaltung der Wiener Universitätsklinik, um ihr knappes Einkommen aufzubessern. Kurz nach Alicias Geburt hat der Vater die Familie verlassen. Durch ihn hat die Kleine die österreichische Staatsbürgerschaft. „Das hat sich schon oft als Vorteil erwiesen“, sagt Aleksandra Szymanska. Bei Behörden wird sie freundlich behandelt, während Familien aus Nicht-EU-Staaten oft schnell und schroff abgefertigt würden.

    Aleksandra Szymanska stammt aus Polen. Mit elf Jahren zog sie mit ihrer Familie in die Hauptstadt. „Als ich in Wien in die Schule kam, sprachen die meisten in der Klasse türkisch,“ erzählt sie. Ihre Noten waren trotzdem so gut, dass sie aufs Gymnasium gehen konnte und jetzt studiert. Das wünscht sie sich auch für Alicia, die bisher nur polnisch spricht.

    Deshalb sucht Szymanska nach einem Kindergarten, in dem Deutsch gesprochen wird. „Wir stehen auf vielen Wartelisten“, sagt sie. „Aber weil ich nicht Vollzeit arbeite, habe ich keine Aussicht auf einen Platz im Betriebskindergarten. Und andere private Kindergärten sind voll.“ Einmal wurde der alleinerziehenden Mutter erklärt, sie hätte sich auf die Warteliste setzen lassen sollen, als das Kind geplant wurde. „Das verstehe ich nicht“, sagt die 24-Jährige.

    Familie mit kleiner Wohnung

    Ihre Mutter springt ein, wenn sie an der Uni ist oder arbeiten geht. Mit ihrer Unterstützung hat Szymanska die Chance, ihr Studium abzuschließen und anschließend den Master zu machen. Die ganze Familie wohnt in einer kleinen Wohnung. „Es ist schon ziemlich eng“, sagt Szymanska. Sie hat verschiedene Wohnungen angeschaut, am besten mit einem Kinderzimmer für Alicia, doch entweder war die Miete zu hoch oder die Wohnung so weit außerhalb, dass sie viel zu lange unterwegs sein würde. Dann hätte sie noch weniger Zeit für Alicia.

    Alleinerziehende sind ein großes Thema bei den Nationalratswahlen am kommenden Sonntag in Österreich. Auch Bundeskanzler Christian Kern hat seinen ältesten Sohn allein großgezogen und fordert, dass Frauen, die arbeiten, einen Anspruch auf ausreichende Rente haben müssten. Seine Partei, die sozialdemokratische SPÖ, spricht sich ebenso wie die Grünen für einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung aus, sobald das Kind ein Jahr alt ist. Darüber hinaus soll das zweite Kindergartenjahr verpflichtend, aber gratis sein. ÖVP-Kandidat Sebastian Kurz dagegen und die rechtspopulistische FPÖ setzen dagegen auf Steuerleichterungen für Eltern.

    Auch Stephan Eibel, 64, weiß, wie zeitintensiv Betreuung sein kann. Der Schriftsteller wohnt mit seiner Frau und zwei erwachsenen Töchtern in Wien. Regelmäßig fährt er nach Eisenerz in der Steiermark, wo seine Eltern leben. Mutter Eibel, 86, pflegt ihren Mann, 88, der an Alzheimer und Parkinson leidet. „Für mich ist es eine Katastrophe, den Verfall meines Vaters zu erleben“, sagt Eibel. Er ist froh, dass es in Eisenerz einen jungen Arzt gibt, der sich gut um den Vater kümmert. „Durch ihn ist er jetzt in der zweithöchsten Pflegestufe.

    So ist genug Geld für die Pflege zu Hause vorhanden“, erklärt Eibel. Die Bergarbeiterstadt teilt das Schicksal vieler Landgemeinden in der Steiermark: Es gibt zu wenig Arbeitsplätze, die Jungen ziehen woanders hin, mehr als 700 Wohnungen stehen leer. „Die Bevölkerung ist überaltert, aber es gibt keine Obdachlosen und keine Bettler“, sagt Eibel. Bis zuletzt haben mehr als die Hälfte der Eisenerzer SPÖ gewählt.

    Das Pflegeheim in der Kleinstadt liegt direkt neben dem Friedhof. Eibel sagt: „Die Bewohner sehen die Gräber, wenn sie aus dem Fenster schauen.“ Die wenigsten Österreicher aber gehen in ein Altersheim, 80 Prozent der Pflegebedürftigen bleiben zu Hause. Damit dies nicht unbedingt so bleiben muss, haben SPÖ und ÖVP noch kurz vor der Wahl den „Pflegeregress“ abgeschafft. Dieser sieht vor, dass der Staat Zugriff auf das gesamte Privatvermögen der Personen hat, die im Pflegeheim betreut werden. Für die Erben waren das Ersparte, Immobilien und andere Vermögenswerte in diesem Fall verloren. Auch ein Grund, warum so viele alte Menschen zu Hause gepflegt werden.

