Für den ehemaligen Bankvorstand Gerhard Gribkowsky ist die Welt auf acht Quadratmeter geschrumpft: Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl. Aus dem Waschbecken der Nasszelle mit Klo fließt kaltes Wasser, duschen darf er sich höchstens dreimal pro Woche gemeinsam mit drei anderen Männern. Seit mehr als einem Jahr sitzt der einstige Spitzenbanker der BayernLB wegen des Verdachts der Bestechlichkeit in der Münchner Justizvollzugsanstalt Stadelheim in Untersuchungshaft - und ist dort ein Häftling wie jeder andere. „Es gibt keine Sonderbehandlung für Wirtschaftsgefangene“, sagt der Justizvollzugsbeamte Hermann Wals. Seit mehr als 25 Jahren arbeitet er dort und hat neben Mördern, Räubern und Betrügern auch immer wieder mal Manager hinter den sechs Meter hohen Mauern begrüßt.
Hart ist der Einzug in das Gefängnis für viele der rund 1000 Untersuchungshäftlinge in Stadelheim. Kaum einer fällt aber so tief wie Wirtschaftsbosse, die ein Leben in Luxus gewohnt waren und aus ihren Villen in einen „Haftraum“ umziehen müssen, wie die Zellen in Stadelheim genannt werden. Zwar haben Untersuchungsgefangene, für die bis zu einem rechtskräftigen Urteil die Unschuldsvermutung gilt, einen Anspruch auf eine Einzelzelle. Ihre Flurnachbarn dürfen sie sich aber nicht aussuchen. Mord, Totschlag, Drogenhandel, Betrug oder Steuerhinterziehung? Das spielt bei der Zimmerbelegung der JVA meist keine Rolle. „Grundsätzlich haben alle Untersuchungsgefangenen die gleichen Rechte und werden nicht in nach Tatvorwurf getrennten Abteilungen untergebracht“, sagt eine Sprecherin des bayerischen Justizministeriums.
Im Gefängnis-Alltag hat sich die gemeinsame Unterbringung nach Ansicht des Anstaltspsychologen Andreas Alter bewährt. „Durch die Mischung korrigieren sich die Gefangenen selbst in ihrem Verhalten.“ Wirtschaftshäftlinge kommen bei vielen Gefangenen gut an, weil sie sich gut ausdrücken können und sich im Umgang mit Behörden auskennen. „Dadurch können sie den anderen auch mal Hilfestellung leisten beim Schreiben von Briefen“, sagt Wals. „Sie haben eine hohe Stellung in der Gefängnis-Hierarchie“, bestätigt Gribkowskys Anwalt Daniel Amelung. Auch beim Personal sind die smarten Manager meist beliebt, weil sie sich gut benehmen und schnell lernen, Justizvollzugsbedienstete korrekt mit „Herr Beamter oder „Frau Beamtin“ anzureden. „Wärter ist bei uns ein Schimpfwort“, sagt Wals.
Trotzdem leiden Vorstände oder Geschäftsführer nach Einschätzung von Rechtsanwälten massiv unter der Haft. „Sie werden aus ihrem Umfeld herausgerissen und müssen sich unterordnen“, sagt Rainer Brüssow, der in seiner Anwaltslaufbahn außer Gribkowsky schon eine ganze Reihe Angeklagter aus der Wirtschaftswelt vertreten hat. Im Gefängnis kämen sie mit Menschen in Kontakt, mit denen sie sonst nie zu tun hatten. „Sie werden nicht resozialisiert, sondern entsozialisiert.“ Das sieht JVA-Psychologe Alter anders: „Hier treffen sie Menschen, die mit 1200 Euro auskommen müssen – und zwar im Monat, nicht pro Tag.“ Auf ihren gepflegten Lebensstil müssen sie in Haft verzichten. Der größte Komfort in der Zelle ist ein kleiner Fernseher, den sie wie alle Untersuchungshäftlinge für 13,80 Euro Mietgebühr pro Monat nutzen dürfen. Putzen müssen sie ihren Raum und das Klo zweimal pro Woche selbst. Statt Feinkost im Restaurant gibt es als Mittagessen Kartoffelbrei mit Frikadellen oder andere Mahlzeiten aus der Großküche – serviert in der Zelle. Obst oder Süßigkeiten dürfen sie alle zwei Wochen im Gefängnisgeschäft in Maßen selbst einkaufen. Mit ihren Frauen und Kindern dürfen sie maximal alle zwei Wochen eine Stunde lang durch eine Glasscheibe im überwachten Besucherraum sprechen. Nur die Anwälte dürfen jederzeit in die JVA.
Aus Sicht von Verteidiger Dirk Petri nutzt die Justiz die Untersuchungshaft bei Wirtschaftsstraftaten weniger wegen Flucht- oder Verdunklungsgefahr, sondern um Druck aufzubauen und langwierige Prozesse durch ein Geständnis zu vermeiden. „Beugehaft“, nennt er das. „Manche sind bereit, ihre Großmutter zu verkaufen um da raus zu kommen“, sagt Anwalt Amelung. Gribkowsky zählt nicht dazu: Er schweigt vor Gericht eisern zu dem Vorwurf, 44 Millionen Dollar Bestechungsgeld von Formel 1-Chef Bernie Ecclestone angenommen zu haben. Zwei bis dreimal pro Woche wird er seit Oktober von Stadelheim ins Münchner Landgericht gefahren. Im Gefangenentransport ist der 53-Jährige mit dunklem Anzug, Krawatte, Weste, und Einstecktuch ein Exot, denn als Untersuchungshäftling darf er seine eigene Kleidung anziehen – und die unterscheidet sich von der seiner meisten Mitbewohner. Die Anzüge füllt er inzwischen nicht mehr aus, er hat seit seiner Verhaftung mehrere Kilo abgenommen. Am Freitag ist der Prozess gegen ihn wegen gesundheitlicher Probleme unterbrochen worden.