Gleicher Lohn, gleicher Urlaub, gleicher Schutz vor Kündigungen im Krankheitsfall – die europäischen Sozialstandards sollen alle Arbeitnehmer schützen: die Einheimischen vor Billiglohn-Kräften, die Entsandten vor Ausbeutung durch geringere Sozialleistungen. Doch die Realität sieht anders aus.
Mit Tricks wie längeren Arbeitszeiten oder unfairen Abzügen werden immer wieder Arbeitnehmer ausgebeutet. „Mit unserem Vorschlag für den Zugang zum Sozialschutz stellen wir gemeinsam mit den Mitgliedstaaten sicher, dass niemand zurückgelassen wird“, betonte EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen am Dienstag in Straßburg.
Ihre Lösung, die sie gestern vorstellte und die ab 2019 wirken soll, heißt ELA (European Labour Authority), eine Europäische Arbeitsbehörde mit 150 Mitarbeitern, die nicht nur grenzüberschreitende Kontrollen der nationalen Behörden koordinieren, sondern auch die selbstständig die Einhaltung der EU-Garantien für Job-Inhaber überwachen. Um diese Arbeit möglich zu machen, will Brüssel die Mitgliedstaaten zur Einführung einer europäischen Sozialversicherungsnummer anhalten.
Damit sei es leichter, bei Kontrollen vor Ort festzustellen, ob die Beschäftigten ordnungsgemäß kranken- oder rentenversichert sind. Der Dachverband der Gewerkschaften in den Mitgliedstaaten ETUC ist grundsätzlich einverstanden. Doch hinter den Kulissen formiert sich bereits heftiger Widerstand gegen ein weiteres Vorhaben der Brüsseler Kommission, in den Arbeitsmarkt einzugreifen, obwohl die Gemeinschaft für diesen Bereich eigentlich gar nicht zuständig ist.
Schon die Reform der Entsenderichtlinie, die gerade vorbereitet wird und die grundsätzliche Fragen eines zeitweisen Aufenthaltes in einem EU-Mitgliedsland regeln soll, hatte Unternehmen und Arbeitgeberverbände auf den Plan gerufen. In einem bislang nicht veröffentlichten Schreiben der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) an den künftigen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist von „völlig überflüssiger Bürokratie“ und „auf jeden Fall gravierenden Korrekturen“ die Rede, die noch nötig seien. Anlass dafür ist die sogenannte Nachweisrichtlinie der EU, die zu dem Reformpaket der Sozialkommissarin gehört und auf der die nun favorisierte Arbeitsagentur aufbaut. Schon die Definition eines Arbeitnehmers stößt bei den Unternehmen auf massiven Widerstand. In der jetzt gültigen Fassung gilt als „Arbeitnehmer eine natürliche Person, die während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält“.
Dies würde nach Auffassung des BDA dazu führen, dass „selbst nach deutschem Verständnis eindeutige Vertragsbeziehungen plötzlich als Arbeitsverhältnis gewertet werden könnten“ – mit den dazugehörigen Konsequenzen. Welche Ansprüche beispielsweise ein Handwerker aus einem kleinen Auftrag zur Reparatur im Badezimmer eines Kunden ableiten könnte, will man sich beim BDA lieber nicht ausmalen.
Zwar gibt es durchaus Verständnis für das Bemühen der EU-Kommission, Verstöße gegen die geltenden Sozialstandards auch wirksam zu verfolgen. „Aber solchen illegalen Praktiken kommt man nur über effektive Kontrolle durch bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Behörden bei, nicht aber indem man die übergroße Mehrheit der sich rechtstreu verhaltenden Unternehmen mit einem Wust von noch mehr unnötiger Bürokratie überschüttet“, heißt es in dem Brief an Altmaier. Der BDA steht mit seiner Ablehnung nicht alleine da. Auch andere Experten bezweifeln, ob Zweifel am Sozialversicherungsnachweis eines Bauarbeiters aus Südosteuropa künftig schneller geklärt werden können. Bisher dauert das Monate. Die neue Behörde werde daran nicht viel ändern können, hieß es gestern in Brüssel.