Mit Blaulicht und Sirene eilen die Feuerwehrwagen zum Euro-Tower. Dort will EZB-Präsident Mario Draghi gleich berichten, dass die Notenbank schwere Geschütze gegen die Euro-Schuldenkrise einsetzen wird. Doch der Italiener muss warten, die Spannung steigt. Die Fahrstühle im EZB-Turm sind außer Betrieb, und die Feuerwehr muss erst sicherstellen, dass es in dem Gebäude nicht brennt. Die Journalisten müssen so lange draußen bleiben. Wenig später ist das Problem behoben, und Draghi legt los. Er kündigt an, was trotz des Widerstands der Deutschen Bundesbank längst erwartet worden war: Die Europäische Zentralbank (EZB) begibt sich in ihrer Funktion als Krisenfeuerwehr auf eine neue Ebene.
Sie schmeißt ihr altes Programm zum Kauf von Anleihen maroder Euroländer in die Tonne und legt ein neues auf, von dem sie sich mehr Feuerkraft erwartet: Müssen die Wackelkandidaten wie Spanien oder Italien zu hohe Zinsen am Markt bezahlen, tritt die Notenbank als Käufer auf. Und zwar ohne Limit: Die Bazooka soll den Durchbruch gegen die Dauermisere bringen. Auch, weil nun EZB und Politik an einem Strang ziehen, wie Draghi betont: „Man braucht zwei Standbeine, damit das Programm funktioniert.“
Allerdings stellen die Währungshüter eine Bedingung: Die Länder müssen unter einen Euro-Rettungsschirm schlüpfen und sich zu Reformen verpflichten, bevor die EZB ihnen beisteht. Draghi ruft den besorgten Bürgern, den verunsicherten Unternehmern und den Spekulanten zu: „Der Euro ist unumstößlich.“ Die EZB wird die Währung am Leben halten – koste es, was es wolle.
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann passt die Entscheidung nicht. Als Einziger im Rat der Notenbank lehnt er das Programm wegen der Nähe zur verbotenen Staatsfinanzierung mit der Notenpresse ab. Doch Weidmann ist isoliert, selbst die Unterstützung der Bundesregierung war zuletzt eher halbherzig. Beobachter sind überzeugt: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist es recht, wenn die EZB mit viel Geld einspringt und den Krisenländern Zeit kauft. Schließlich muss die Notenbank kein Parlament fragen, bevor sie handelt.
Keine Frage: Draghi hat den Machtkampf gegen Weidmann erstmal gewonnen. Das tut er gegenüber deutschen Kritikern auch gerne kund: „Das ist keine italienische Entscheidung. Sie wurde im Rat beinahe einstimmig getroffen.“ Zudem betont er, dass die Unabhängigkeit der Notenbank unberührt sei.
„Mit dem Programm können wir den schweren Verwerfungen an den Bondmärkten begegnen, deren Ursache die unbegründete Angst der Investoren vor einem Zerfall des Euroraums ist“, sagt der Italiener. Das sei nötig, damit die Zinspolitik der EZB wieder in der Wirtschaft ankommt.
Die Europäische Zentralbank stemmt sich mit aller Macht gegen die Euro-Schuldenkrise. Dabei setzt sie auch auf umstrittene Staatsanleihenkäufe: Fragen und Antworten zu einer historischen Entscheidung.
Warum will die EZB Staatsanleihen kaufen?
Bereits unter Draghis Vorgänger Jean-Claude Trichet hatte die EZB Bonds von Euro-Krisenländern auf dem Sekundärmarkt – zum Beispiel von Banken – gekauft, um die Zinslast der Staaten zu senken. Denn die finanzschwachen Länder müssen misstrauischen Investoren hohe Zinsen für ihre langfristigen Anleihen zahlen. Seit März ruht das Programm. Jetzt hat EZB-Präsident Mario Draghi eine neue Runde angekündigt.
Wieso engagiert sich die EZB wieder auf dem Anleihemarkt?
Draghi argumentiert, dass die Wirkung der herkömmlichen EZB-Geldpolitik wegen des Misstrauens in den Euro gestört sei. Die verhindere, dass klassische Maßnahmen wie Zinssenkungen in allen Euroländern gleichermaßen ankämen. Obwohl der Leitzins im Euroraum auf dem Rekordtief von 0,75 Prozent liegt, zahlen kleine Unternehmen in Spanien der EZB zufolge für einen Kredit bis zu einer Million Euro und einer Laufzeit von mehr als einem und bis zu fünf Jahren derzeit 6,5 Prozent Zinsen – so viel wie nie seit 2008. In Deutschland ist der gleiche Unternehmenskredit für rund vier Prozent zu haben. „Der Leitzins, der eigentlich ,leiten‘ soll, tut dies nur noch eingeschränkt“, sagt EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen.
Was sind die Unterschiede zu dem früheren Programm?
Die Krisenländer müssen einen Hilfsantrag beim Eurorettungsfonds EFSF/ESM stellen. Entweder durchlaufen sie das volle Programm wie Griechenland, Irland oder Portugal oder nehmen vorsorgliche Kreditlinien in Anspruch. Im Gegenzug müssen sie strenge Reform- und Sparauflagen erfüllen. In der Vergangenheit hatte die EZB keine entsprechenden Bedingungen gestellt. Allerdings ist das neue Programm im Gegensatz zu den früheren Ankäufen dem Volumen nach auch unbegrenzt.
Welche Anleihen hat die EZB im Blick?
Die EZB ist bereit, Anleihen mit einer Laufzeit von einem bis drei Jahren in ihre Bücher zu nehmen. Mit solchen kurzen Laufzeiten will die EZB den Druck auf die Politik aufrechterhalten. Denn der Erwerb von Anleihen mit längerer Laufzeit birgt das Risiko, dass der Reformeifer der Krisenländer erlahmt.
Welchen Bedenken gibt es ?
Bundesbankchef Jens Weidmann lehnt Anleihenkäufe von Krisenländern als Schritt zur „Staatsfinanzierung durch die Notenpresse“ ab. Eine Finanzierung durch die Notenbank könne traditionell hoch verschuldete Länder „süchtig machen wie eine Droge“. „Es besteht die Gefahr, dass weiterhin nur Zeit gekauft und der Reformdruck gemindert wird“, argumentiert auch Commerzbank-Chef Martin Blessing. Der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes Michael Kemmer fordert, die Anleihekäufe dürften nur ein Notinstrument sein. Ein leichtfertiger Rückgriff darauf komme der unerlaubten Staatsfinanzierung gleich und schade letztlich der Reputation der EZB.
Was sagen Befürworter?
Der frühere Wirtschaftsweise Wolfgang Wiegard verteidigt die Anleihekäufe. „Die Alternativen sind aus meiner Sicht eindeutig schlechter“, sagte Wiegard der Zeitungsgruppe „Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung“. Als Beispiele nannte er eine Banklizenz für den ESM, der sich dann bei der EZB unbegrenzt Geld leihen könnte, oder Eurobonds mit gesamtschuldnerischer Haftung. „Irgendjemand muss sich bei der Krisenbewältigung die Hände schmutzig machen. Die EZB bekommt sie am schnellsten wieder sauber.“