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MAINFRANKEN: Arbeitszeitkonten: Damit man mal eine Auszeit nehmen kann

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Arbeitszeitkonten: Damit man mal eine Auszeit nehmen kann

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    Martin Ulses
    Martin Ulses

    Mit 16 eine Lehre, mit 65 in Rente, jeden Tag acht Stunden Arbeit: Diese einst unverrückbare Art des Berufslebens ist längst vorüber. Heute sind viele Jobs Stoßzeiten mit Überstunden ausgesetzt, Scharen von Menschen arbeiten von zu Hause aus, der Berufsalltag im Generellen ist inzwischen ein Flickenteppich. Das wirft die Frage auf: Wie gehen wir mit unserer Arbeitszeit um? Viele Unternehmen sind hier längst auf hochflexible Lösungen gekommen. Mehr noch: Arbeitszeit ist Kapital geworden, das Zinsen abwirft. Auch in Mainfranken bieten Arbeitgeber ihren Beschäftigten Modelle an, die Überstunden in Geld und damit je nach Wunsch in Lebensmodelle verwandeln.

    Digitale Stechuhren sind längst üblich

    Stichwort: Arbeitszeitkonten. Digitale Stechuhren sind zum gängigen Hilfsmittel geworden, um Über- und Unterstunden punktgenau pro Mitarbeiter zu erfassen. Der Sonnenschutzhersteller Warema in Marktheidenfeld zum Beispiel nutzt diese Art der Zeiterfassung seit Jahren. Auch der Bezirksverband Unterfranken der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Würzburg, der mit 2500 Beschäftigten einer der großen Arbeitgeber in der Region ist, tut dies.

    Doch die Sozialeinrichtung mit 80 Adressen in Unterfranken ist noch einen Schritt weitergegangen: Sie bietet Mitarbeitern ein drittes Konto an, auf dem in Geldbeträgen umgerechnete Arbeitszeit angespart werden kann, um zum Beispiel früher in Rente oder in eine Auszeit („Sabbatical“) gehen zu können.

    Arbeiterwohlfahrt Unterfranken bietet ein Drei-Konten-Modell an

    Das Gehalt läuft dann weiter, bezahlt aus jenem dritten Konto. Die Guthaben dort werden von einem Versicherungskonzern treuhänderisch verwaltet und nach AWO-Angaben aktuell mit 2,7 Prozent verzinst. So viel Zinsen bekommt man heutzutage bei Geldanlagen selten bis gar nicht mehr. Insofern sei dieses Langzeitkonto auch interessant, um Teile des Gehalts – zum Beispiel Urlaubsgeld – direkt einzuzahlen, sind AWO-Bezirksgeschäftsführer Martin Ulses und -Personalleiter Dominik Roth überzeugt.

    AWO: Knapp fünf Prozent der Belegschaft nutzt Langzeitkonto

    Bislang nutzen 120 der 2500 Mitarbeiter dieses Konto, so Roth. Eine überschaubare Schar. Weil es das System mit den drei Konten erst seit etwa zwei Jahren gibt, müssten sich die Vorteil erst noch herumsprechen. Deswegen rechnet der Personalleiter damit, dass bald deutlich mehr AWO-Mitarbeiter das Langzeitkonto nutzen werden. Einer, der dies intensiv tut, ist Gerald Metz-Bartsch. Der Leitende Oberarzt an der Geriatrischen AWO-Reha-Klinik in Würzburg hat nach eigener Aussage seit zwei Jahren eine Art Dauerauftrag laufen, der jeden Monat immer einen bestimmten Betrag vom Gehalt auf das Langzeitkonto abzweigt. Was er mit dem Guthaben einmal machen will, wisse er noch nicht. Bis dahin sehe er es als Geldanlage an.

    60.000 Überstunden waren angefallen

    Entstanden ist das Drei-Konten-System der unterfränkischen AWO in einem jahrelangen Prozess. Weil Fachkräfte fehlten und so mancher Dienstplan „ineffektiv gestaltet“ gewesen sei, kamen laut Personalchef Roth eines Tages plötzlich 60 000 Überstunden im gesamten Haus zusammen. Es sei klar geworden: Die AWO muss anders mit der Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter umgehen – auch um deren Zufriedenheit generell zu steigern.

    Haustarifvertrag regelt die Details

    In Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat kam ein Haustarifvertrag heraus, der neben den drei Zeitkonten auch Rahmenbedingungen für die Dienstpläne vorgibt. „Wir haben hier genaue Regularien festgelegt“, so Geschäftsführer Ulses. Gemeint sind zum Beispiel exakte Kriterien, wann ein Mitarbeiter im Notfall aus der Freizeit in den Dienst geholt werden kann.