    Vom kommenden Jahr an darf der Staat für die Pflege nur noch laufende Einkommen beanspruchen, nicht das Erbe der Kinder. Das könnte zur Folge haben, dass künftig mehr Pflegebedürftige ins Heim kommen. Noch reichen die vorhandenen Plätze dafür nicht aus. Stephan Eibel ist trotzdem froh über die Gesetzesänderung, darüber, dass das Haus in Eisenerz nicht an den Staat fällt. Und dass die Familie selbst entscheiden kann, wo der Vater künftig betreut werden soll. Margit Herrmann hat ganz andere Sorgen. Dazu muss man ihr nur zuhören, wie sich ihr Frisörgeschäft über die Jahrzehnte gewandelt hat. „Viele alte Damen kannte ich schon als Lehrling und habe sie in meinen eigenen Salon mitgenommen“, erzählt die 54-Jährige stolz. „Früher kamen sie jede Woche, heute seltener.“ Das Geschäft liegt in Wien-Meidling, um die Ecke ist Außenminister Sebastian Kurz zu Hause. „Ich würde mich freuen, wenn er zum Haareschneiden zu mir käme“, sagte Margit Herrmann. „Ich find ihn gut, und ich habe ihm eine Menge zu sagen.“ Zum Beispiel, dass ihr immer weniger bleibt, wenn sie vom Umsatz ihre Kosten abzieht und ihre beiden Angestellten bezahlt hat. Steuern und Abgaben dagegen seien gestiegen, die Auflagen strenger und die Kontrollen durch die Behörden immer schärfer geworden.

    Während bei Margit Herrmann der Haarschnitt 17 Euro kostet, müssten die Kunden im türkischen Salon in der Nachbarschaft nur zehn Euro bezahlen. „Das ist nur möglich, wenn die Angestellten schwarz arbeiten“, vermutet sie. Ihr selbst bleibe am Monatsende nicht mehr übrig als ihren Angestellten. Als Innungsmeisterin bildet Herrmann junge Friseure aus: „Ich weiß, dass viele von ihnen nicht angemeldet sind“, kritisiert sie. „Wenn ich nicht 50 Stunden in der Woche arbeiten würde, könnte ich die Lohnnebenkosten auch nicht bezahlen.“ Sie hofft, dass die neue Regierung hier etwas ändert. „Wir in der Innung können nichts bewegen. Jeder kennt die Probleme, aber niemand kann etwas machen.“

    Hans Moser steckt in diesen Tagen mitten in der Weinlese in St. Georgen im Burgenland. Auf den 16 Hektar Fläche des Weinguts erntet Moser die Trauben noch von Hand - zusammen mit seinem Sohn, drei Mitarbeitern aus Ungarn und deren Freunden und Verwandten. Zwischen 90 000 und 100 000 Flaschen Wein im Jahr produziert der 55-Jährige. Sauvignon Blanc, Welschriesling, Chardonnay, Blaufränkisch, Syrah und Cabernet, Zweigelt und Merlot gedeihen in diesem Jahr prächtig auf den zehn Lagen des Guts. „Menge und Qualität stimmen“, sagt Moser.

    Trotzdem war das vergangene Jahr nicht einfach für ihn. Durch Frost trugen seine Weinstöcke schlecht. Und viele Mitarbeiter waren wochenlang krank. Durch neue Regelung - etwa zur steuerlichen Absetzbarkeit - hätten dazu beigetragen, dass er weniger verdient. „Vor 20 Jahren konnten wir noch groß investieren. Jetzt müssen wir darum kämpfen, bei steigender Produktion den Status quo zu erhalten“, berichtet er und ist froh darüber, dass seine Frau Sabine die Buchhaltung führt. „Ich würde nicht mehr wagen, für größere Investitionen Kredite aufzunehmen.“

    Vertrauen in Politiker enorm gesunken

    Moser verkauft einen Großteil seines prämierten Weins an Privatleute, Weinhändler und Restaurants in Deutschland, der Schweiz und besonders Russland. „Die Russland-Sanktionen haben uns sehr geschadet“, erzählt er. Sein Vertrauen in Politik und Politiker ist enorm gesunken – auch ohne die Schlammschlacht, die sich SPÖ und ÖVP in Wien in diesen Tagen liefern. „Sie sind abgehoben und sehen nur ihre eigenen Machtinteressen“, kritisiert Moser. „Deshalb ist Österreich unregierbar geworden.

    “ Die Staatsverschuldung macht ihm ebenso Sorgen, wie die vielen Frühpensionierungen in den Staatsunternehmen, der Bahn etwa oder der Stadt Wien. Hinzu kommt, dass Änderungen beim Bahntransport die Lieferung seines Weins viel komplizierter gemacht hätten. „Früher war der Wein in zwei Tagen in Tirol. Heute ist das Zeltfest vorbei, bevor der Wein dort ankommt.“

    Probleme der Landwirte, wie die Bekämpfung der Schädlingspflanze Ragweed, interessieren aus seiner Sicht niemanden in der Politik. „Die Parteifunktionäre verkriechen sich in ihren Clubzimmern statt in Kaffeehäusern und Buschenschank zu hören, was die Menschen bewegt“, kritisiert er. Eine Ausnahme bildet für ihn Norbert Hofer, der FPÖ-Politiker und Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl. „Seine Frau kommt aus St. Georgen. Er weiß, wie wir hier denken und ist nah dran an den Leuten“, sagt Moser.

    Für wen er am kommenden Sonntag stimmen wird, das will der 55-Jährige nicht sagen. Aber er wird wählen gehen - so wie jedes Mal in den vergangenen 37 Jahren.

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