Dies könnte ein Text werden voller Wut und Abneigung, geschrieben in Verbitterung über unausweichliche Niederlagen. Ein hämischer Beitrag, der den neuen Gegner im alpinen Gelände niedermacht. Stattdessen ist er der Anfang einer respektvollen, freundschaftlichen Beziehung, die man nicht für möglich gehalten hätte. Mountainbiker trifft auf E-Biker. Am Berg. In der „größten E-Bike-Region der Welt“, die ein Radl-Vergnügen kreiert hat, das beiden Lagern viel Spaß und Komfort bringt. Wie ist das möglich? Auflösung folgt . . .
Wir sind unterwegs auf dem neuen „TransKitzAlp“, der im Juni an den Start ging. Der Name verrät bereits ein wenig von dem, was die Tour ausmacht, das Weitere muss man vorab erklären. Der Radfahrer überwindet die Kitzbüheler Alpen in Österreich von West nach Ost. Bei vier Etappen kommen stolze 8600 Höhenmeter auf knapp 200 Kilometern zustande.
Im Hotel warten frische Klamotten und ein ordentliches Abendessen
Gut, dass man sein Gepäck nicht mitschleppen muss. Ein Taxi-Unternehmen fährt mit Koffer und Co. voraus. Im Hotel warten dann frische Klamotten und ein ordentliches Abendessen. Die Idee ist nicht neu. Vor allem Wanderer profitieren von derartigen Komfort-Touren. KAT-Walk (Kitzbüheler Alpen Trail) heißt das längst etablierte Angebot in der Region zwischen Wörgl und dem Pillersee, wo man das Ganze nun eben auf Radler übertragen hat und dabei sogar zwei Zielgruppen ansprechen will: Fahrer mit normalen Bergrädern und solche mit Motor unterm Hintern. Wir gehören zur ersten Kategorie und sind skeptisch, ob ein Miteinander am Berg bei solch unterschiedlichen Voraussetzungen überhaupt möglich ist. Und es dauert auch nur kurz, bis wir Munition für Vorurteile und mögliche Konflikte erhalten.
Die E-Biker überholen uns spielend, lächelnd und plaudernd
Sie kommen von hinten. Schnell. Aus unserer Sicht, die wir keuchend und mit hochrotem Kopf am Steilhang hängen, wo das Hinterrad durchdreht, sogar rasend schnell. Die E-Biker überholen uns spielend, lächelnd, plaudernd. Wut kocht hoch, die sich nicht einfach mit einem Schluck aus der Trinkflasche abkühlen lässt. Jeder Bierbauch-Biker kommt jetzt also schneller den Berg hinauf als unsereiner, trotz Training und Technikschulung, trotz Muskelaufbau in der Muckibude. „Nicht einmal ein Profi-Radfahrer kann mit einem E-Bike mithalten“, hat uns der Wirt beim Auschecken hinterhergerufen. Was heute Morgen noch nach Trost klang, fühlt sich jetzt an wie Mitleid und schmeckt nach Niederlage. Wir sind kurz davor, das Rad in den Wald zu pfeffern und unsere Bergrad-Karriere zu beenden. Was wir jetzt noch nicht ahnen können: Es ist das letzte Mal, dass wir uns über die motorisierten Mountainbiker ärgern. Eine Stunde später sind wir Freunde.
Aber jetzt müssen wir erst mal eine Pause einlegen um runterzukommen. Die Natur an sich ist ja die beste Beruhigungspille. Die Aussicht erinnert ein wenig ans Allgäu. Sanfte grüne Hügel dominieren das Landschaftsbild, der Wald reicht oft bis in die Gipfelregionen, nur die schroffen Kalksteinwände des Wilden Kaisers fallen ein wenig aus der Rolle.
Vom Tal aus betrachtet, sieht die Welt ganz anders aus. Kitzbühel-Glamour strahlt auf viele Orte der Region ab. Hier ein Villenviertel, da ein privates Schlösschen. Die Hänge mit der besten Aussicht sind von Chalets besetzt, vor denen Großstadt-Jeeps mit deutschen Nummernschildern parken, die allenfalls bis zum nächsten Golfplatz bewegt werden. Und der ist garantiert nicht weit weg. Man muss länger suchen als anderswo in Tirol, um die typischen großen Bauernhöfe mit grünen Fensterläden, Holzbalkonen und üppigem Blumenschmuck zu finden.
Kann gut sein, dass man dabei beim Fuchswirt in der Kelchsau landet, einem kleinen, verträumten Tal, das von SUVs und VIPs verschont blieb. Als wir nach der langen Abfahrt vom Penningberg die finale Bremsung hinlegen, stehen wir am Nebengebäude des Wirtshauses, wo die E-Biker ihre Stromfresser an die Steckdose gehängt haben. Die böse Idee, die Dinger jetzt einfach auszustöpseln, ist noch gar nicht zu Ende gedacht, da bricht auf der Terrasse ein Klatsch-Konzert aus. Die E-Biker haben eine Charme-Offensive gestartet und spenden herzerfrischenden Applaus. Aufmunternde und lobende Worte fliegen uns zu. Die Motor-Mountainbiker bieten uns einen Platz an ihrem Tisch an und mit jeder Gesprächsminute steigt die gegenseitige Achtung.
