Düstere Wintertage sind für so manchen Menschen eine psychische Belastung. Durch einen Mangel an Sonnenstunden besonders belastet sind seit ewigen Zeiten die Bewohner der Stadt Rjukan. Diese liegt im Süden Norwegens in einem so engen Tal, dass von Oktober bis März keine direkten Sonnenstrahlen dorthin fallen.
Doch das hat sich jetzt geändert – auch dank der Bosch Rexroth AG. Mit Hilfe dreier von Lohrer Technik bewegter Spiegel scheint jetzt zur Freude der 3500 Einwohner auch im Winter die Sonne auf den Marktplatz der Stadt. Das siebenmonatige Schattendasein von Rjukan hat somit ein Ende. Die drei großen und beweglichen Spiegel, auch Heliostaten genannt, sind an einem steilen Hang aufgestellt. Sie werfen die Sonnenstrahlen auf den zentralen Marktplatz des Ortes. Die Antriebs- und Steuerungslösung für den Verstellmechanismus sowie die Fernüberwachung hat Bosch Rexroth geliefert.
Die Stadt Rjukan entstand ab 1913 aus einem kleinen Dorf, als in Norwegen das damals größte Wasserkraftwerk der Welt, Vermork, rund 180 Kilometer westlich von Oslo errichtet wurde. Die größte Herausforderung war es damals, so viel Schutz wie möglich vor dem rauen Gebirgsklima zu bieten. Dabei nahmen die Stadtgründer in Kauf, dass über das gesamte Winterhalbjahr kein Sonnenlicht die Stadt erreicht. Pünktlich zum 100-jährigen Stadtjubiläum wird jetzt der zentrale Platz in der dunklen Jahreszeit erstmals von Sonnenlicht beschienen. Dazu hat die Solar Tower Systems (STS) GmbH aus Starnberg drei bewegliche Spiegel am Berghang, etwa 500 Meter über der Stadt, errichtet. Jeder der 17 Quadratmeter großen und rund 500 Kilogramm schweren Spiegel folgt computergesteuert dem Sonnenlauf.
Eine Steuerung von Rexroth berechnet den Sonnenstand und gibt den optimalen Winkel für die Spiegel vor. Elektrische Linearantriebe bewegen die Spiegel den gesamten Tag exakt in die entsprechende Position, damit die Sonnenstrahlen das vorgegebene Areal beleuchten. Die größte Herausforderung ist dabei das raue Klima. In den Bergen herrscht oft Windstärke 12, Orkanböen mit mehr als 140 Stundenkilometern zerren dann an den Spiegeln.
Die Antriebe müssen sie auch unter diesen Bedingungen zuverlässig in Position halten. Direkt neben den Spiegeln sind in einer kleinen Hütte die Steuerung sowie zwei Webcams geschützt untergebracht. Die autarke Stromversorgung der kompletten Anlage erfolgt dezentral durch Solarzellen, ein kleines Windrad sowie leistungsstarke Akkus, in denen der Strom zwischengespeichert wird. Wind- und Temperaturmessungen sorgen dafür, dass die Spiegel bei schlechten Wetterbedingungen automatisch in eine Schutzposition fahren. Das System auf dem Berg ist über eine Funkverbindung mit einem Computer im Rathaus von Rjukan verbunden. Über Internet können STS von Starnberg und Bosch Rexroth von Lohr aus zu Wartungszwecken auf diesen Computer zugreifen und alle Daten des Steuerungs- und Antriebssystems lesen.
„Eine hundert Jahre alte Idee ist heute Wirklichkeit geworden“, sagte Bürgermeister Steinar Bergsland bei der feierlichen Inbetriebnahme der Spiegel. Deren Installation hat insgesamt rund 610 000 Euro gekostet. Der Großteil davon wurde durch Sponsoren getragen. Rjukan sei so zu einem Ort geworden, „in dem das Unmögliche möglich wird“, freute sich der Bürgermeister, als die ersten Sonnenstrahlen auf den Marktplatz fielen, wo sie von mit Sonnenbrillen bestückten Einwohnern erwartet wurden.
Die Idee mit den Spiegeln war bereits in der Zeit entstanden, als Rjukan Anfang des 20. Jahrhunderts seine Blütezeit als Industriestandort erlebte und 10 000 Einwohner zählte. Doch es fand sich damals niemand, der für die Realisierung der Idee das Geld bereitstellte. Fast genau 100 Jahre nach dem Aufkommen dieser Idee werfen die drei Spiegel nun eine 600 Quadratmeter große Lichtellipse auf den Marktplatz. Zumindest auf dieser Fläche von rund drei Tennisplätzen scheint nun auch im Winter die Sonne auf Rjukan.