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ERFURT/WÜRZBURG: Arbeitszeugnisse: "Falsche Beurteilungen gibt es immer"

ERFURT/WÜRZBURG

Arbeitszeugnisse: "Falsche Beurteilungen gibt es immer"

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    Eine knifflige Sache: Bei Arbeitszeugnissen kommt es auf die Feinheiten der Formulierung an.
    Eine knifflige Sache: Bei Arbeitszeugnissen kommt es auf die Feinheiten der Formulierung an. Foto: Foto: DPA

    Das Bundesarbeitsgericht machte am Dienstag die Hoffnungen mancher Arbeitnehmer zunichte, sie könnten sich künftig leichter ein gutes Arbeitszeugnis vor Gericht erstreiten. Im Fall einer Berlinerin bestätigten die Richter die bisherige Praxis. Der Würzburger Arbeitsrechtler Bernd Spengler (Foto: Kanzlei Spengler) sieht sich als Anwalt auf Arbeitnehmer- und Betriebsratsseite. Mit ihm sprachen wir über versteckte Formulierungen in Arbeitszeugnissen und die historisch gewachsene, deutsche Beurteilungskultur.

    Frage: Bei dem Bundesarbeitsgerichts-Prozess am Dienstag ging es darum, ob die Formulierung „zur vollen Zufriedenheit“ im Arbeitszeugnis noch einer durchschnittlichen Bewertung entspricht, da doch viele Arbeitgeber bei einer durchschnittlichen Leistung „stets zur vollsten Zufriedenheit“ schreiben. Laut Gesetz muss das Zeugnis klar formuliert sein. Warum sind dann solche interpretierbaren Formulierungen überhaupt zulässig?

    Bernd Spengler: Das Gesetz verlangt auch, dass die Zeugnisse wohlwollend abgefasst sein müssen. Arbeitgeber müssen nun den Spagat zwischen wohlwollend und wahr schaffen. So haben sich im Laufe der Zeit Textbausteine entwickelt. Sie enthalten abgestufte Formulierungen, die wie Schulnoten gelesen werden, aber wohlwollend klingen. Zum Beispiel „Er bemühte sich, pünktlich zu sein“ heißt „Er kam meist zu spät“.

    Warum werden dann nicht gleich nüchterne Schulnoten vergeben?

    Spengler: Man kann über das übliche System geteilter Meinung sein. Man kann Noten für klarer halten, aber das sind die Textbausteine, die die Personalabteilungen verwenden, eigentlich auch.

    Personalberater kritisieren, Arbeitszeugnisse machen viel Arbeit, sind wenig aussagekräftig und für den globalen Arbeitsmarkt ungeeignet. Halten Sie die Beurteilungen auch für unzeitgemäß?

    Spengler: Solche Kritik wird immer wieder geäußert. Aber wir müssen auch der deutschen Kultur Rechnung tragen. Die Ausstellung von Arbeitszeugnissen ist historisch gewachsen. Die Wandergesellen im 18. Jahrhundert beispielsweise bekamen vorgefertigte Briefe, in die Worte wie „treu, fleißig, rechtschaffen, mittelmäßig“ eingefügt wurden. Außerdem arbeiten die meisten Menschen ohnehin nicht global.

    Also sehen Sie keine Probleme in der Praxis beim Erstellen von Arbeitszeugnissen?

    Spengler: Es sind schon Probleme vorstellbar. Nehmen wir das fiktive Beispiel eines begabten Lehrlings in einer Kfz-Werkstatt im Landkreis Main-Spessart, der sich bei BMW bewirbt. Die Frau des Meisters kennt den Sprachcode nicht und stellt dem jungen Mann ein wohlgemeintes Zeugnis aus, das bei BMW völlig missverstanden wird und als schreckliche Beurteilung ankommt. Aber da sind eben die Textbausteine sinnvoll, die überall gleichgelesen werden.

    Und was ist mit den verklausulierten Aussagen dazwischen?

    Spengler: Gemeine Hinweise, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind, gibt es eine ganze Masse. Zum Beispiel der versteckte Hinweis auf Betriebsratstätigkeit klingt etwa so: „Er setzte sich für die Belange der Kollegen ein.“

    Was raten Sie?

    Spengler: Lassen Sie ein Zeugnis auf jeden Fall prüfen, von Betriebsrat, vom Gewerkschaftssekretär oder von einem Anwalt. Ein Arbeitszeugnis schleppt man lange mit sich.

    Nennen Sie doch ein paar Beispiele für den Zeugniscode.

    Spengler: „Er hat alle Arbeiten ordnungsgemäß erledigt“ heißt, er ist ein Bürokrat ohne Eigeninitiative. „Durch seine Geselligkeit trug er zur Verbesserung des Betriebsklimas bei“ bedeutet, er ist Alkoholiker. „Mit den Vorgesetzten ist er gut zurechtgekommen“ wird ein Mitläufer, der sich nach oben anpasst, beschrieben. „Wir haben ihn stets als einsatzwilligen und beweglichen Mitarbeiter kennengelernt, der stets bemüht war, die ihm übertragenen Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit in seinem und im Interesse der Firma zu lösen“ versteckt, dass er den Arbeitgeber auf sehr geschickte Art bestohlen hat.

    Kommt es in Ihrer Praxis oft vor, dass Arbeitnehmer mit dem Zeugnis noch eins ausgewischt bekommen?

    Spengler: Ja. Typisch ist ein Streit ums Zeugnis bei einem unschönen Ende des Arbeitsverhältnisses. Da hat jemand vielleicht 15 Jahre gut gearbeitet und zum Schluss gibt es einen Vorfall, der das Zeugnis belastet und alles zerstört, die vergangenen positiven Jahre sind vergessen. Es ist menschlich nachvollziehbar. Meist reicht dann ein Anwaltsbrief, der mit guten Argumenten um Verständnis wirbt.

    Ein Gerichtsverfahren ist ja auch für den Arbeitgeber eine Belastung...

    Spengler: Vor allem die Beweisaufnahme ist ein Riesenaufwand. Wer soll die Leistung eines Arbeitnehmers abweichend vom Zeugnis bewerten? Dann müssen ehemalige Kollegen und vielleicht Kunden befragt werden. Meist werden die Konflikte außergerichtlich oder spätestens im Güteverfahren geregelt. Ich habe in den vergangenen 20 Jahren nur drei- oder viermal ein Verfahren bis zum Urteil führen müssen.

    Welche Kriterien gelten denn für ein vernünftiges Arbeitszeugnis?

    Spengler: Es sollte diese Informationen enthalten: Zeitraum der Beschäftigung, Beschreibung des Arbeitgebers, eine vollständige Aufzählung der Tätigkeitsfelder, die Qualität und Quantität der Arbeit, die Fortbildungen, das Sozialverhalten gegenüber Vorgesetzten, Kunden, Kollegen. Daraus ergibt sich die Gesamtbeurteilung, also beispielsweise „zur vollsten Zufriedenheit“. Zum Schluss steht die Abschiedsformel mit abgestuften Formulierungen zu Dank und Zukunftswünschen.

    Würden Sie im Allgemeinen etwas an der gängigen Zeugnispraxis ändern?

    Spengler: Falsche Beurteilungen gibt es immer. Das ist meiner Meinung nach das einzige Problem. Aber inzwischen ist der Sprachcode bekannt, und die Bedeutung von Formulierungen ist vielfach nachzulesen.

    Es wird nicht leichter, ein besseres Arbeitszeugnis zu erstreiten

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