Was hat Costa Rica, dass es Pioniere anlockt wie Steven Lill, den Mann aus Chicago, der mitten im Nirgendwo eine Lodge baute und sich mit der Corcovado-Stiftung für eine intakte Umwelt engagiert? Oder Roberto Fernandez, der am Pacuare-Fluss nicht nur ein Paradies für Touristen schuf, sondern sich auch für das Wohl der Cabeca einsetzt, eines indigenen Stammes, der am Fluss lebt? Es muss an dem Land liegen, das ohne Militär auskommt und sich als Heimat der Lebenslust empfiehlt. Pura Vida!
Costa Rica, die reiche Küste, der Musterknabe in Lateinamerika, wird auch in diesem Jahr wieder Abenteuertouristen das Gefühl geben, dass es auf unserer Erde noch so etwas wie „heile Welt“ gibt. Auch Guide Daniel ist davon überzeugt, dass sein Land glücklich macht. „Pura Vida“ ist auch sein Wahlspruch. Zum zufriedenen Leben, das stellt der gut gelaunte Daniel gleich klar, müsse man nicht reich sein: „Je weniger du hast, desto weniger brauchst du.“
Baumtomaten, Granadillas und Cherimoyas
Draußen vor den Busfenstern fliegt eine fruchtbare Landschaft vorbei. Costa Rica ist reich an Früchten: Ananas und Tomaten gedeihen hier, Baumtomaten und Guaven, Granadillas und Mangos, Erdbeeren und Cherimoyas, die Stinkfrucht Durian und natürlich Kaffee. Aber auch Costa Rica hat Umweltprobleme. Daniel zeigt auf den Reventazón-Fluss und die Stadt Turrialba, die Wiege des Raftings in Costa Rica – heute ein toter Fluss und eine verödete Stadt. Ein Damm, erzählt der Guide, habe den Aufschwung beendet. Auch am Pacuare-Fluss, den wir ansteuern, war ein Damm geplant, aber 1991 gab es ein Erdbeben – paradoxerweise die Rettung. Ein Vertrag garantiert jetzt dem Pacuare 20 Jahre Unberührtheit. Noch besser wäre Daniels Meinung nach der Welterbe-Titel: Er würde den malerischen Fluss für immer retten und damit auch die Lebensmöglichkeiten für die indigenen Stämme.
Am Fluss liegen schon Schwimmwesten, Helme und Paddel bereit. OG, wie unser 31-jähriger Rafting-Guide sich nennt, scheint den Verlauf des Pacuare gespeichert zu haben und lenkt das Schlauchboot sicher durch Felsen und Stromschnellen. „Pura Vida“ brüllen wir und lachen, wenn wir wieder ein Katarakt überstanden haben. OG ist in seinem Element. Nein, etwas anderes zu machen, könne er sich nicht vorstellen, sagt er in einer ruhigen Minute, als wir uns staunend umsehen in dieser grünen Natur.
Die Menschen verwurzelt wie die Bäume
Auch Luis denkt gar nicht daran wegzugehen. Der Guide in der Pacuare Lodge ist hier aufgewachsen, er fühlt sich verwurzelt wie all die Bäume, die nicht älter sind als er. „Wenn ich die Augen schließe,“ sagt der Vater einer kleinen Tochter, „sehe ich noch alles vor mir, wie es einmal war.“ Ein Campground auf Gras. Der Vater baute ein kleines Haus für die Familie und arbeitete beim Aufbau der Lodge mit. Die Mutter war in der Küche. Luis macht alles: Raften, Conopying, Canyoning, Vogelbeobachtung. Die Liebe zur Natur teilt er mit dem Besitzer der Lodge: Roberto Fernandez, ein Gentleman mit feinen Gesichtszügen, der so gar nicht wie ein Outdoor-Fan wirkt, kam vor 30 Jahren an den Pacuare und hat sich in die Gegend verliebt. Damals wurden Jaguare noch gejagt. Auch Gerardo, Robertos rechte Hand, war ein Jäger. Heute engagieren sich beide in einem Projekt, das der großen Raubkatze das Überleben sichern soll.
„Im Ökosystem spielt jedes Lebewesen eine Rolle, und sei es noch so klein“, sagt Roberto. Als er vor drei Jahrzehnten anfing, wuchs noch kein Baum, kein Strauch, es gab keine Rückzugsorte für die Tiere. „Wir arbeiteten daran, die Natur zurückzuholen“, erinnert sich der Costa-Ricaner. Und sie arbeiteten daran, das Vertrauen der Cabeca zu gewinnen, des am Pacuare ansässigen indigenen Stammes. Vor fünf Jahren hat Roberto die Replik eines Cabeca-Hauses bauen lassen, um seinen Gästen die Kultur dieser Menschen näherzubringen.
