Die Unkenrufe waren zuletzt laut gewesen: Deutschlands Wirtschaft werde 2023 einknicken, hieß es in vielen Medien. Es gibt aber nicht nur Probleme, halten Fachleute aus Würzburg dem entgegen. Ihre Prognosen für wichtige Wirtschaftszweige sind mehr als ein Blick in die Glaskugel.
Zu jenen Adressen, aus denen zuletzt düstere Vorhersagen kamen, zählt die Bundesbank. Sie rechnete Mitte Dezember für die kommenden Monate mit einem Wirtschaftseinbruch im Land und über 2023 hinaus mit hohen Teuerungsraten.
Einen naturgemäß tiefen Einblick in wichtige Branchen haben die Chefredakteure der Vogel Communications Group in Würzburg. Der gut 130 Jahre alte Fachverlag bringt bundesweit beachtete Titel wie "Kfz-Betrieb", "Elektrotechnik" oder "Konstruktionspraxis" heraus. Für diese Redaktion wagen die Fachleute einen detaillierten Ausblick auf 2023.
1. Autoindustrie: Bremse bei E-Autos, Vollgas bei Werkstätten
Kein einheitliches Bild für alle Wirtschaftsbereiche rund ums Auto sieht Wolfgang Michel, Vogel-Chefredakteur von "Kfz-Betrieb". Auf der einen Seite sinke heuer wegen der zurückgefahrenen staatlichen Förderung der Anreiz, ein Elektroauto zu kaufen. Auf der anderen Seite gebe es volle Auftragsbücher in den Werkstätten.

Denn mittlerweile liege das Durchschnittsalter eines Personenwagens bei 10,1 Jahren. Das führt nach Michels Ansicht zu erhöhtem Service- und Reparaturbedarf und wirke sich somit positiv auf das Werkstattgeschäft aus. Im Gegensatz zu früheren Jahren würden "derzeit wieder deutlich mehr Fahrzeuge instandgesetzt", so Michel.
Der Würzburger Fachmann geht davon aus, dass im neuen Jahr die Kundschaft aufgrund der wirtschaftlichen Lage, hohen Fahrzeugpreisen und massiv gestiegener Kraftstoff- und Energiekosten beim Kauf eines Neuwagens zurückhaltend bleibt. Hinzu komme, dass es für Plug-in-Hybride, also Autos mit Verbrenner- und Elektromotor, seit dem Jahreswechsel keine Förderung mehr gebe.
Ein Thema von Tragweite für Mainfranken: In Schweinfurt hat ZF als einer der größten Autozulieferer der Welt eine wichtige Niederlassung, die im Konzern eine tragende Rolle bei der Elektromobilität spielt.
Dass der Staat seine Förderung für rein elektrisch betriebene Autos zum Beispiel von 6000 Euro auf 4500 Euro gekürzt hat, trägt nach Ansicht von Michel dazu bei, dass in den kommenden Monaten die Nachfrage nach solchen Fahrzeugen verhalten sein werde. Unterm Strich sei die Kfz-Branche in Deutschland stabil durch das Krisenjahr 2022 gekommen. Was Gebrauchtwagen angeht, werde der Markt aber auch 2023 angespannt sein.
2. Digitalisierung und Cloud-Einsatz weiter mit hohem Tempo
"Die digitale Transformation der deutschen Wirtschaft und Verwaltung ist in vollem Gange und wird auch in 2023 durch die auslaufende Pandemie und die erwartete Rezession nicht ausgebremst werden", ist Werner Nieberle, Geschäftsführer der Vogel IT-Medien, überzeugt. Denn die Digitalisierung der Geschäfts- und Verwaltungsprozesse sei wichtig, um der demografischen Entwicklung im Land entgegenzuwirken.

