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WÜRZBURG: Industrie 4.0: Firmen in Mainfranken bekommen Hilfe

WÜRZBURG

Industrie 4.0: Firmen in Mainfranken bekommen Hilfe

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    Wenn Kollege Roboter mit anpackt, ist das oft eine Entlastung für Menschen. Im Schadensfall kommt es allerdings meist zu komplizierten Haftungsfragen.Thinkstock
    Wenn Kollege Roboter mit anpackt, ist das oft eine Entlastung für Menschen. Im Schadensfall kommt es allerdings meist zu komplizierten Haftungsfragen.Thinkstock Foto: Foto:

    Die digitale Revolution wird Anwälten vermutlich eine Menge Arbeit bescheren. Denn etliche Fragen rund um die „Industrie 4.0“ sind noch ungeklärt. Wobei bereits viel Forschungsarbeit geleistet wurde – vor allem in der Forschungsstelle RobotRecht am Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsinformatik der Uni Würzburg.

    Aus dieser Einrichtung heraus wurde nun ein Kompetenzzentrum gegründet, das Firmen aus Mainfranken in Zukunft unterstützen will. „Im Laufe des August wollen wir mit einer Homepage online gehen“, verrät Juraprofessor Eric Hilgendorf, der die 2010 gegründete Forschungsstelle und auch das Kompetenzzentrum leitet. Voraussichtlich ab Herbst möchte das Zentrum in Kooperation mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) Kurse für Firmen anbieten. Dabei sollen Einzelaspekte der Digitalisierung betrieblicher Prozesse erörtert werden. Eine studentische „Legal Clinic“ wird außerdem helfen, Spezialfälle aus der Praxis zu lösen.

    Heikle Herausforderungen

    Wie heikel die Herausforderungen der vierten industriellen Revolution sind, zeigt Hilgendorf an einem Beispiel: So sind Hightech-Maschinen heute imstande, Menschen, die an körperlich anspruchsvollen Arbeitsplätzen tätig sind, zu entlasten: „Etwa, wenn es um das schwere Heben geht.“ Diese Maschinen können inzwischen optimal an den Menschen angepasst werden. Dafür werden sie mit Daten gespeist. Da geht es etwa darum, wie schwer und wie groß ein Mensch ist, wie viel Kraft er hat und wie es um seine Beweglichkeit bestellt ist. Gefüttert mit solchen Daten, wird die Maschine quasi zum „Traumarbeitsassistenten“.

    Medaille mit zwei Seiten

    Ein solcher auf den Leib geschneiderter Assistent könnte dazu beitragen, dass ein Mensch, der etwa an Rückenproblemen leidet, seinen Arbeitsplatz trotz Erkrankung behalten kann. Doch es gibt auch eine Kehrseite: Die Maschine ist so ausgeklügelt, dass sie nicht nur das weiß, womit sie einmal gefüttert wurde. Sie erkennt durch selbstlernende Algorithmen auch Veränderungen. So kann sie zeigen, dass ein Beschäftigter in den vergangenen Wochen sukzessive in seiner Leistungskraft nachgelassen hat.

    Zum Beispiel, weil er chronisch überfordert ist und kurz vor einem Burnout steht. Das wirft Hilgendorf zufolge die Frage auf, ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, diese personenbezogenen Daten zur Kenntnis zu nehmen und darauf zu reagieren: „Denn er hat ja eine Fürsorgepflicht.“ Schaut er nicht auf das, was die Maschine über seinen Mitarbeiter weiß, und kommt es dann tatsächlich zum Burnout mit hohen Rehakosten, könnte er unter Umständen dafür haftbar gemacht werden. Noch gibt es zu einem solchen Fall keine gerichtliche Entscheidung. Doch Hilgendorf ist sicher: Früher oder später wird sie kommen.

