Wenn Winzerfamilien zu fränkischer Hausmannskost und Schoppen einladen, dann tun sie das nicht nur aus Traditionsbewusstsein: Die Heckenwirtschaft stellt für sie eine zuverlässige Einnahmequelle dar. Dicht an dicht sitzen die Gäste, die geringe räumliche Distanz sorgt dafür, dass sie schnell ins Gespräch kommen – der Wein trägt den Rest dazu bei. Es herrscht eine ungezwungene Atmosphäre. Aus der Küche kommen deftige Mahlzeiten serviert und über den Tresen geht ausschließlich Wein aus eigener Produktion. Das ist in der Bayerischen Gaststättenverordnung festgeschrieben, ebenso wie die Tatsache, dass nur 40 Sitzplätze vorhanden sein und lediglich kalte sowie einfach zubereitete warme Speisen angeboten werden dürfen.
Was den Aufwand einerseits weitestgehend gering hält, hat andererseits einen größtmöglichen Werbeeffekt. Die gemütlichen Winzerstuben bieten nicht zuletzt auch Touristen die Möglichkeit, die fränkische Weinkultur kennenzulernen.
Früher haben die Winzerfamilien ihre eigenen Wohnräume für die Zeit der Heckenwirtschaft – maximal vier Monate im Jahr und in höchstens zwei Zeitabschnitten – ausgeräumt und dort ihre Gäste bedient.
Heute haben die meisten Betriebe dafür separate Räumlichkeiten. Es sind rustikal eingerichtete Gaststuben, in denen sonst Weinproben stattfinden oder die für Veranstaltungen angemietet werden können. Die Legende verortet die Tradition zurück zu Karl dem Großen: Er soll vor mehr als 1200 Jahren in einem Erlass Winzern den Betrieb von sogenannten „Kranzwirtschaften“ erlaubt haben. Hing ein Rebenkranz am Tor, so war für den Ausschank von selbst erzeugtem Wein geöffnet – bewiesen ist das nicht. Dennoch berufen sich noch heute viele Winzer in Unterfranken auf die lange Tradition, ihre eigenen Erzeugnisse vom Hof weg ausschenken zu dürfen. Der Begriff Heckenwirtschaft kommt von fränkisch „Häcker“, und damit ist der Winzer gemeint. Für ihn ist die Heckenwirtschaft eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit, Wein zu vermarkten und neue Kunden zu werben.
Das fränkische Weinanbaugebiet erstreckt sich über ca. 6000 Hektar Rebflächen von Bamberg bis Aschaffenburg auf geschützten Lagen entlang des Mains sowie an den Hängen des Steigerwalds. Dazu zählen auch die 6,5 Hektar von Thomas Schenk. Der 28-jährige Winzer hat vor 1,5 Jahren das Weingut Schenk seiner Eltern in Randersacker übernommen und führt dort auch die Heckenwirtschaft weiter, die die Familie seit 15 Jahren betreibt. Für Schenk hat die Heckenwirtschaft einen hohen finanziellen Stellenwert: Ihr Anteil am gesamten Jahresumsatz macht 20 Prozent aus. Keine extra Buchführung machen zu müssen, sieht er als entscheidenden Vorteil dieser Art von Gastbetrieb an: Die Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse erfordert weder Gaststättenkonzession noch eine zusätzliche Gewerbesteuer. Thomas Schenk blickt zufrieden auf das vergangene Jahr zurück: „Wir haben schon jetzt so viel Umsatz gemacht wie in der ganzen Saison 2015“, sagt er. Vier Abende standen zu diesem Zeitpunkt noch aus.
Damit hat er durch die Heckenwirtschaft 2016 rund 20 Prozent mehr Umsatz erwirtschaftet als im Vorjahr. „Es waren die richtigen Gäste da. Wir ziehen mehr junge, tendenziell zahlungsfreudigere Leute an als früher“, begründet er den Erfolg. Insgesamt ist in der kleinen Weinstube viel mehr los: „Früher hat man nicht gerne erzählt, dass man in einer Heckenwirtschaft war. Heute ist das wieder angesagt“, freut er sich. Ausschlaggebend sei dafür nicht zuletzt der allgemeine Trend hin zum Bewusstsein für nachhaltige und regionale Produkte, der sich in den vergangenen Jahren immer mehr durchsetzte.
