Gunter Pauli hat eine Vision. Die Menschen nehmen sich die Natur zum Vorbild, denken und handeln in Kreisläufen, entwickeln innovative, effiziente und rentable Wirtschaftsmodelle. Ziel dieser Blue Economy: Die Bedürfnisse aller mit dem vor Ort verfügbaren zu befriedigen. Am Freitag, 21. Juni, um 18 Uhr spricht er bei den Hochschultagen in Schweinfurt in der Aula der FH. Der Vortrag wird im Internet übertragen unter hochschultage-live.fhws.de
Frage: Wie sind Sie eigentlich auf den Namen „Blue Economy“ gekommen?
Gunter Pauli: Blue, weil der Himmel doch blau ist. Und der Ozean ist blau. Die Erde vom Universum angeschaut ist ja auch blau. Deswegen mal blau. Das Wichtige ist, dass wir weitergehen als grün.
Grün ist nur für die, die Geld haben, haben Sie mal geschrieben.
Pauli: Das ist leider so geworden, das war nicht so vorgesehen. Dank neuer Geschäftsmodelle soll es uns gelingen, das Gute für Mensch und Natur billiger zu machen und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen. Mit dem, was lokal vorhanden ist. Biologische Produkte sind gut, aber nicht immer nachhaltig.
Der Mensch muss sich zum Homo sapiens entwickeln, fordern Sie. Glauben Sie wirklich, dass er das schafft?
Pauli: Ich glaube erst muss ich mal fragen: Ist der Mensch sich bewusst, dass er Homo non sapiens ist? Dem Menschen ist gar nicht bewusst, was er nicht weiß. Und das ist das größte Problem. Und deswegen ist er sich auch nicht bewusst, welche unglaublichen, fantastischen, schönen Lösungen es auch gibt.
Und vielleicht ist der Mensch aber auch faul? Wenn er anfängt anders zu denken, anders zu handeln, anders zu arbeiten und zu produzieren, ist das ja schon mühsam. Man muss sich anstrengen.
Pauli: Er muss vor allem umlernen. Wir wissen so viel, aber das Wissen ist nicht das richtige Wissen. Wenn ich jetzt Trinkwasser haben will und nur mit Chlorchemie das Wasser trinkbar mache, dann habe ich doch den Blick verloren. In der Natur reinigen Wirbelbewegungen das Wasser. Aber das ist eine nicht lineare Mathematik.
Und das ist ja eigentlich der Hauptpunkt an ihren Thesen. Oder was heißt Thesen, Ideen. Das wir einfach versuchen müssen, in Kreisläufen zu denken.
Pauli: Wir müssen alles verknüpfen. Das heißt, wir müssen denken wie ein Großmeister des Schachspiels. Wenn der Gegner einen Zug macht, denkt der Großmeister schon an die nächsten zehn Schritte. Die kennt er schon, er weiß, was möglich ist. Und das geht schnell. Aber wir denken leider nur in Ursache und Effekt. Wir können uns nicht vorstellen was die nächsten zehn Schritte sind. Obwohl ein Kind, das fünf/sechs Jahre alt ist, das denkt ja gleich mit viel Fantasie an Hunderte von anderen Dingen. Und dem sagen wir: Aber das ist ja nur Fantasie.
Das hat ja dann auch zu Scheinlösungen geführt wie zum Beispiel beim Biokraftstoff oder beim Projekt, Waschmittel mit umweltfreundlichem Palmöl herzustellen. Nur wurden dafür Wälder abgeholzt in Asien. Das hat Sie ganz schön erschreckt, damals.
Pauli: Genau, wir müssen verknüpft denken. Wir müssen ja weiter gucken, als unsere Nase lang ist. Ja, Bio ist gut, aber die Reinigungsmittel, die hergestellt werden, sind nicht nachhaltig. Da haben wir etwas zu viel Romantik aufgebaut, um zu sagen, na ja, alles ist Bio. Aber immer noch nicht nachhaltig. Und das ist eine der großen Herausforderungen der Menschen. Wir müssen weiter denken, nicht nur eine Frage stellen. Und wenn ich in der Lage bin, die Kinder zu ermutigen, Fragen vorzulegen auf die die Eltern keine Antwort haben, dann haben wir eine Chance, Fortschritt und Innovation kreativ durchzusetzen und die Gesellschaft zu entwickeln.
Wie glauben Sie könnte es möglich sein die Menschen zu überzeugen ihr Leben zu ändern oder anders zu denken? Muss jetzt noch eine größere Krise kommen, damit jeder einsieht, dass es so nicht weitergeht? Oder muss es in den Schulen anfangen? Mit der Erziehung?
