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Auf der Jagd nach Nazi-Tätern

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Auf der Jagd nach Nazi-Tätern

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    "Die Entnazifizierung war das Hauptziel der amerikanischen Besatzungspolitik", schreibt Herbert Schott in seinem 1985 erschienenen Buch "Die Amerikaner als Besatzungsmacht in Würzburg". Der jetzige Vize-Direktor des Staatsarchivs Nürnberg sieht zwei Ziele der Aktion: Es sollen demokratische, unbelastete Personen als neue Elite in die Machtstrukturen integriert werden und Menschen, die Verbrechen begangen oder eng mit den Nazis paktiert hatten, sollten bestraft oder zumindest aus verantwortlichen Positionen entfernt werden.

    Vor allem die Fragebogen-Aktion stieß auf heftige Kritik. Zu 131 Punkten war Auskunft zu erteilen. Der damalige Landrat und spätere MAIN-POST-Herausgeber Michael Meisner schrieb in seinem Memoiren: "Man kann sich kaum vorstellen, welche Gehirne sich diesen Fragenkomplex ausgedacht hatten. Was wurde gefragt? Größe, Gewicht, Haarfarbe, Farbe der Augen, ob man Narben, Geburtsmerkmale, Entstellungen aufzuweisen hatte, welche Partei man im November 1932 und im März 1933 gewählt hatte."

    Lieber ordentliche Gerichte

    Meisner, der Nazi-Täter damals lieber vor ordentlichen deutschen Gerichten gesehen hätte, ließ in seiner Liste freilich gerade jene Fragen weg, die durchaus Sinn machten. Dass nämlich ein neues Deutschland nicht mit Nazi-Tätern aufgebaut werden sollte und diese irgendwie ermitteln werden mussten, war nachvollziehbar. Doch die Methode, die die Amerikaner gewählt hatten, war umstritten.

    Gleich nach Kriegsende und lange vor der Fragebogen-Aktion hatten die Besatzer zunächst andere Maßnahmen ergriffen. Wer im Dritten Reich eine Schlüsselstellung innegehabt hatte, kam automatisch in Haft. Bis zum 1. Januar 1947 hatten die US-Militärbehörden in ihrer Zone fast 48 000 Menschen verhaften lassen, von denen allerdings über 44 000 im Lauf der Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.

    Die Zahl der Inhaftierten in Würzburg ist nicht bekannt; zwei der Hauptschuldigen, Oberbürgermeister Theo Memmel und NSDAP-Gauleiter Otto Hellmuth, waren kurz vor der Besetzung aus Würzburg geflohen. Beiden tauchten unter und wurden erst nach zwei Jahren gefasst.

    Die Militärregierung für Mainfranken entnazifizierte die Ämter des Regierungsbezirks äußerst gründlich. US-Stadtkommandant Maurice Henderson ließ zeitweise jede Woche 100 Beamte oder Angestellte entlassen.

    Die Militärregierung befahl schon frühzeitig, auch die Stadtverwaltungen zu säubern. Im Jahr 1945 entließ der von den Amerikanern eingesetzte OB Gustav Pinkenburg über 320 Parteigenossen. Der gesamte öffentliche Dienst in Würzburg soll sogar 600 Mitarbeiter verloren haben. Der OB erreichte aber wenigstens, dass sie sich beim Arbeitsamt für einfache Tätigkeiten melden konnten.

    "Teilweise", schreibt Herbert Schott, "wurden die Entlassungen auch von der Stadtverwaltung unterlaufen. So beauftragte man Hans Burkard, den die Militärregierung im August 1945 seines Amtes als Leiter das Stadtarchivs enthoben hatte, mit der Aufsicht über ausgelagerte Archivalien."

    Nur gewöhnliche Arbeiten

    Ab Herbst 1945 war es ehemaligen Nationalsozialisten verboten, mehr als "gewöhnliche" Arbeit zu verrichten, sie durften also keine Firmen mehr leiten oder wichtige Positionen darin bekleiden. Wer dagegen verstieß, kam vors Militärgericht. Wurde der Inhaber oder Geschäftsführer eines Betriebes von der Militärregierung entfernt, was bis Ende 1945 in Würzburg etwa 500-mal geschah, durften auch seine nächsten Angehörigen den Betrieb nicht übernehmen. War der Weiterbetrieb nötig, setzten die Besatzer einen politisch unbelasteten Treuhänder ein.

    Ab 1946 wurden die Bestimmungen allerdings schon wieder gelockert.

    Auch die freien Berufe mussten sich der Entnazifizierung unterziehen. In Würzburg übertrug die Militärregierung die Verantwortung für alle Mediziner dem KPD-Stadtrat Dr. Kurt Kellner, einem Hals-, Nasen- und Ohrenarzt, der auch Leiter des Gesundheitsamtes wurde.