Stichwort Fachkräftemangel also: Um ihn zu mindern, werde Informationstechnologie (IT) auch 2023 eine zentrale Rolle spielen. Die Nutzung von Anwendungen in der Datenwolke ("Cloud") werde zunehmen, ist Nieberle überzeugt.
Das deckt sich mit den Kernaussagen im "Cloud-Monitor 2022", einer repräsentativen Umfrage des Fachverbandes Bitkom im Auftrag der Wirtschaftsprüfer der KPMG AG unter 552 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland. Demnach setzten im vergangenen Frühjahr 84 Prozent der Firmen auf Cloud-Computing. Tendenz steigend: Weitere 13 Prozent planen dem Monitor zufolge den Einsatz.
3. Kollege Computer: Automatisierung in Betrieben greift weiter um sich
Eng mit der Digitalisierung in den Betrieben ist die Automatisierung verbunden, also das Bestreben, Arbeitsabläufe meistens mit Hilfe von Computern effektiver zu machen. Mainfränkische Unternehmen wie die Bosch Rexroth AG in Lohr (Lkr. Main-Spessart) machen längst gute Geschäfte damit, in Werken der Kundschaft solche Lösungen zu installieren.

Oder die Nürnberger Leoni AG, die im September in Kitzingen ein Innovationszentrum eröffnete. Dort wird getestet, wie die bislang mit viel Handarbeit verlegten Kabelnetze in Autos künftig automatisiert installiert werden können.
Derlei Schritte sind ein Markt, der offenbar auch 2023 eine Zukunft hat, wie Chefredakteurin Ute Drescher der Vogel-Fachmedien "Elektrotechnik" und "Konstruktionspraxis" meint: "Für die Entwicklung der deutschen Industrie in den kommenden Jahren wird die Automatisierung eine Schlüsselrolle spielen." Unternehmen, die Automatisierungslösungen anbieten, blickten zuversichtlich in die Zukunft.
Drescher zufolge war auf der Leitmesse für Automatisierungslösungen, der SPS (Smart Production Solutions), Anfang November in Nürnberg nichts zu spüren von den trüben Vorhersagen für die Wirtschaft. Das Gegenteil sei der Fall, so Drescher: "In der Automatisierungsbranche macht sich Aufbruchstimmung breit."
4. Medizintechnik: 2023 wird es schwieriger, Gewinne zu erzielen
Die deutschen Medizintechnik-Unternehmen haben im vergangenen Jahr erstmals mehr als 36 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet: Darauf weist Chefredakteur Marc Platthaus von den Vogel-Fachmedien "Laborpraxis" und "DeviceMed" hin. Für 2023 rechneten die Unternehmen mit einem allerdings nur noch leichten Wachstum von knapp über drei Prozent.

Größter Medizintechnik-Betrieb in Mainfranken ist Fresenius Medical Care in Schweinfurt. Dort werden Dialysegeräte für den internationalen Markt hergestellt. Für diese Branche wird es nach Ansicht von Chefredakteur Platthaus 2023 schwieriger, Gewinne zu machen. Denn die Produktions- und Logistikkosten seien gestiegen.
Zudem schlage sich auch hier der Fachkräftemangel nieder. "Trotzdem will eine Vielzahl der Medizintechnik-Hersteller in ihre deutschen Standorte sowohl im Personalbereich als auch in Forschung und Entwicklung investieren", so Platthaus.
5. Produkte aus Deutschland bleiben gefragt

Rund 27.000 deutsche Unternehmen sind international aktiv – allein 5200 in China: Diese Zahlen nennt Gerd Kielburger, der bei der Würzburger Vogel Communications Group GmbH & Co. KG verantwortlich ist für Strategie und internationales Geschäft. "Keine Frage: Die Globalisierung war und ist ein Segen für deutsche Unternehmen", meint Kielburger.
Trotz Abhängigkeit von Fernost, Ukraine-Krieg und anderer aktueller Herausforderungen ist sich der Experte sicher, dass die deutsche Industrie 2023 ihren auf Export ausgerichteten Kurs beibehalten wird. "Made in Germany ist und bleibt global gefragt."