Bis 1861 wurde Juden in Bayern nur sehr zurückhaltend die Erlaubnis zur Niederlassung und Heirat gewährt. Tausende, vor allem junge Menschen wanderten deshalb in die USA aus. Auch drei Söhne des unterfränkischen Viehhändlers Abraham Lehman emigrierten. Als Hajum (später Henry) Lehman ankam, war er erst 23 Jahre alt. Gemeinsam mit seinen beiden Brüdern Emanuel und Mayer Lehman gründete er 1844 in Alabama eine Gemischtwarenhandlung. Dies war die kleine, noch unscheinbare Keimzelle aus der später einmal Lehman Brothers, eine der größten Investmentbanken an der Wall Street, entstehen sollte.
Schon bald sattelten die Lehmans auf den Handel mit Baumwolle um und nach dem Bürgerkrieg verlagerten sie den Sitz der Gesellschaft nach New York. Vom Rohstoffhändler entwickelte sich Lehman Anfang des 20. Jahrhunderts zur Investmentbank, die Firmen wie Woolworths oder Studebaker an die Börse brachte.
Die armen Emigranten aus Rimpar waren zu einer der bedeutendsten deutsch-jüdischen Dynastien in Amerika aufgestiegen. Eine Familie, die nicht nur Banker hervorbrachte, sondern auch prominente Politiker wie Herbert Lehman, der 1932 die Wahl zum Gouverneur von New York gewann. Die Familie prägte die Geschicke der Investmentbank bis zum Tod von Robert „Bobby“ Lehman 1969. Der Patriarch war der letzte Lehman an der Spitze des Geldhauses.
Es folgten turbulente Jahre. Zunächst führte der neue Vorstandschef Peter Peterson Lehman zu neuen Rekorden. Doch dann drohte die Firma in einem Machtkampf zwischen Händlern und Investmentbankern unterzugehen. Peterson verlor seinen Job, sein Nachfolger Lewis Glucksman musste die Traditionsfirma 1984 an einen Ableger des Finanzkonzerns American Express verkaufen. Zehn Jahre später beschloss American Express, sich von seinem Bankengeschäft zu trennen und entließ Lehman Brothers wieder in die Selbstständigkeit.
Obwohl die Traditionsbank mit den deutsch-jüdischen Wurzeln immer wieder als Übernahmeziel gehandelt wurde, liefen die Geschäfte unter dem neuen Vorstandschef Richard „Dick“ Fuld nicht schlecht. In den vergangenen Jahren versuchte Fuld die Bank, die als klassisches Anleihehaus mit Schwerpunkt in den USA galt, auf eine breitere Basis zu stellen. Lehman startete eine Offensive im Aktiengeschäft und bei der Beratung von großen Übernahmen und Börsengängen und versuchte, den Anteil von Europa und Asien an den Einnahmen zu stärken. Außerdem stieg Fuld aggressiv ins Asset Management (die Verwaltung von Anlagen) ein. 2003 schluckte Lehman für 2,6 Milliarden Dollar den Vermögensverwalter Neuberger Berman.
Die Initiative hatte zunächst Erfolg; Lehman zählt mittlerweile zu den großen Spielern im Aktienhandel und über die Hälfte ihrer Einnahmen verdient die Bank inzwischen in Europa und in Asien.
Doch der Strukturwandel reichte nicht, um die Bank vor dem Schock der Kreditkrise zu schützen. 2007 musste Lehman seine Hypothekentochter BNC Mortgage schließen und Tausende Mitarbeiter entlassen. Im zweiten Quartal 2008 musste das Institut einen Verlust von 2,8 Milliarden Dollar präsentieren, für das dritte Quartal kamen gestern noch einmal 3,9 Milliarden hinzu, viel mehr als die Analysten befürchtet haben. Die Zukunft der Traditionsbank steht nach wie vor auf der Kippe. Das Erbe der Emigranten aus Rimpar droht im Sog der Kreditkrise unterzugehen.
Im Blickpunkt
Buch-Tipp Die Geschichte der Familie Lehman schildert Main-Post-Redakteur Roland Flade in dem Buch „The Lehmans. From Rimpar to the New World. A Family History“ (Königshausen & Neumann, Würzburg)