Vor nicht einmal zehn Jahren wurde der Großteil der Kinofilme noch von kilometerlangen Filmrollen abgespielt, die zuvor mühsam mit einem speziellen Tesafilm zusammengeklebt werden mussten. An diese Zeit erinnern heute nur noch die riesigen Filmtelleranlagen, die nun als Abstelltisch umfunktioniert neben den digitalen Projektoren vor sich hin stauben.
„Avatar brachte 2009 die Initialzündung für die Digitalisierung“, sagt Joachim Schmitt, Geschäftsführer der Eikona Cinema Solutions GmbH. Die Software-Firma mit Sitz in Volkach (Lkr. Kitzingen), entwickelt verschiedene Lösungen rund um das digitale Kino. So soll ein E-Ticketing-System beispielsweise den Kartenverkauf vereinfachen und lange Warteschlangen an den Kassen vermeiden. Mit dem Kassensystem gekoppelt ist eine zentrale Steuerung, die Programm-Abläufe, Beleuchtung, Trailer, Werbung sowie die Pausen zwischen den Filmen automatisiert und so die Personalplanung vereinfacht. Ein Foyer-Entertainment-System soll durch die Vernetzung mit dem Gesamtsystem den Besuchern jederzeit den passenden Inhalt bieten. So werden beispielsweise Trailer für den nächsten Film aus dem gleichen Genre gespielt oder Merchandising-Produkte zur richtigen Zeit beworben.
Auch das Cineplex Cineworld in Dettelbach hat sich 2009 dem allgemeinen Trend der Digitalisierung hingegeben und ist auf das Theater Management System (TMS) von Eikona umgestiegen. „Angefangen haben wir zunächst mit drei oder vier Sälen, mittlerweile werden alle acht Kinosäle mit digitaler Projektionstechnik betrieben“, sagt Lothar Michel, Betreiber des Cineplex Cineworld. „Man kommt nicht drum herum.“
Das Kino bekommt die neuen Filme von den Verleihfirmen auf einer Festplatte – nicht viel größer als ein Smartphone – zugeschickt und spielt diese auf einen zentralen Server. Dazu kommt ein Code, der sowohl mit der Festplatte als auch mit dem Vorführequipment übereinstimmen muss. Erst dann funktioniert der Film. An dieser Stelle kommt TMS ins Spiel: „Wir teilen dem System den Spielplan mit, dieser wird dann automatisch auf den entsprechenden Vorführraum übertragen“, sagt Michel.
Auch die Vorstellung wird automatisch von TMS angestoßen. Doch der wesentliche Vorteil des Systems sei ein anderer. Denn es erinnert auch daran, falls ein Lizenzschlüssel – üblicherweise nach 14 Tagen – ausläuft, der Film aber trotzdem noch im Spielplan steht. Oder es warnt bei Störungen im Programm.
Den klassischen Filmvorführer mit „Vorführschein“ gebe es heute nicht mehr. „Wir haben nur IT-Leute bei uns“, sagt Michel. Der Vorführer von damals hat heute die Rolle des „Troubleshooters“, also „Störungssuchers“. Dieser bekommt vom TMS ein Signal auf das Smartphone, falls es irgendwo eine Panne gibt.
Doch Pannen sind dank der digitalen Projektionstechnik zur Seltenheit geworden. „Der 35-Millimeter-Film war etwas Besonderes“, sagt der 74-jährige Michel und nickt. „Aber leider auch mit vielen Pannen behaftet.“ Zudem sei das Bild auf der Leinwand heute viel brillanter, der 35-Millimeter-Film sei dagegen mit 24 Bildern pro Sekunde nie ganz scharf gewesen. Doch einen Haken gibt es trotzdem: „Die Lebensdauer der neuen Projektionstechnik liegt bei etwa acht bis zehn Jahren, die analogen Projektoren mussten Jahrzehnte lang nicht ausgetauscht werden“, sagt Michel.