Pauli: 99 Prozent der Männer rauchen nicht mehr, wenn sie wissen, dass sie Lungenkrebs haben. Leider. Warum haben sie nicht früher aufgehört zu rauchen? Warum, wenn die Tatsache so klar vorliegt, sagt man nicht einfach: Jetzt rauch ich nicht mehr. Aber es gibt eine andere Möglichkeit. Ich glaube deswegen schreibe ich meine Märchen, meine Fabeln, meine Kindergeschichten, um die Leute zu inspirieren. Wissen Sie, wenn ein Kind hört, dass der Walfisch in der Lage ist, die gleiche Kraft zu schaffen, als vier kleine Doppel-A-Batterien, dann ist es total begeistert. Nicht, weil er den Walfisch schützen will, sondern, weil ihn der Walfisch fasziniert. Und wenn das Kind viele von diesen Geschichten hört, dann ergibt sich eine Kaskade von Möglichkeiten.
Sie sind durch und durch Optimist. Sie glauben daran: Wenn wir alle was machen, was ändern, dann ergibt sich etwas ganz neues.
Pauli: Wenn ich in Afrika in einem Dorf bin, und zusammen mit meiner Tochter den Leuten vorschlage, Pilze zu züchten mit Agrarabfall als Grundlage, stehen die Frauen auf sin gen, tanzen und fangen an. Und zwei Wochen später ernten wir ja dann die ersten Pilze. Was tun wir in Europa? Wir brauchen eine Machbarkeitsstudie. Wir müssen eine kleine Probe im Labor machen. Und am Ende des Tages haben wir Geld verschwendet und haben nichts getan. Ziel des Lebens sollte es sein, mal zu probieren, mit viel Enthusiasmus zu schaffen, was wir denken, was möglich ist. Woanders brauchen die Menschen nicht eine Laborprobe, um etwas auszuprobieren. Vor 20 Jahren hat man uns ausgelacht, als wir vorgeschlagen haben, Papier aus einer Mischung aus dem Material von PET-Flaschen und Bergbau-Abfall, Stein, herzustellen. Die erste Anlage wurde in Taiwan gebaut. Die nächsten drei werden in China gebaut. Die fünfte Anlage wird in Mexiko gebaut. Die sechste in Kolumbien. Die Europäer wollen immer noch eine Machbarkeitsstudie zu machen. Und wenn ich sage: Aber bitte, kommen Sie mal rüber nach China und sehen, wie wir Papier machen ohne Wasser. Und dann sagen die Europäer, das funktioniert doch gar nicht. Und ich glaube die große Herausforderung ist es, die Menschen zu inspirieren, damit sie sagen, das geht, das gibt es doch schon.
Sie haben auch alle verblüfft, als aus einem Stück Savanne in Kolumbien wieder Regenwald wurde.
Pauli: Die Unwissenheit der Menschen hat dazu geführt, dass eine Savanne entstanden ist. Der Wald wurde abgeholzt, um Vieh zu züchten. Aber jetzt haben wir 8000 Hektar Regenwald wieder generiert. Das geht doch nicht, sagen wieder viele. Dann geht doch bitte mal hin, und schaut euch das an.
Sie haben Märchen für Kinder geschrieben – Kinder sind für Sie ein Schlüssel, um zur Blue Economy zu kommen?
Pauli: Ja, deswegen ist Ausbildung so wichtig. Ausbildung ist für mich, wenn die Kinder lernen, einen Unterschied zwischen Vision und Fantasie zu machen. Wir brauchen Visionen für die Zukunft. Wir brauchen keine Fantasie. Aber, wie weiß ich, ob Steinpapier jetzt Fantasie oder Wirklichkeit ist? Dann muss ich das mal probieren, muss mich mal hin setzen mit Wissenschaftlern und mit Leuten die sagen: Wäre schön, wenn wir eines Tages Papier hätten, das nicht aus Bäumen besteht und kein Wasser braucht zur Herstellung. Blue Economy heißt, etwas ersetzen, Zum Beispiel Baumfasern mit Bergbauabfall.
Alles fängt also im Kopf an?
Pauli: Wir fragen uns oft: „Ist das Glas halb voll oder halb leer?“. Das Glas ist immer voll. Mit Luft und mit Wasser. Deswegen ist es so wichtig Fragen zu stellen, die wir normalerweise nicht hören. Es ist doch unverschämt, dass wir den Kindern nur das vermitteln, was schon in Wikipedia steht. Das brauchen sie nicht. Das steht ja schon für alle zur Verfügung.
Pilze anbauen ist für Sie ein perfektes Mittel, in Kreisläufen zu arbeiten, hochwertiges Protein ohne große Kosten zu produzieren und dabei noch Arbeitsplätze zu schaffen. Klappt das auch in Gegenden, in denen der Pilz nicht zum Standard-Essen gehört? In Afrika scheinen die Menschen ja wohl durchaus bereit zu sein, mal was Neues auszuprobieren.