    AWO-Mitarbeiter nehmen sich vom Guthaben gerne eine Auszeit

    Das Arbeitszeitmodell indes sieht vor, dass die täglichen Stunden auf Konto eins erfasst werden. Überstunden können auf Konto zwei übertragen werden. Was sich dort angesammelt hat, wird stets am Monatsende abgerechnet. Wer will, kann die Plusstunden dann ganz oder teilweise auf Konto drei, also das Langzeitkonto mit den Zinsen, übertragen. Alles in allem hat die Betriebsvereinbarung nach Ansicht von Ulses für viel mehr Klarheit in der Belegschaft geführt – und damit zu mehr Arbeitszufriedenheit. Das hätten Mitarbeiterbefragungen gezeigt.

    „Kein Modell für Jedermann“

    Nach Darstellung von Personalchef Roth „ist der Sabbatical der Klassiker“, wenn es darum geht, wie Mitarbeiter das Guthaben auf dem Langzeitkonto nutzen. Eine solche Auszeit hat Marita Greubel Anfang des Jahres genommen. Die 63 Jahre alte Servicekraft im AWO-Parkwohnstift Bad Kissingen besuchte zweieinhalb Monate lang ihre Tochter in Neuseeland. Das Gehalt lief in dieser Zeit weiter – bezahlt aus dem Langzeitkonto. Dort sammelt sie weiter Guthaben an, um in bald früher in Rente gehen zu können. Weil für das Langzeitkonto Geld in Form von Arbeitszeit abgezweigt wird, „ist das kein Modell für Jedermann“, gibt Roth zu.

    Langzeitkonto: Es gibt auch kritische Stimmen

    Gerade Mitarbeiter mit niedrigerem Gehalt wollten das Guthaben lieber gleich am Jahresende ausbezahlt bekommen. Genau in dieser Hinsicht kritisch sieht Andreas Hoff solche Langzeitkonten: „Das muss man sich erst mal leisten können.“ Modelle dieser Art gebe es in Deutschland schon seit 1998. Der Potsdamer forscht seit Jahren im Bereich Arbeitszeitsysteme und gilt bundesweit als ein Experte auf diesem Gebiet. Für Hoff sind Langzeitkonten „furchtbar viel Aufwand“, sehr kompliziert und von zweifelhaftem Nutzen. „Denn es wird gerne verschwiegen, dass die Mitarbeiter da Abstriche bei der Rente machen.“

    Unter Umständen nicht günstig für die Rentenversicherung

    Soll heißen: Weil Arbeitslohn auf den Langzeitkonten oft über Jahre geparkt wird, bekommt die Rentenversicherung die entsprechenden Beiträge in dieser Zeit nicht. Was laut Hoff Fehlzeiten in der Rentenberechnung auslöst. Eine Verzinsung des Langzeitkonten-Guthabens – wie im Fall der AWO-Unterfranken von 2,7 Prozent – fange den Nachteil bei der Rente nicht komplett auf, meint Hoff. Nach seiner Ansicht brauche ein Mitarbeiter für eine Auszeit gar kein Langzeitkonto: Unbezahlter Urlaub oder Teilzeitlösungen – zum Beispiel neun Monate arbeiten, drei Monate frei – seien mindestens genauso sinnvoll.

    Langzeitkonten: Auch andere Arbeitgeber machen das

    So oder so: Petra Esch von der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) in Frankfurt/Main hat beobachtet, dass Langzeitkonten in Unternehmen „durchaus üblich sind“, um vor allem den Mitarbeitern einen früheren Eintritt in die Rente zu ermöglichen. Bei der Popularität solcher Konten „gibt es Wellen“ – ausgelöst unter anderem von der Tatsache, dass jüngere Generationen andere Formen der Arbeitszeit wünschten.

    Ein Wunsch, der momentan in der öffentlichen Diskussion ist: So hat die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) die Kampagne „So möchte ich arbeiten“ ausgerufen mit dem Ziel, mehr flexible Arbeitszeitgestaltung zu ermöglichen.

    Warema führte 2013 ein Langzeitkonto ein

    Früher in Rente gehen können: Das war Anfang 2013 der Grund, warum Warema ein Langzeitkonto einführte. Nach Unternehmensangaben nutzen es mittlerweile 240 von 2300 Mitarbeitern in Marktheidenfeld. Über die Verzinsung der wie bei der AWO von einem Versicherungskonzern geführten Guthaben machte Warema keine Angaben. Man wolle der Belegschaft neben dem Aspekt Rente auch die Möglichkeit einräumen, mit Hilfe der Langzeitkonten Auszeiten für Weiterbildung oder Pflege von Angehörigen nehmen zu können, hieß es.

    Warema-Chefin: Zeitkonten sind Bewerbern wichtig

    Für Warema-Chefin Angelique Renkhoff-Mücke ist ein solches Angebot mittlerweile auch ein Top-Kriterium im Kampf gegen Fachkräftemangel: Es sei zu beobachten, dass für Stellenbewerber „gerade solche Angebote (. . .) am Ende ausschlaggebend sind, für welches Unternehmen sie sich entscheiden“, sagt die Vorstandsvorsitzende in einem Image-Video über die Warema-Langzeitkonten.

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