Inzwischen hat von den 200 Heckenwirtschaften, die es in Unterfranken gibt, rund die Hälfte eine eigene Gaststättenkonzession. So auch die „Weinwerkstatt“ der Familie Schubert in Waldbrunn. Ihre Weinstube fasst 100 Sitzplätze und auf der Speisekarte stehen über 20 Gerichte. In den 13 Jahren, in denen die Familie Schubert ihre Heckenwirtschaft betreibt, seien die Ansprüche der Gäste stetig gestiegen: „Wir haben das Glück, eine moderne Heckenwirtschaft zu sein. Deshalb kommen viele junge Leute zu uns, auch Familien mit Kindern“, erzählt Weinwerkstatt-Inhaber Günther Schubert.
Nach der Umstellung auf den Euro 2002 haben sich die Preise vielerorts in Gaststätten verdoppelt – nicht aber in der Heckenwirtschaft. Dort gab es nach wie vor ein vergleichbares günstiges Angebot. „Der Zulauf war damals immens“, erinnert sich Schubert. Seitdem scheint sie sich zu einer angesagten kulinarischen Alternative zu herkömmlichen Gastbetrieben entwickelt zu haben.
„Die Heckenwirtschaft belebt den menschlichen Raum. Die Leute wollen nicht in die Gastronomie, sie wollen direkt zum Winzer – dort gibt es zwar nur einfache Speisen, aber die sind richtig gut“, sagt Artur Steinmann, Präsident des fränkischen Weinbauverbandes. Auch Günther Schubert zeigt sich erfreut über die diesjährigen Einnahmen. Insgesamt machen sie auch hier 20 Prozent vom Gesamtumsatz aus. Gerechnet an Besuchern und Umsatz konnte er einen Zuwachs von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen.
Schubert sieht in der Heckenwirtschaft eine sichere Einnahmequelle für seinen Betrieb: „Beim Wein gibt?s mal gute und mal schlechte Jahre, das ist ein Auf und Ab. Die Einnahmen durch die Heckenwirtschaft dagegen sind eine konstante und verlässliche Geldquelle.“
Eine verlässliche Geldquelle ist für größere Betriebe mit eigener Gaststättenkonzession zwar wichtig, viel wichtiger ist sie für kleine Weingüter. Fast 60 Prozent der fränkischen Weinbauern bewirtschaften eine Anbaufläche von weniger als einem halben Hektar. Die Kleinbetriebe nehmen jedoch seit Jahren stark ab, wohingegen die Zahl der Großbetriebe mit mehr als zehn Hektar Rebfläche kontinuierlich steigt.
„Es gilt, die Vielfalt unserer Weindörfer zu bewahren, sonst werden sie ihrem Namen nicht mehr gerecht“, erklärt Steinmann: „Die Heckenwirtschaft ist ideal, Menschen an die Betriebe heranzuziehen, das gilt vor allem für abgelegene oder kleine Betriebe.“ Der Präsident des fränkischen Weinbauverbandes hat ein gesteigertes Interesse daran, die Kultur der Weindörfer zu erhalten. Denn sie ist ein Wirtschaftsfaktor in Unterfranken. „Wein ist ein toller Impuls für die Region“, so Steinmann.
Die Heckenwirtschaft mit ihrer ausgeprägten Tradition übernimmt dabei die wichtige Funktion, Menschen unmittelbar mit den Winzern in Kontakt zu bringen und eine dauerhafte Kundenbindung über den ersten Besuch hinaus zu entwickeln.
„Es gilt, die Vielfalt unserer Weindörfer zu bewahren.“
Artur Steinmann, Präsident Fränkischer Weinbauverband