Eine Rente nicht mit 67, sondern erst mit 69 oder 70 Jahren? Nach Ansicht von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) führt kein Weg an einer längeren Lebensarbeitszeit und damit einem späteren Rentenbeginn vorbei. Das hat sie nun bereits mehrfach deutlich gemacht. Im Gespräch mit der FAZ erklärte die Politikerin Ende Juli: „Leider verweigern sich zu viele zu lange der demografischen Realität. Wir müssen mehr und länger arbeiten.“ Mit ihrer Idee stieß die Ministerin bisher auf viel Kritik. Zuspruch gab es allerdings auch – und zwar von prominenter Seite. Rentenexperte und Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen sagte der Bild-Zeitung: „Völlig richtig! Der Vorstoß von Ministerin Reiche ist überfällig und generationengerecht.“
Nun hat sich ein weiterer Experte zu Wort gemeldet. Auch Wirtschaftsweise Martin Werding befürwortet Reiches Idee vom späteren Renteneintritt. „Auch wenn es unpopulär ist – wir müssen länger arbeiten“, sagte er Anfang August im Gespräch mit der Rheinischen Post. Als Begründung nennt er vor allem zwei Entwicklungen.
Länger arbeiten und später in Rente: Warum unterstützt der Wirtschaftsweise die Idee?
„In den 60er Jahren erhielten die Menschen im Schnitt zehn Jahre lang Rente, heute liegt die Rentenbezugsdauer bei 20 Jahren“, sagte Werding der Rheinischen Post. Hinzu komme, dass nun die Babyboomer in den Ruhestand gehen, die selbst zu wenig Kinder bekommen hätten. Das Ungleichgewicht zwischen Einzahlenden und Beziehenden verstärkt sich damit. Eine Lösung könnte eine längere Lebensarbeitszeit sein.
Das Renteneintrittsalter steigt aber ohnehin. Laut der Deutschen Rentenversicherung (DRV) soll die Regelaltersgrenze bis 2031 stufenweise auf 67 Jahre erhöht werden. Werding sagt: „Danach darf nicht Schluss sein.“ Geht es nach dem Wirtschaftsweisen, sollte Deutschland „das Rentenalter regelgebunden erhöhen“. Das heißt: „Zwei Drittel der zusätzlichen Lebenszeit gehen in Arbeit und ein Drittel in den Ruhestand.“ Mit Blick auf aktuelle Bevölkerungsvorausberechnungen würde das Werding zufolge bedeuten, dass die Regelaltersgrenze alle zehn Jahre um sechs Monate steigt. „Ab 2050 gäbe es dann die Rente mit 68 Jahren, ab 2070 mit 69 Jahren.“ Ein Renteneintrittsalter von 70 Jahren wäre also bis 2090 erreicht.
Wer nicht so lange auf den Ruhestand warten will, soll weiterhin die Möglichkeit haben, früher in Rente zu gehen, sagt Werding. Aber seiner Ansicht nach sind die Rentenabschläge, die dann anfallen, derzeit zu niedrig. „Für jedes Jahr, das sie früher gehen, werden 3,6 Prozent abgezogen. Versicherungsmathematisch korrekt wären Abschläge zwischen fünf und sieben Prozent“, rechnet der Wirtschaftsweise im Interview mit der Rheinischen Post vor.
Was würde das bedeuten? Nach einem Rechenbeispiel der DRV würde sich die Rente aktuell bei einem zwei Jahre früheren Renteneintritt um 7,2 Prozent verringern – das sind 3,6 Prozent pro Jahr. Bei 1000 Euro würde das einen Abzug von 72 Euro pro Monat bedeuten. Mit Abschlägen von fünf oder sieben Prozent pro Jahr wären es in dem Beispiel 100 Euro (10 Prozent) oder sogar 140 Euro (14 Prozent) weniger pro Monat.
Späterer Renteneintritt: Warum spricht die Arbeitsministerin von einer „Scheindebatte“?
Während von Werding und Raffelhüschen Zuspruch für Reiches Vorschlag kommt, reagiert Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas ablehnend auf den Vorstoß ihrer Minister-Kollegin. Sie hält die Diskussion um eine längere Lebensarbeitszeit für eine „Scheindebatte“. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) erklärte die SPD-Vorsitzende, viele Menschen würden bereits das jetzige Renteneintrittsalter aus gesundheitlichen Gründen nicht erreichen. Für diese Menschen würde eine spätere Rente eine Rentenkürzung bedeuten. „Wir müssen also erst mal dafür sorgen, dass die Leute länger gesund arbeiten können“, sagte Bas. Dass die SPD einem solchen Vorschlag zustimmen könnte, sieht die Ministerin nicht.
„Ich halte auch nichts davon, die Rente für langjährig Versicherte abzuschaffen. Wer 45 Jahre geackert hat, für den muss auch mal Schluss sein“, sagte Bas weiter und holte gegen Reiche aus: „Wer gleichzeitig über eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit und die Abschaffung der Rente für langjährig Versicherte spricht, hat von der Lebensrealität vieler Menschen keine Ahnung und macht ihnen Angst.“
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