Von Traditionen, Heilpflanzen und fehlendem Strom
Wim, der Dorfchef der Cabeca, gibt hier Auskunft, erklärt die Bauweise des Hauses aus Bambus, Lianen und Palmblättern. Wim ist ein kleiner Mann mit wachen Augen und rabenschwarzen Haaren unter der Baseball-Kappe. Er hält die Traditionen seines Stammes in Ehren: Neugeborene und Tote werden in Decken gehüllt, die aus der Rinde des Mastate-Baums gefertigt werden, erzählt er. Auch über Heilpflanzen weiß der 52-Jährige Bescheid. Seine Söhne sind erwachsen, sie leben im Dorf wie ihre Ahnen. Strom gibt es dort nicht, sagt Wim, aber ein Handy hat er schon. Das nutzt er, um in Kontakt mit Freunden und Familien zu bleiben.
Wir tauchen ein in ein grünes Paradies. Probieren Canopying aus. Elf Ziplines durch die Baumwipfel gilt es zu überwinden, um am Schluss in einer Art Baumhaus zu landen, von dem wir dann abgeseilt werden. Auch das ein Abenteuer. In einem der Bäume kratzt sich ein Faultier den Bauch, ein Tukan turnt durchs Geäst und am Himmel schweben die Montezumastirnvögel, die in den Bäumen ihre glockenförmigen Nester haben, eng beieinander wie Reihenhäuser.
Ungewöhnliche Stadtführungen durch San Jose
Und dann sind wir schon wieder auf dem Pacuare. Wir trotzen gekonnt Katarakten und ordentlichen Stromschnellen, meistern Schwierigkeitsgrad 4 und lassen uns verzaubern vom Two Mountain Canyon mit den Wasserfällen und dem Märchenwald. Lange vor San José hat uns dann der Alltag wieder: Staus auf den Straßen. Häuser hinter Stacheldraht in der Stadt, Wellblechhütten und Betonklötze. Trotzdem: Heute Abend wollen wir San José eine Chance geben.
Bei Saul im trendigen Barrio Escalante stärken wir uns für eine Craft Beer Tour mit „Carpe Chepe“. Chepe nennen die Einwohner ihre Stadt, und Carpe haben sie von „Carpe diem“ (Pflücke den Tag). Vor fünf Jahren, erzählt Marcos Pitti, habe er mit Freunden ungewöhnliche Stadtführungen durch San José ins Leben gerufen, um zu zeigen, dass die Stadt einen Besuch lohnt. „Wir wollen ein Stück des Reichtums, den der Tourismus Costa Rica bringt, für San José abzweigen“, sagt Marcos, „die Menschen aus den Hotels holen, ihnen das wahre Leben zeigen.“ Pura Vida eben.
Wer Costa Rica kennenlernen will, muss aber raus aus der Komfortzone, hinein in die Wildnis. Zum Beispiel auf die noch ziemlich unberührte Halbinsel Osa im Süden des Landes. Natürlich gibt es auch hier Touristen – und Lodges. Wir wohnen in der Casa Corcovado weitab der Zivilisation, mitten im Regenwald. Die kleine Siedlung wirkt allerdings sehr zivilisiert, die Wege sind perfekt geharkt, am Pool stehen Liegen unter Sonnenschirmen. Verstreut liegen die Häuschen, komfortabel, aber ohne überflüssigen Luxus. Wäre da nicht der Ameisenbär, der hin und wieder auf den Wegen unterwegs ist, der Tapir, der manchmal um die Häuser schleicht, oder das Geschrei der Brüllaffen – man könnte meinen, irgendwo im Süden Europas zu sein.
Begeistert von Dschungel, Meer und Tieren
Dass der Schein trügt, erklärt uns Steven Lill, der Besitzer der Lodge. Ohne Taschenlampe, mahnt er, sollten wir uns nachts auf keinen Fall im Gelände bewegen. Schlangen oder Skorpions könnten unseren Weg kreuzen. Der Mann aus Chicago, Typ smarter Businessman, hat sich mit Haut und Haaren dem Projekt Corcovado Foundation verschrieben. Die Stiftung arbeitet mit den örtlichen Communities zusammen, um die bislang weitgehend unberührte Umwelt zu erhalten. „Man muss bei den Menschen das Bewusstsein für die Schönheit ihrer Natur wecken,“ ist Steven überzeugt. Für ihn ist Corcovado auch nach über 40 Jahren „eine Wunderwelt“.
