Nichts ist so beredsam wie der Schwanz einer Klapperschlange, besagt ein altes Indianersprichwort. Im Süden von Arizona sind Klapperschlangen ebenso zuhause wie Wildkatzen, Wildpferde oder Kojoten. Die Gefahr einer Begegnung ist jedoch gering bei einer Wanderung auf einem der rund 20 Wege im Usery Mountain Regional Park. Dort kann man 300 verschiedene Kakteenarten entdecken, darunter – wie es sich für die USA gehört – solche mit Mickymaus-Ohren oder den haushohen Saguaro, das Wahrzeichen Arizonas. Der Riesensäulenkaktus, wegen seiner ausladenden Arme auch Armleuchterkaktus genannt, kann bis zu 15 Meter hoch werden. Er kommt nur in der Sonora-Wüste vor, die sich von Arizona bis nach Kalifornien und Mexiko hinein erstreckt. Der Saguaro Lake liegt im Schatten der Goldfield Mountains, unweit der Goldfield Ghost Town. 1893 gegründet, als immer mehr Goldsucher in die Gegend strömten, und später verlassen ist die Geisterstadt heute mit einem Restaurant im Saloon und Andenkenläden ganz auf Touristen zugeschnitten.
Der Wilde Westen steckt voller Geschichten
Goldgräber, Geisterstädte und Indianerland: Der Wilde Westen der USA steckt voller Geschichten. Im Südosten Arizonas lagen die Jagdgründe der Apachen, durch deren Gebiet eine Route führte, auf der einst Siedler und Goldsucher Richtung Westen strömten. Es kam zu zahlreichen Kämpfen, bis der Kriegshäuptling Geronimo 1886 kapitulierte, womit der letzte Indianerkrieg beendet war. Der Apache Trail folgt einem alten Weg der Apachen, der durch felsige Gebirgslandschaft, einen Canyon und am Apache Lake vorbeiführt. Vor dem Superstition Mountain Museum bei Apache Junction stehen die Reste einer Westernstadt, der 1959 eröffneten Apache Movieland Ranch, auf der 17 TV-Serien und 29 Westernfilme gedreht wurden. Das Museum erzählt die Geschichte der Apachen und des „Lost Dutchman“ Jacob Waltz, der 1871 in den Superstition Mountains ein riesiges Goldvorkommen entdeckt hat, den Fundort jedoch nie verriet. Historische Karten zeigen Orte in den Bergen, wo der Schatz vermutet wurde, was an den Film „Der Schatz im Silbersee“ erinnert. Weiter im Südosten Arizonas war die Heimat des Apachenhäuptlings Cochise, der sich mit Tom Jeffords, dem Verwalter der Postkutschenstrecke, für einen Friedensvertrag zwischen den Apachen und der US-Armee einsetzte – ein mögliches Vorbild für die von Karl May geschilderte Freundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand.
Blick auf ein Naturwunder
Im Wilden Westen sind die Bücher von Karl May, die hierzulande die Vorstellungen ganzer Generationen geprägt haben, unbekannt. Auch Donovan Hanley, ein Indianer – oder Native American, wie es korrekt heißt – und Kenner der Geschichte seines Volkes, kennt sie nur vom Hörensagen, weil ihm deutsche Urlauber davon erzählt haben. Die Winnetoufilme hat er ebenfalls nicht gesehen, sondern nur – während eines Besuchs in Deutschland – „Der Schuh des Manitu“. „Meine Gastgeber fragten mich, ob ich den Film beleidigend fand. Nein das tat ich nicht, es ist ja nur Spaß“, sagt Donovan. Aber er ist ja auch kein Apache, sondern Navajo.
Der 40-Jährige, der früher als Lehrer und im Hotelbusiness arbeitete, ist seit zwei Jahren Chef des von ihm gegründeten Reiseveranstalters „Detours Native America“. Das Unternehmen hat sich auf Touren durchs Indianerland und zu historischen Stätten der Ureinwohner spezialisiert. Donovan bringt kleine Gruppen von maximal 13 Reisenden in einem Kleinbus von Phoenix bis in den Norden Arizonas und zurück. Und unterwegs erzählt er Geschichten, die die Geschichte lebendig werden lassen.
