Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, lässt keinen Zweifel: Im Kampf gegen Mini-Inflation und Konjunkturschwäche im Euroraum wird er sein schärfstes Instrument nutzen. Damit stehen Europas Währungshüter vor einem historischen Schritt: Sie könnten an diesem Donnerstag den Kauf von Staatsanleihen in großem Stil beschließen.
Warum plant die EZB umfangreiche Anleihenkäufe?
Die Preisentwicklung im Euroraum bereitet den Notenbankern Sorgen. Im Dezember sind die Verbraucherpreise erstmals seit dem Krisenjahr 2009 gesunken. Seit Monaten liegt die Inflation unter der EZB-Zielmarke von knapp 2,0 Prozent. Die Geldpolitiker fürchten ein Abrutschen in eine Deflation – eine Spirale aus rückläufigen Preisen und schrumpfender Wirtschaft. Erwartet wird, dass Draghi Sorgen aus Deutschland ausräumen will und Zugeständnisse machen wird. Nach einem „Spiegel“-Bericht soll eine Kaufbeschränkung auf nationale Schuldtitel verhindern, dass Deutschland die Haftungsrisiken für andere Länder übernimmt.
Steckt der Euroraum bereits in der Deflation?
Nein. „Ich würde von Deflation sprechen, wenn sowohl die Preise als auch die Wirtschaftsleistung sinken und sich das Problem immer weiter verstärkt – weil die Menschen nicht investieren oder konsumieren, wenn sie auf weiter fallende Preise warten. Bisher ist das nicht der Fall“, sagt EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré.
Hat die Notenbank andere Instrumente, um die Inflation zu erhöhen?
Normalerweise senkt sie die Zinsen. Das verbilligt Kredite und treibt Konjunktur wie Inflation an. Doch der Leitzins liegt bereits bei 0,05 Prozent. „Wir befinden uns in einer Lage, in der wir den Zinssatz noch weiter senken müssten, aber das geht gar nicht mehr“, räumte Mario Draghi kürzlich ein. „An diesem Punkt müssen wir zu unkonventionellen Mitteln greifen.“ Die EZB könnte auch Unternehmensanleihen kaufen.
Was genau plant Draghi?
Der Italiener will Staatsanleihen kaufen, im Gespräch ist ein Wert von 500 Milliarden Euro. Bei dem Programm – im Fachjargon Quantitative Lockerung („Quantitative Easing“, QE) genannt – drucken sich Zentralbanken quasi selbst Geld, um Wertpapiere zu kaufen. Das soll langfristige Zinsen senken. Zudem wird Geld ins Bankensystem geschleust, das die Institute anderweitig – etwa als Kredite – verwenden können. Das soll die Konjunktur anschieben. Die Menge (Quantität) des Zentralbankgeldes nimmt zu, daher der Begriff „Quantitative Lockerung“. Verkäufer der Anleihen sind etwa Banken.
Wie wahrscheinlich ist ein baldiger EZB-Beschluss?
Sehr wahrscheinlich. „Wir sind auf jeden Fall in der Lage, am 22. Januar eine Entscheidung zu treffen. Was nicht bedeuten muss, dass wir tatsächlich schon entscheiden“, sagte Coeuré. Draghi hatte betont, er würde Anleihenkäufe auch gegen deutschen Widerstand durchsetzen. Sollte sich der EZB-Rat nicht einigen, wäre die auswärtige Sitzung in Zypern am 5. März nächstmöglicher Termin.
Wie argumentieren die Kritiker von Staatsanleihenkäufen?
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befürchtet, Anleihenkäufe könnten die Reformmüdigkeit in Krisenländern verstärken. Wenn Staaten darauf bauten, dass die Notenbank die Zinsen durch den Erwerb von Staatsanleihen deckelt, könnten Regierungen zu Schulden verleitet werden. Auch EZB-Direktoriumsmitglied Sabine Lautenschläger warnt vor Gefahren: Staatliche Wertpapiere im Euroraum seien nicht ohne Risiko.
Gibt es weitere Bedenken gegen das Vorhaben?
Kritiker meinen, die EZB finanziere letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache die Notenbank abhängig von den Staaten und gefährde ihre Unabhängigkeit. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn sieht eine „monetäre Staatsfinanzierung“, welche die EU-Verträge verbieten. Der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes BdB, Michael Kemmer, warnt vor Preisblasen an Vermögensmärkten. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer meint, die EZB würde durch Staatsanleihenkäufe vor allem Banken belohnen, die auf Geheiß ihrer Finanzminister in großem Stil Staatsanleihen kauften.
Was bedeutet das jüngste Gutachten des EuGH für die EZB?
Aus Luxemburg bekamen die Euro-Retter in der vergangenen Woche Rückendeckung für ihren Kurs: Grundsätzlich dürfe die EZB Anleihen von Krisenstaaten kaufen, befand der einflussreiche Gutachter. Voraussetzung sei, dass die Käufe gut begründet und verhältnismäßig seien. Dies bezog sich zwar auf das Anleihenkaufprogramm aus dem Sommer 2012 (OMT). Dennoch machte der Gutachter deutlich, wer die alleinige Verantwortung für die Geldpolitik trägt: die EZB.