Die Maximal-Qual über die Berge ist elektronischer Unterstützung gewichen
Früher waren auch sie Freunde der Maximal-Qual über die Berge. Aber nach Knie-OP, neuer Hüfte oder Bandscheibenvorfall sind sie heilfroh über das Zeitalter der elektronischen Fahrunterstützung. Selbst wenn manchmal nur wachsender Bauch oder schwindende Kräfte für den Umstieg verantwortlich sind, müssen wir lernen: Der E-Mountainbiker ist kein Anfänger auf zwei dicken Reifen ohne alpine Vergangenheit.
Seine wichtigste neue Erfahrung macht er im Zusammenhang mit dem Akku. Damit ihm nicht die Kraft ausgeht, ist am Berg die richtige Taktik und Tourenplanung nötig. Gasthaus oder Hütte mit Stromanschluss sind das wichtigste Ziel. Das Netzteil fährt stets im Rucksack mit; und was früher die Ausdauer am Berg war, ist heute die Geduld zu warten, bis der Akku genügend getankt hat.
Beim Fuchswirt dauert es so lange, dass selbst wir unsere Speicher schneller aufgefüllt haben. Wir starten in der Gewissheit, dass uns die E-Biker ohnehin einholen. Aber ab jetzt sind die Begegnungen freundlich, beim Überholen greifen helfende Hände an unseren Sattel und schieben, an Pässen, Hütten und Gipfeln ist uns der Applaus sicher. Egal, wo wir hinkommen, ein E-Biker ist schon da und klatscht. Ein bisschen wie das Hase-und-Igel-Wettrennen, nur dass beide Seiten wissen, wie der Hase läuft und die Stimmung durchweg positiv ist.
Es gibt auch Abfahrten, da ist Muskelkraft von Vorteil
Man kann sich aber auch für längere Zeiten aus den Augen verlieren – vor allem wegen der Abfahrten, an denen ausnahmsweise die Muskelkraft-Mountainbiker im Vorteil sind, weil E-Biker mit ihren schweren und unflexiblen Rädern nicht unbedingt die steilsten Downhill-Trails nehmen können. Also gibt es überall, wo es schwierig wird, mindestens eine Umfahrung auf Forstwegen, die andererseits auch dem normalen Mountainbiker nutzen kann, wenn er technisch nicht ganz fit ist oder das Wetter nicht mitspielt und eine Abfahrt zur Rutschpartie verkommt.
Unterm Strich mussten die Tourenplaner ein besonders dichtes Routennetz knüpfen, von dem letztlich beide Seiten profitieren. So sausen wir den berühmt-berüchtigten, acht Kilometer langen Fleckalm-Trial runter, der in der Szene Kultstatus hat, legen uns einmal auf die Nase und sind von oben bis unten voller Dreck. Das bringt uns unten im Tal Extra-Applaus. Danke, ihr E-Biker.
Tipps zum Trip
Kitzbüheler Alpen/Kaisergebirge: Es handelt sich um acht Destinationen, die sich gemeinsam als „größte E-Bike-Region der Welt“ vermarkten. So gibt es zu Füßen des Wilden Kaisers rund 1000 Kilometer Radwege, mehr als 300 E-Bikes in 43 Verleihstationen, 38 Hotel-Partnerbetriebe, 80 Strom-Ladestationen und sieben Radservice-Geschäfte. Anreise: Mit dem Auto geht es über München und Kufstein nach Wörgl und in die Kitzbüheler Alpen. Zügige Verbindungen mit der Bahn, ebenfalls über München nach Wörgl (deutschlandweit ab 39 Euro); Internet: www.bahn.de TransKitzAlp: Start ist in Mariastein bei Wörgl. Es gibt vier Etappen zwischen 34 Kilometer (1500 Höhenmeter) und 59 Kilometer (2400 Höhenmeter). Ziel ist Fieberbrunn im Pillerseetal. Es gibt Pauschalangebote für die TransKitzAlp, zum Beispiel fünf Übernachtungen inklusive Halbpension und Gepäcktransport ab 399 Euro pro Person im Doppelzimmer. Die Rückreise zum Ausgangspunkt erfolgt mit der Bahn, die auch Räder transportiert. Im Internet: www.transkitzalp.at und www.oebb.at Bikeschule: Bike Academy in Kirchberg: Fahrtraining, Technik, Guiding, Bike-Verleih (Mountainbike ab 25 Euro pro Tag, E-Mountainbike ab 35 Euro). Im Internet: www. bikeacademy.com Übernachten: Zum Beispiel in Hopfgarten: einfach, aber gemütlich und traditionell: www.traube.at Zum Beispiel in Oberndorf: stilvoll tirolerisch: www.penzinghof.at Essen: Zum Beispiel ursprünglich und regional in Kelchsau: www.fuchswirt-kelchsau.at Zum Beispiel raffiniert und regional in Brixen im Thale: www.loipenstubn.com
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