Die Berge sind für die Indianer heilige Zonen
Es geht weiter Richtung Norden, aus dem Gebiet der Apachen ins Land der Navajo. Der Highway 87 führt von Phoenix in Richtung Flagstaff – mal durch gebirgiges Gelände, mal schnurgerade durch flaches Land. Flagstaff ist eine mit besonderen Reizen nicht überreich gesegnete Stadt, aber Station auf der berühmten Route 66, der transkontinentalen Traumstraße, die von Chicago bis Los Angeles führt. Und es liegt auf dem Weg vom Süden zum Grand Canyon im Norden Arizonas. Hinter Flagstaff erheben sich die San Francisco Mountains. Hier gibt es keine haushohen Kakteen mehr, sondern schneebedeckte Berggipfel. Humphreys Peak ist mit 3850 Metern der höchste Gipfel Arizonas.
Für 13 Indianerstämme sind die Berge heilige Zonen, die Hopi nennen sie „Nuva'tuk-iya-ovi“, was so viel heißt wie „Ort des hohen Schnees“. In den Pinien- und Kiefernwäldern sind Hirsche zu sehen, auch Elche. Und dann steht man plötzlich vor dem Südrand des Grand Canyon, dem gewaltigsten Schluchtensystem des Planeten. 446 Kilometer lang und bis zu 1600 Meter tief ist dieses Naturwunder – für Geologen ein aufgeschlagenes Buch der Erdgeschichte. Die Gesteinsschicht am Boden des Canyons, bis zu der sich der Colorado River im Lauf der Zeit vorgearbeitet hat, ist fast zwei Milliarden Jahre alt. Wanderwege führen an den Abgründen vorbei und eröffnen Blicke in eine unbegreifliche Tiefe und Weite, auf ein Naturpanorama, das alle Dimensionen sprengt und stumm vor Staunen macht. Einmal im Jahr, erzählt Donovan, fahren Hopi und Navajo auf einem Floß einen Teil des Colorado hinunter, um heilige Stätten zu besuchen.
Die Realität ist alles andere als Filmkulisse
Östlich vom Grand Canyon liegt das Gebiet der Navajo. Das Reservat, das größte zusammenhängende Siedlungsgebiet von Indianern in den USA, erstreckt sich vom Nordosten Arizonas bis nach Utah und New Mexico hinein und ist ungefähr so groß wie Bayern. In der selbstverwalteten Navajo Nation leben knapp 270 000 Menschen. Eine Zeitung heißt „Navajo Times“, ein Radiosender „Navajo Nation Radio“. Strommasten durchziehen die Landschaft, auf Parkplätzen am Straßenrand verkaufen Navajo Keramik und Schmuck. Meist leben die Navajo in kleineren Siedlungen zusammen, oft sind es nur ein paar versprengte Häuser oder Wohnwägen mit Satellitenschüssel auf dem Dach. Vor schmucklosen grauen Gebäuden stehen Pickups. In den Orten sieht man Tankstellen, Supermärkte oder Filialen von Imbissketten. Dies ist kein Freilichtmuseum und keine Filmkulisse, sondern die Realität.
Die Realität im malerischen Canyon de Chelly sah im Winter 1863/64 so aus: US-Truppen töteten das Vieh der Navajo, vernichteten ihre Häuser und Ernten und zwangen rund 8000 Menschen in die Verbannung nach New Mexiko. Erst Jahre später durften sie in ihre Heimat zurückkehren.