    Gewerkschaften sind gefragt

    Nun würde der Arbeitnehmer sogar davon profitieren, wenn der Chef ihn rechtzeitig entlastet. Doch es könnte auch geschehen, dass der Arbeitgeber nach Auswertung der Daten zu dem Schluss kommt, dass die bisherige Entlohnung und die aktuelle Leistungsfähigkeit seines Mitarbeiters nicht mehr übereinstimmen. Er konfrontiert ihn deshalb womöglich mit einer Lohnkürzung. Dieses Szenario zeigt, dass die Industrie 4.0 eine Menge sozialer, ethischer und rechtsphilosophischer Fragen aufwirft.

    Was, wenn Roboter im Betrieb Menschen verletzen?

    Hilgendorf bestätigt, dass aus der Datensammelei künstlich intelligent gemachter Systeme durchaus Fehlentwicklungen zu Lasten der Beschäftigten entstehen könnten. „Hier sind die Gewerkschaften gefragt, sie müssen sich rechtzeitig einschalten“, so der Strafrechtler. Was sie nach seiner Beobachtung auch tun.

    Eric HilgendorfPat Christ
    Eric HilgendorfPat Christ Foto: Foto:

    Juristisch spannend ist auch die Frage, was geschieht, wenn Maschinen Menschen im Betrieb verletzen. So könnte ein Beschäftigter durch einen Roboterarm zu Schaden kommen. Wer ist an einem solchen Unfall schuld? Der Roboter sicher nicht. Aber vielleicht der Hersteller? Oder der Programmierer? Oder gar der Firmenchef? Ähnliche Fragen stellen sich, wenn es durch automatisiertes Fahren zu einem Vorfall mit Verletzten oder gar Toten kommt.

    Spannende Haftungsfragen tauchen auf

    Die Mitarbeiter der europaweit einzigarten Forschungsstelle in Würzburg beschäftigten sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dieser Frage. Auslöser war ein schwerer Autounfall, der Anfang 2012 in Alzenau bei Aschaffenburg geschah. Ein 51 Jahre alter Fahrer hatte einen Schlaganfall erlitten und die Kontrolle über sein Auto verloren. Das raste in eine Familie, tötete eine 36 Jahre alte Mutter und ein siebenjähriges Kind. Wer war an diesem Unfall schuld?

    Keiner ist schuld - oder doch?

    Zum Verhängnis wurde der Familie, dass sich der Fahrer trotz Schlaganfall ans Steuerrad geklammert hatte. Hätte er dies nicht getan, wäre das Fahrzeug auf einer Wiese zum Stehen gekommen. Doch so wurde der Spurhalteassistent aktiviert. Er sorgte dafür, dass das Auto zurück auf die Straße, in den Ort hinein und in die Familie fuhr. Die Frage nach der zivilrechtlichen Haftung war laut Hilgendorf schnell geklärt: Der Fahrer beziehungsweise seine Versicherung musste für die Beerdigungskosten der getöteten Menschen aufkommen. Doch der Vater, der Frau und Kind verloren hatte, wollte nicht nur die Kostenfrage für die Bestattung geklärt haben. Er wollte Gerechtigkeit. Jemand sollte für die Tat, die sein Leben zerstört hatte, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Darum wandte er sich an die Staatsanwaltschaft.

    Technik und das Risiko

    Eric Hilgendorf erhielt Akteneinsicht, um sich mit der Frage zu befassen, inwieweit jemand in diesem ungewöhnlichen Fall aufgrund einer fahrlässigen Tötung haftbar gemacht werden könnte. Das Ergebnis war für den Familienvater frustrierend. Denn es stellte sich heraus, dass niemand im juristischen Sinne schuld an dem Unfall war. Entscheidend bei der Beurteilung ist für Hilgendorf die Rechtsfigur des „erlaubten Risikos“. Grundsätzlich sei keine Technik sicher. Deshalb habe „die Gesellschaft“ in jedem Einzelfall zu entscheiden, welches Risiko sie hinnimmt. Was im Alzenauer Fall durchdekliniert wurde, lässt sich auf den Roboterarm, der einen Menschen verletzt hat, übertragen. Sofern es dem Hersteller nicht nachzuweisen ist, dass er die Roboterarme schlampig produziert hat, so dass es zu Unfällen kommt, wird sich in diesem Fall wahrscheinlich kein Schuldiger identifizieren lassen.

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