    Erste Fragebogen für Ärzte

    Alle Ärzte und Zahnärzte mussten bis Anfang November 1945 einen Fragebogen ausfüllen. Kellner erwies sich als großzügig; die meisten Ärzte, auch viele, die der NSDAP angehört hatten, durften weiterarbeiten, falls sie im fast völlig zerstörten Würzburg eine Unterkunft hatten.

    Einen neuen Abschnitt in der Entnazifizierung leitete dann das "Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" vom 5. März 1946 ein. Dessen wichtigstes Instrument war eben jener Fragebogen, den viele wegen seiner Länge von 85 Zentimetern "Handtuch" nannten.

    "Als es an die großen Tiere gehen sollte, war der Schwung aus der Entnazifizierung schon heraus"

    Dr. Herbert Schott, Vize-Direktor des Staatsarchivs Nürnberg

    Alle ständig in Würzburg wohnenden Personen mussten ihn wahrheitsgemäß ausfüllen, nur dann erhielten sie Lebensmittelkarten. Ein Schlag für alle, die unliebsame Details verheimlichen wollten, war das Auffinden der Mitgliederkartei der unterfränkischen NSDAP bei Volkach.

    Vor vier so genannten Spruchkammern - besetzt mit jeweils vier juristischen Laien, die Gegner des Naziregimes gewesen waren - mussten sich ab Juli 1946 die über 18-jährigen Würzburger für ihre Taten im Dritten Reich und eventuelle Mitgliedschaften in Nazi-Organisationen rechtfertigen. Am Ende stand die Eingruppierung in eine von fünf Kategorien: "Entlastete" hatten das Regime bekämpft oder es zumindest nicht unterstützt, während "Mitläufer" meist der NSDAP oder einer ihrer Untergliederungen angehört hatten, ohne sich dabei jedoch besonders hervorzutun. Angesichts von vielen Millionen ehemaligen Parteigenossen war logischerweise die Zahl der als "Mitläufer" Eingestuften groß.

    Gegen "Minderbelastete", "Belastete" und "Hauptschuldige" konnten - und das war neu - Strafmaßnahmen verhängt werden, die über die Entlassung und Entfernung aus dem eigenen Geschäft hinausgingen. Gelegentlich hagelte es mehrjährige Haftstrafen, die freilich in vielen Fällen gar nicht oder nicht bis zum Ende abgesessen werden mussten.

    Die Spruchkammern waren bei den Würzburgern äußerst unbeliebt, und zwar nicht nur bei jenen, die eine Bestrafung fürchteten. Da sich nicht genug Freiwillige meldeten, mussten die Parteien einzelne ihrer Mitglieder verpflichten, dort mitzuwirken. In der MAIN-POST erschien sogar ein Aufruf an die Bevölkerung, sich für die Mitarbeit in einer Kammer zur Verfügung zu stellen.

    "Spruchkammer-Schauspiele"

    Der Unternehmer und zeitweilige zweite Bürgermeister Otto Stein sprach von "Spruchkammer-Schauspielen", die "nicht das Papier wert" seien, "das für die verschwendet wurde". Viele Bürger vertraten die nicht unbegründete Ansicht, die "Großen" kämen im Vergleich zu den "Kleinen" zu gut weg.

    Dies, so Herbert Schott zur MAIN-POST, war eine durchaus richtige Einschätzung. Denn: "Man begann bei den kleinen Leuten und bestrafte sie streng, und als es an die großen Tiere gehen sollte, war der Schwung aus der Entnazifizierung schon heraus."

    Bis zum Juni 1949 wurden in Würzburg rund 100 000 Fragebögen abgegeben und bearbeitet. Bei 33 Prozent kam es laut Herbert Schott zur Einstellung des Verfahrens, 30 Prozent waren "Entlastete" und 28 Prozent "Mitläufer". Nur neun Prozent wurden in die anderen drei Kategorien eingereiht.

    Würzburgs Nazi-Bürgermeister Theo Memmel musste nie wirklich für seinen fanatische Hitler-Gläubigkeit büßen. Zwar wurde er im Januar 1948 als "Belasteter" zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt, doch hatte er in der Berufung Erfolg: Die Strafe wurde in eine Geldstrafe von 500 DM bei einem Jahr Bewährung umgewandelt, er selbst nur noch als "minderbelastet" eingestuft. Allerdings erhielte er später keine Pension als OB. Die war ihm wenigstens aberkannt worden.

    1951 veröffentlichte Ernst von Salomon den Roman "Der Frage- bogen", worin er sich autobiogra- phisch den 131 Fragen der Entna- zifizierungsbehörde stellte. Der Band ist für 11.50 Euro als Rowohlt-Taschenbuch erhältlich.

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