„Ich habe immer noch zwei davon.“ Insgesamt 25 Prozent der deutschen Kinos verwenden nach Angaben des Unternehmens mittlerweile die Software von Eikona. Mit Cineplex konnte das Softwareunternehmen aus Volkach eine große Kinokette gewinnen.
„Die anderen sind meist noch an frühere Verträge gebunden“, sagt Schmitt. Vor allem bei den freien Kinos, die immerhin die Hälfte der deutschen Kinolandschaft ausmachen, hat das Umdenken in Richtung Digitalisierung erst vor ein bis zwei Jahren begonnen. „Das kommt alles noch, mit leichter Verzögerung“, sagt Schmitt zuversichtlich.
In Zukunft sollen noch mehr einzelne Systeme im Kino miteinander vernetzt werden. „Das Interesse der Kunden rückt weiter in den Fokus.“ Damit meint Schmitt vor allem die Kundenansprache im Bereich Verkaufs- und Marketingförderung. So sollen in Zukunft Kunden, die seit längerer Zeit nicht mehr im Kino waren, durch Erinnerungsmails und Verzehrgutscheine neue Kaufanreize erhalten.
Zudem bestehe die „Endbaustufe“, wie Michel die zukünftige Entwicklung nennt, auch darin, dass die Filme nicht mehr mit der Festplatte an die Kinos geschickt, sondern via Glasfaserkabel direkt auf den Zentralserver gespielt werden. „Ich hoffe, das klappt bis Ende dieses Jahres“, sagt der Betreiber des Cineplex Cineworld.
Laut Thomas Schulz, Pressesprecher der Filmförderungsanstalt (FFA), sei die Digitalisierung der deutschen Kinos abgeschlossen, denn 99 Prozent verwenden mittlerweile digitale Projektionstechnik. Doch der Anfang war nicht leicht: Zu Beginn kostete die digitale Umrüstung eines Kinos zwischen 50 000 und 70 000 Euro.
Viel Geld, vor allem für die kleinen Kinos in ländlichen Gegenden. Doch durch Fördergelder der FFA, der Bundesregierung und der Bundesländer konnte die Digitalisierung zügig angekurbelt werden. „Die Verleihfirmen haben die Erstausstattung mit einer Virtual Print Fee (VPF) unterstützt“, sagt Michel. Das bedeutet, die Gelder, die durch den Umstieg von großen Filmrollen auf kleine Festplatten für eine Kopie („Print“) gespart wurden, konnten den Kinos in Form eines Digitalisierungsfonds ausbezahlt werden.
Davon haben laut der FFA vor allem die kleinen Ortschaften profitiert, wo das Kino die letzte kulturelle Instanz war. Hier können dank der Digitalisierung neue Filme in den ersten zwei Wochen nach Erscheinung gespielt werden. Dieses Privileg war früher nur den großen Kinos vorbehalten. „Die Digitalisierung hat mehr Kinos in Deutschland wettbewerbsfähig gemacht“, sagt Schulz. Auch die Lage der Kinos im Allgemeinen habe sich dadurch entspannt. 2015 war mit 1,167 Milliarden Euro Gesamtumsatz und fast 140 Millionen Kinobesuchern ein Rekordjahr.
Auch Michel sieht trotz der hohen Verbreitung von Filmstreaming-Diensten positiv in die Kino-Zukunft: „Das Kino hat schon viele Krisen überstanden.“ Schon bei der Einführung des Fernsehgeräts, spätestens aber bei der Umstellung zum Farbfernsehen, habe man das Kino bereits abgeschrieben. Es folgten die VHS-Videokassette, das Privatfernsehen und schließlich die DVD. „Aber das Kino gibt es immer noch, es wird auch Netflix und Amazon überleben.“
„Die Digitalisierung hat mehr Kinos in Deutschland wettbewerbsfähig gemacht.“
Thomas Schulz, Pressesprecher der Filmförderungsanstalt