Marc Ramelow war verblüfft. Der Chef eines alteingesessenen Elmshorner Modehauses wollte mit seinen Verkäufern darüber reden, wie sie über Kanäle wie Twitter und Facebook an die Kunden herankommen. Doch da hatte einer der Kollegen längst seine 50 wichtigsten Kunden in einer WhatsApp-Gruppe organisiert. „Wir brauchen mehr Mut“, fordert der Familienunternehmer Ramelow beim Handelskongress in Berlin.
Von eBay bis Zalando stellt das Internet das Einkaufen schon seit Jahren auf den Kopf. Doch im Laden um die Ecke spüren Kunden davon noch immer wenig. Ramelow will den Kampf aufnehmen, probiert vieles aus: So präsentiert die Auszubildende den „Look of the Week“ auf Facebook (25 „Gefällt mir“-Klicks für den Parka) und nach dem Model-Wettbewerb im Laden posten Kandidatinnen ihre Selfies auf der Ramelow-Seite. „Da ist sehr viel von Start-up-Kultur“, meint der Mittelständler – nach 140 Jahren Unternehmensgeschichte. „Wir müssen da sein, wo die Kunden sind. Sie sind schneller in die digitalen Medien gegangen, als wir vor zwei, drei Jahren dachten.“
Heute geben die Bundesbürger jeden elften Euro online aus, 2020 wird es schon jeder vierte sein, wie der Handelsforscher der Uni Köln, Werner Reinartz, glaubt. In den Städten verschwänden Geschäfte mit der Fläche von mehr als 1000 Baumärkten.
„Der Umbruch ist dramatischer als der Wandel von Tante Emma zum Supermarkt und der des Aufkommens der Discounter“, sagt der Präsident des Handelsverbands Deutschland, Josef Sanktjohanser. Er spricht von einer faszinierenden Dynamik, die auch viele stationäre Händler erfasst habe.
Immerhin jeder Dritte verkaufe inzwischen auch im Internet – und sei es nur über eBay. Das Web sei eine der letzten Wachstumschancen im gesättigten deutschen Markt, meint Sanktjohanser. „Der Handel bleibt, aber anders.“
Doch viele scheuen noch die Herausforderung. „Die Digitalisierung verschlingt enorme Investitionskosten“, gibt der Branchenpräsident zu. Die Großen stemmten diese leichter, Kleinen bleibe nur, sich zusammenzuschließen, Einkauf und Vermarktung gemeinsam zu organisieren. In den Einkaufsstraßen werden die Kunden damit noch häufiger auf Filialen großer Ketten stoßen.
„Sie bleiben selbstständige Händler“, wirbt Sanktjohanser bei seinen Kollegen für eine Verbundlösung. Das verweist auf den Punkt, mit dem sich manch alteingessener Kaufmann schwertun dürfte: Nicht mehr alleiniger Herr seiner Geschäfte zu sein. Zwei Drittel der Ladenbesitzer glauben ohnehin nicht, dass für Online die Bäume ständig weiter in den Himmel wachsen, wie eine HDE-Umfrage ergab. Spätestens wenn Kunden jeden dritten Euro online ausgeben, werde der Wandel überstanden sein.
Doch nichts zu tun, sei keine Lösung, macht Sanktjohanser deutlich. „Wer im Netz nicht stattfindet, den streichen die Kunden irgendwann von ihrer Liste.“ Jeder achte stationäre Laden werde in den nächsten sechs Jahren schließen müssen.
Dennoch wollen von 100 durch die Unternehmensberatung PwC befragten Einzelhändlern 55 keinen Online-Shop aufbauen. Lieber möbeln sie ihren stationären Laden auf oder öffnen neue Filialen in den Bestlagen der Innenstädte. Auswahl, Beratung, Einkaufserlebnisse – das kann zwar stationären Konsumtempeln das Leben retten, meint auch HDE-Präsident Sanktjohanser. „Aber wir dürfen da nicht so viel Nostalgie reinlegen.“ Nur offline gehe es nicht.
Doch selbst wenn der Händler auch im Netz verkauft, sind Online und Offline selten verknüpft, ergab die PwC-Umfrage.
Im Netz schauen, ob der Mantel aus dem Prospekt im Laden noch zu haben ist, oder das Handy online bestellen und im Geschäft abholen – solche Kundenwünsche erfülle nur ein kleiner Teil der Händler. PwC-Experte Gerd Bovensiepen überrascht diese Zurückhaltung besonders bei denen, die Mode und Unterhaltungselektronik verkaufen.
Denn die kaufen die Kunden schon jetzt gern im Netz. Handelsforscher Reinartz erwartet schon in wenigen Jahren „Kannibalisierungseffekte“ zwischen Online und Offline.
Kein Shopping am Sonntag
Umfrage: Meinungsforscher sind überrascht: Die Mehrheit der Bundesbürger lehnt einer aktuellen repräsentativen Umfrage zufolge vier verkaufsoffene Sonntage in der Adventszeit ab. Auch Berufstätige wollen im Advent nicht sonntags einkaufen, hat das Institut Emnid ermittelt.
In Auftrag gegeben wurde die Studie vom Monatsmagazin Reader's Digest, das am Donnerstag in Stuttgart erste Ergebnisse veröffentlichte und sie als unerwartet bezeichnete.
Ergebnis: Der Umfrage zufolge lehnen 78 Prozent der Berufstätigen und 73 Prozent der Nicht-Berufstätigen ab, dass Einzelhändler an allen vier Sonntagen vor Weihnachten ihre Geschäfte öffnen. Vor allem die Altersgruppe der bis zu 29-Jährigen wolle zu 85 Prozent kein Sonntagsshopping im Advent.
Am meisten Zuspruch habe das sonntägliche Advents-Shopping in Berlin und Nordrhein-Westfalen mit 28 Prozent.
Bundesweit seien die über 60-Jährigen besonders geneigt, an Adventssonntagen einzukaufen: 31 Prozent von ihnen würden dann gerne Weihnachtsgeschenke besorgen. Für die repräsentative Umfrage wurden 1013 Personen befragt. Text: epd