Pauli: Uns hat man beigebracht, Hamburger zu essen. Warum hat McDonalds so einen Erfolg? Weil es billig ist. Man muss es schaffen, dass das Gute billig wird. Nicht das Schlechte. Und wir haben heutzutage 312 Pilzunternehmen in der Welt. Im Zentrum von Paris, im Zentrum von Amsterdam. Aber auch in Seoul, in Sydney, in Mexiko, in San Francisco und auch in vielen Dörfern. Vor allem in Afrika und Südamerika. Das klappt ganz einfach, weil wir verwenden was lokal zur Verfügung ist. Und wenn ich einen Baum anpflanze, dann weiß ich, dass ich in 30 Jahren den Baum sehen kann. Aber wenn ich Hunger habe und meinen Kinder Essen geben will, dann habe ich keine 30 Jahre Zeit. Dann muss ich kurzfristig eine Lösung haben. Innerhalb von zwei Wochen kann man Pilze ernten.
Für die Pilzzucht wird der Kaffee-Abfall weiterverwendet. Etwas, das sonst einfach weggeworfen würde. Ein schönes Beispiel für den Kreislauf.
Pauli: Ja, das Ergebnis hat uns überrascht. Es gab mehr Pilze, als sich vermarkten ließen. Jetzt sind wir darauf gekommen, dass man viel mehr Geld verdient, wenn man Pilzkroketten herstellt, als frische Pilze zu verkaufen. Wir haben mehr Einnahmen und mehr Arbeitsplätze. Und das braucht Europa dringend.
Was macht eigentlich Familie Pauli selbst, um die Ideen der Blue Economy umzusetzen?
Pauli: Das Wichtigste ist es, meiner Meinung nach, den Kindern etwas mitzugeben. Ich habe fünf Kinder, auch der jüngste mit zweieinhalb Jahren weiß, wie man Pilze züchten kann und züchtet auch Pilze zu Hause. Den Abfall nach der Ernte fressen unsere Hühner. Und wenn das Kind sieht, wie Mama Kaffee trinkt und der Kaffeesatz verwendet wird um Pilze zu züchten, und den „Abfall“ verwendet man um den Hühnern Essen zu geben und dann geben die Hühner ihre Eier, dann ist das Kreislaufdenken ja schon eine Wirklichkeit zuhause. Und das ist das Wichtigste. Wie können wir mit dem, was wir zu Hause zur Verfügung haben, mehr selbstversorgend sein. Wir machen von unseren Orangen und Zitronen unsere eigenen Reinigungsmittel. Das ist einfach. In einer kleinen Flasche werden die Schalen mit zwei Löffeln Zucker gemischt. Das lassen wir drei Wochen stehen und dann haben ein duftendes Waschmittel. Wenn Kinder das erleben und weitererzählen, dann haben wir eine Chance, Schritt für Schritt eine neue Zukunft aufzubauen.
Wann könnte die neue Zukunft da sein?
Pauli: Wir brauchen eine Generation. Wir müssen aber bereit sein, Risiken einzugehen. Wenn wir wissen, wie die Verknüpfungen auf kleiner Ebene sind, können wir uns mit der größeren Ebene auseinandersetzen. Wir sollten tausende von kleinen Risiken in Kauf nehmen, um etwas auszuprobieren. Und wenn wir wissen, dass etwas funktioniert, es auch durchsetzen. So haben wir es mit der Pilzzucht in Afrika gemacht. Und es hat sogar in Namibia klappt, wo man uns gesagt hat, es gibt keinen Wald, keinen Regen. Wenn es heißt, dass es nichts gibt, dann müssen sie nochmal gucken. Es gibt ja immer etwas. Und jetzt haben wir 17 Pilzzuchtzentren in Namibia. Wir müssen uns immer anpassen. Lokal steht immer etwas zur Verfügung, was wir noch nicht kennen.
Was wird denn der Schwerpunkt Ihrer Rede in Schweinfurt sein?
Es wäre schön, wenn die Jugendlichen danach sagen: „Mensch, das Leben ist schön für uns. Unsere Eltern wissen so wenig, wir werden das mal alles schaffen.“
Gunter Pauli
Der Unternehmer, Autor und Vortragsreisender stammt aus Belgien (Jahrgang 1956), er lebt zur Zeit in Südafrika. Pauli war Assistent von Aurelio Pecci, dem Gründer des Club of Rome. 1994 wurde er an die United Nations University in Tokyo berufen, um das Kyoto-Protokoll vorzubereiten. Er ist Mitbegründer der Zero Emissions Research and Initiatives. Ziel: „Null-Abfall“ und „Null-Verschwendung von Ressourcen“. Der Vortrag im Rahmen der Hochschultage an der FHWS in Schweinfurt wird im Internet übertragen unter hochschultage-live.fhws. Die Veranstaltung beginnt um Hochschultage beginnen um 18 Uhr, der Vortrag gegen 18.40 Uhr.. text: SG/FOTOs: Thinkstock/Blueacademy