Es war reiner Zufall, dass er 1975 als 23-jähriger Anthropologie-Student bei einer Backpacker-Tour mit einem Freund hierherkam. Der Dschungel, das Meer, die Tiere: Die beiden Männer waren begeistert. Hier wollten sie ihre Zukunft aufbauen. Sie kauften ein kleines Stück Land und versuchten sich zunächst als Kakao-Farmer. Dann zerstörte ein Pilz die Pflanzen – und Steven beschloss, etwas ganz Neues zu machen. Nachhaltiger Tourismus bietet seiner Meinung nach den Einheimischen die besten Chancen, auch in Zukunft hier zu leben. So begann die Geschichte der Corcovado-Lodge, die vom Staat für ihre Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurde.
Eine Geschichte zu jedem Ameisenhaufen
Dass der Dschungel in Costa Rica „nirgends höher und vielfältiger“ ist, erleben wir bei einer Dschungelwanderung mit Fabian (30) und Manfred (49). Beide kommen aus San José – und sie wollen beide nicht in die Stadt zurück. Zu jedem Baum, jedem Ameisenhaufen könnten sie eine Geschichte erzählen. „Die Pflanzen haben unterschiedliche Überlebensstrategien“, erklärt Manfred. „Aber immer geht es um Licht und Wasser.“ Und Fabian ergänzt: „Das Wichtigste im Regenwald ist die Interaktion.“
Dass auch Menschen schon früh diese Gegend besiedelten, offenbart die abgelegene Finca6 in der Nähe des Örtchens Sierpe. Das archäologische Museum für Steinkugeln, die „Spheres“, ist nur über eine Schotterstraße zu erreichen. Ein Film informiert über die Entdeckung der kugelförmigen Steine, die bis zu zweieinhalb Meter Umfang haben und bis zu 16 Tonnen schwer sein können. 1930 wurden sie bei Rodungsarbeiten ausgegraben. Die Archäologen datieren sie in die präkolumbianische Zeit und vermuten, dass diese Kugeln so platziert wurden, dass sie den Sonnenzyklus abbilden – wie Stonehenge. So genau weiß das niemand. In der freien Natur aber entfaltet ein Halbkreis aus den „Espheras de Piedra“ eine fast magische Atmosphäre. Auch das ist ein Stück Pura Vida.
Tipps zum Trip Kontakt: Costa Rica Tourism Board: www.visitcostarica.com Umwelt: Den ländlichen Gemeindetourismus fördern will der gemeinnützige Verein „El Camino de Costa Rica“. Der Weg verbindet auf 210 Kilometern die Karibikküste Costa Ricas mit dem Pazifik und führt durch die noch unberührte Zentralregion. Zu erleben sind verschiedene Ökosysteme und Begegnungen mit indigenen Volksgruppen: www.caminodecostarica.org Anreise: Lufthansa fliegt direkt von Frankfurt nach San José. Der circa zwölfstündige Flug ist in der Economy ab rund 550 Euro zu haben. Condor fliegt über die Dominikanische Republik nach San José. Zeit: Plus acht Stunden zur europäischen Sommerzeit. Bezahlen: Die Währung in Costa Rica heißt Colon. Ein Euro entspricht etwa 700 Colones. Wohnen: In San José gibt es Hotels in verschiedensten Preis- und Qualitätsklassen. Günstig gelegen ist das Radisson San José mit Pool und Bier-Kneipe, ab circa 100 Euro pro Nacht fürs Doppelzimmer. Die Pacuare Lodge ist ein Luxusdomizil, das am schönsten per Raft zu erreichen ist. Zwei Nächte in der „green season“ (Mitte August bis Mitte Dezember) kosten ab etwa 1000 Euro pro Person inklusive Transport, Rafting, Aktivitäten und Mahlzeiten: www.pacuarelodge.com Am Fluss gibt es Lodges, in denen man je nach Standard zwei Nächte ab circa 100 Euro buchen kann. In der Casa Corcovado Jungle Lodge zahlt man ebenfalls in der „green season“ für zwei Nächte pro Person ab etwa 1050 Euro inklusive Transport, aller Aktivitäten und Mahlzeiten: casacorcovado.com Finca6: Der Eintritt ins Archäologische Museum mit den Steinkugeln (Unesco-Weltkulturerbe) kostet 6 Dollar. (AZ)