Das klassische Dorflokal war früher aus fast keinem Ortskern in Deutschland wegzudenken. Doch seit Jahren geht es bergab. Um ganze 30 Prozent ging die Zahl der Schankwirtschaften zwischen 2000 und 2011 zurück. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt von 2013. Die Zahlen gelten als die aktuellsten Erhebungen.
Das Schicksal aussterbender Wirtshäuser musste auch Dieter Hofmann erfahren. Der aus Goßmannsdorf stammende Wirt stand 2015 vor der schwierigen Entscheidung, sein Gasthaus zu schließen. „Das Weiße Ross ist seit 1919 im Familienbesitz. Über sechs Generationen hinweg war meine Familie in der Gastronomie tätig. Es hat geschmerzt dieses Erbe aufzugeben.“
Eigentlich eine stark wachsende Branche
Wo 1980 noch 8000 Schankwirtschaften in Bayern betrieben wurden, waren es 2011 gerade noch 4300 und das, obwohl die Branche stärker wächst als die Gesamtwirtschaft. So konnte das Gastgewerbe bundesweit zwischen 2011 und 2016 die Wertschöpfung um 26,8 Prozent steigern. Über alle Wirtschaftsbereiche hinweg lag der Durchschnitt bei nur 16,3 Prozent.
Doch gerade an vielen traditionellen Wirtshäusern in ländlichen Regionen geht der Boom vorbei. Stattdessen profitieren Systemgastronomie und Catering-Dienstleister. Auch Cafés und Cocktailbars in den Städten sind im Aufwind. Damit verschwindet aber auch ein gutes Stück Tradition. Die schon erwähnte Studie hat besonders die Entwicklung in Bayern zwischen 2006 und 2011 im Blick. Demnach ist die gesamte Gastronomie in Unterfranken um rund sieben Prozent, in Oberfranken um rund neun Prozent zurückgegangen. Hugo Hopfinger von der Universität Eichstätt erklärt: „Das Wirtshaussterben ist besonders für den ländlichen Raum eine Herausforderung. Grundsätzlich haben wir festgestellt, dass besonders bei den getränkeorientierten Lokalen ein deutlicher Schwund zu verzeichnen ist.“
Das Gasthaus von Dieter Hofmann war über viele Jahrzehnte zentrale Anlaufstelle in seinem Dorf. „Wirtshäuser waren ein wichtiger Ort des sozialen Austauschs“, betont er. „Doch die ältere Generation, die die Wirtshauskultur noch richtig gelebt hat, verstirbt nach und nach.“
Das Wirtshaus hat die Anziehungskraft verloren
Für viele jüngere Leute hat das klassische Wirtshaus dagegen seine Anziehungskraft verloren. Besonders Ausgeh- und Konsumgewohnheiten, sowie die Kommunikation haben sich gewandelt: Heute heißt es meist: Youtube statt Schafkopf, Café statt Kneipe. Auch sind Arbeitsplätze zunehmend in den Städten zu finden. In der Mittagspause ist oft der Schnellimbiss die erste Anlaufstelle. Traditionelle Mittagstische im Dorfgasthaus sind kaum mehr gefragt.
Wenn dann der Ruhestand der Wirtsleute naht, finden diese oft niemanden, der sie am Zapfhahn oder in der Küche ablösen will. Nicht selten folgt die Geschäftsaufgabe. Dieter Hofmann erzählt hier aus eigener Erfahrung: „Mein Sohn hat gesehen, wie viel meine Frau und ich, egal ob Wochenende oder Ferienzeit, schuften mussten. Das Gasthaus zu übernehmen kam für ihn nicht infrage.“
Lange Arbeitszeiten, auch an den Wochenenden, bei teils schmalem Verdienst wirken wenig verlockend auf die jüngere Generation, erklärt Marcel Gränz von der IHK. Im Jahr 2017 seien in der mainfränkischen Gastronomiebranche neun Prozent weniger Ausbildungsverträge als 2016 registriert worden. Im Vergleich zum Jahr 2012 sei sogar ein Rückgang von 31 Prozent zu verzeichnen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in Oberfranken. Die IHK Bayreuth bestätigt, dass in ihrem Kammerbezirk im Zeitraum von 2012 bis 2016 die Zahl der neueingetragenen Ausbildungsverhältnisse um 14 Prozent zurückgegangen sei. „Kein Wunder, dass sich die Jugend für die Branche nicht begeistern kann, wenn der Stundenlohn eines Wirts am Ende bei durchschnittlich nur 4,67 Euro liegt“, beklagt der Pressesprecher des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Frank-Ulrich John.