Beim Navajo-Fest in der Cafeteria
Der Thunderbird Trading Post, ein 1902 zum Austausch mit den Navajo errichteter Handelsposten, wird seit 1969 als „Thunderbird Cafeteria“ betrieben, wo Navajo-Burger und andere Speisen serviert werden. Navajo-Führer bringen Reisende in Jeeps oder Pickups zum Plateau über dem Canyon. Ein Wanderweg mit spektakulären Ausblicken führt im Zickzack am Felsen entlang, an Höhlen vorbei und durch in den Berg geschlagene Tunnel hindurch nach unten. Die „White House Ruin“, in Felsnischen gebaute Häuser, stammt aus der Zeit der Pueblo-Indianer, die das Gebiet vor rund 700 Jahren verließen. Von den Navajo werden sie „Anasazi“ genannt, was so viel heißt wie: die vor uns da waren.
Zu denen, die jetzt da sind, zählt eine Navajo-Großfamilie, die sich zu einem Fest in der „Thunderbird Cafeteria“ getroffen hat. Es sind Navajo, die in der Nähe leben, nur wenige Kilometer von hier, aber auch solche, die aus dem mehrere hundert Kilometer entfernten Phoenix oder aus New Mexico angereist sind, wo sie leben und arbeiten. Ein Familienvater sagt, er liebe seine Heimat, das Land seiner Vorfahren. Auf die Frage, wie das Leben in der Navajo Nation sei, sagt er: „Es ist gut und schlecht zugleich. Gut wegen der weiten, offenen Landschaft, und schlecht, weil es hier zu wenig Arbeit gibt.“
Unterwegs im „Tal der Götter“
Die Landschaft aber ist reich an Attraktionen, wie zum Beispiel am Horseshoe Bend, einem hufeisenförmigen Canyon, den der Colorado in den Fels hineingegraben hat. Oder im Monument Valley, der Westernlandschaft schlechthin. Auf einem weiten Plateau ragen zwischen Sanddünen insgesamt 29 bis zu 300 Meter hohe, je nacht Lichteinfall rot schimmernde Felsen wie Monumente in den Himmel. Eine Landschaft wie aus der Werkstatt Gottes. Die Navajo nennen sie „Tal der Götter“. Einer der Sandsteinmonolithen heißt „Regengott“, ein anderer „Donnervogel“. Das Monument Valley dehnt sich von Nordosten Arizonas bis in den Süden des Nachbarstaats Utah hinein aus. Nirgendwo ist der Wilde Westen so wild wie hier.
Nachdem Hollywoodregisseur John Ford hier seinen Film „Stagecoach“ (1939) mit John Wayne in der Hauptrolle drehte, wurde die Landschaft weltweit bekannt als Kulisse zahlreicher Western und späterer Filme wie „Easy Rider“. Seitdem hat sich hier kaum etwas verändert. Im Monument Valley scheint die Zeit stehen geblieben zu sein – nicht zuletzt dank der Navajo, die diese einzigartige Landschaft so zu erhalten versuchen, wie sie von Gott oder den Göttern geschaffen wurde. Möge der Große Geist mit ihnen sein.
Tipps zum Trip Information: Arizona Office of Tourism, www.visitarizona.com An- und Einreise: Wer in die USA reisen möchte, muss im elektronischen Verfahren einen Esta-Antrag stellen. Informationen und Formulare zum Ausfüllen unter esta.cbp.dhs.gov Der direkteste Weg ist ein Flug von Frankfurt nach Phoenix, den verschiedene Fluggesellschaften wie zum Beispiel American Airlines anbieten. Die Tour „Native Lands and National Parks“ von Detours Native America führt von Phoenix aus unter anderem zum Grand Canyon, Antelope Canyon, Canyon de Chelly und ins Monument Valley. Die sechstägige Reise (fünf Übernachtungen) kostet 2635 Dollar (zwei Personen 3990 Dollar). Info: www.detoursamericanwest.com Saguaro Lake Ranch: Die historische Ranch bietet Unterkünfte in 20 separaten Cottages und liegt ideal für Ausflüge im Süden von Arizona. Info: www.saguarolakeranch.com