Überbordende Bürokratie?
Der Schuh drückt aber auch in anderer Hinsicht: Nicht nur, dass Speisen im Restaurant einem höheren Mehrwertsteuersatz unterliegen als Lebensmittel im Supermarkt, die von vielen kleinen Familienbetrieben geprägte Branche stöhnt vor allem über eine aus ihrer Sicht überbordende Bürokratie – angefangen von den Mindestlohn-Dokumentationspflichten über Allergen-Kennzeichnungen bis hin zu Brandschutzvorschriften. „Der Wirt kann sich vor lauter Regularien kaum noch um den Gast kümmern“, gibt Frank-Ulrich John zu bedenken.
Besonders macht der Branche das Arbeitszeitgesetz zu schaffen, in dem unter anderem geregelt ist, wie lang ein Arbeitnehmer täglich höchstens arbeiten darf. Für Dieter Hofmann war das ein ernsthaftes Problem: „Wenn Hochzeitsgesellschaften schon zum Mittagessen gekommen sind und bis in die Nacht gefeiert haben, musste ich immer mit zwei Service-Schichten planen. Es fehlt auf dem Land aber an Personal.“
Eine Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes unter 6000 Betrieben zeigt, dass 32 Prozent unter ihnen die Zahl der Ruhetage in Folge des Arbeitszeitengesetzes erhöht hat. Rund die Hälfte der Befragten hat ihre Öffnungszeiten eingeschränkt oder das Leistungsangebot, besonders die Küchenzeiten und Veranstaltungsservice, reduziert.
15 Stunden pro Woche für Büroangelegenheiten
Besonders ärgert es Sebastian Stahl, den Inhaber der Weinstube Ehrbar in Frickenhausen (Lkr. Würzburg), dass sich ein gelernter Koch wie er 15 Stunden pro Woche mit Büroangelegenheiten beschäftigen muss. „Und wenn ich zulasse, dass jemand die Maximalzeit überschreitet, stehe ich mit einem Bein im Knast“, ereifert sich Stahl. Der Pressesprecher des bayerischen Wirtschaftsministeriums Martin Wimbersk macht dahingehend deutlich, dass die Regierung seit 2003 mehr als 40 Prozent aller bayerischen Gesetze und Verordnungen gestrichen und Walter Nussel als Beauftragten für Bürokratieabbau eingesetzt habe. Dieser bestätigt, dass dringender Handlungsbedarf besteht: „Viele Kontrollmechanismen sind überzogen. So stellt man eine ganze Branche unter Generalverdacht.“ Für entsprechende Reformen habe er den politischen Rückenwind, so Nussel.
Ibo Ocak, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in der Region Unterfranken ist dagegen der Meinung, dass sich die Wirte nicht darüber beklagen sollten, dass die Arbeitszeiten mittlerweile dokumentiert werden müssen. „Schon jetzt können Ruhezeiten oft nicht eingehalten werden.“ Ocak kritisiert deshalb die angeblichen Pläne der bayerischen Staatsregierung, nach der Wahl bundesweit das Arbeitsschutzgesetz zugunsten der Arbeitgeber zu liberalisieren.
Dem ehemaligen Goßmannsdorfer Gastronom Dieter Hofmann hätte weniger Bürokratie wohl geholfen. Ob er damit letztlich die Schließung seines Wirtshauses hätte abwenden können, ist eher unwahrscheinlich. Dehoga-Sprecher Frank-Ulrich John dagegen ist sich sicher: „Gasthäuser sind nicht zum Aussterben verdammt. Wenn es keine Stammtischkultur mehr gibt, braucht es eben umso pfiffigere Konzepte.“
„Es hat geschmerzt, dieses Erbe aufzugeben.“
Dieter Hofmann, Gastronom