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KIRCHSCHLETTEN: Vom prügelnden Zapfendorfer Pfarrer gedemütigt

KIRCHSCHLETTEN

Vom prügelnden Zapfendorfer Pfarrer gedemütigt

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    Im Schatten des Kirchturms: Reinhold Bayer wohnt trotz seiner traumatischen Erfahrungen mit der Kirche im Pfarrhaus in Kirchschletten.
    Im Schatten des Kirchturms: Reinhold Bayer wohnt trotz seiner traumatischen Erfahrungen mit der Kirche im Pfarrhaus in Kirchschletten. Foto: Gerhard Herrmann

    Die Kirchenglocken hört Reinhold Bayer täglich. Der pensionierte Lehrer wohnt im Pfarrhaus in Kirchschletten, direkt neben dem Gotteshaus. Er ist ein gläubiger Mensch, obwohl er vor 30 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten ist. Sein Leben lang leidet er unter den traumatischen Erfahrungen als Ministrant. Nach fast 60 Jahren der Verdrängung bricht er sein Schweigen. Angesichts der jüngsten Studie über die Missbrauchsfälle im Bistum München und ihre Vertuschung will der 68-Jährige sein Leiden an der Kirche öffentlich machen. Er wurde zwar nicht sexuell missbraucht, sondern gedemütigt und misshandelt, doch die seelischen Wunden schmerzen noch immer.

    „Als das WSW-Gutachten über die Vertuschung der Missbrauchsfälle im Erzbistum München vorgestellt wurde, hab' ich Rotz und Wasser geheult“, berichtet Reinhold Bayer. Da sei ihm klar geworden, dass er nicht länger mehr schweigen könne und die schmerzhaften Kindheitserlebnisse öffentlich machen müsse.

    „Ich sehe mich als Missbrauchsopfer, auch wenn ich nicht sexuell missbraucht wurde“, sagt Bayer. Als Ministrant sei er vom damaligen Pfarrer misshandelt und gedemütigt worden. Schläge mit der Faust seien an der Tagesordnung gewesen, nicht nur die Ministranten, sondern auch Schüler im Religionsunterricht und den Mesner habe der Pfarrer wegen kleiner Verfehlungen verprügelt. Hinzugekommen seien regelmäßig Demütigungen.

    Der Pfarrer schlägt mit der Faust, der Lehrer mit dem Stock

    Wegen eines vermeintlichen Fehlers beim Zählen der Hostien habe ihn der Geistliche als Zehnjährigen nicht nur lautstark beschimpft, sondern ihm darüber hinaus befohlen, 100 mal „Ich bin ein Depp“ zu schreiben. Aus Scham habe er sich auf der Toilette eingeschlossen, um die Strafarbeit unbemerkt von der Familie zu erledigen. „Das ist eine Todsünde – sie wird Dich Dein Leben lang verfolgen“, habe ihn der Geistliche angeherrscht, als er eine zu Boden gefallene Hostie aufhob, damit dieser nicht darauf trat. Und die schlimmste Demütigung war für ihn, ausgerechnet während des Weihnachtsgottesdienstes vor versammelter Gemeinde die ganze Zeit am Altar stehen zu müssen, weil er mit einem anderen Ministranten geschwätzt hatte. „Das war wie am Pranger.“

    „Es war ein System der Demütigung und der Angst“, erinnert sich der 68-Jährige an seine Kindheit. Während der Pfarrer mit der Faust zuschlug, griff der Lehrer zum Stock. Da sei auch mal Blut geflossen. „Was der Pfarrer getan hat, hat der Lehrer fortgesetzt und die Eltern haben es hingenommen.“ Mit den streng gläubigen und autoritätshörigen Eltern habe er nicht darüber sprechen können, und den beiden Geschwistern ging es nicht besser.

    Mangels Ausweg habe er diese Erlebnisse verdrängt. Wie schwer sie ihn belasteten, habe er erst Jahrzehnte später herausgefunden, als er sich nach einer Tinnitus-Erkrankung einer Psychotherapie unterzog: „Da kam alles wieder hoch.“

    Einen ersten Schritt an die Öffentlichkeit wagte Bayer, als das Erzbistum Bamberg 2018 Missbrauchsopfer einlud, sich im Rahmen einer Studie bei einer Rechtsanwältin zu melden. Daraufhin habe ihn der Generalvikar angerufen und seine Erfahrungen mit der Bemerkung „Das war damals der Zeitgeist“ abgetan. „Es gab kein Wort der Entschuldigung“, bedauert er. Auch in Zapfendorf sei der Pfarrer, der 1972 zum Ehrenbürger ernannt wurde, immer noch angesehen, obwohl allgemein bekannt gewesen sei, das er sich nicht ans Zölibat gehalten habe. Als jetzt eine weitere Studie des Erzbistums angekündigt wurde, hat Bayer sich erneut gemeldet. „Ich habe Erzbischof Schick zu mir nach Kirchschletten eingeladen, damit er mich um Entschuldigung bitten kann“, sagt er.

    „Ich tue das nicht für mich, sondern möchte ein Zeichen setzen, für alle Opfer der Kirche, damit sie sich trauen, endlich den Mund aufzumachen.“

    Reinhold Bayer, Lehrer im Ruhestand

    „Ich tue das nicht für mich, sondern möchte ein Zeichen setzen, für alle Opfer der Kirche, damit sie sich trauen, endlich den Mund aufzumachen“, betont er. Er empfinde das Sprechen über die traumatischen Kindheitserlebnisse wie eine Befreiung.

    Gleichzeitig möchte er deutlich machen, dass es bei der Aufarbeitung des Missbrauchs um die Opfer geht und nicht darum, die Kirche als Institution reinzuwaschen: „Das war doch Mord an den Kinderseelen.“ Die Reaktion des Erzbistums sieht er als symptomatisch für den Umgang mit den Missbrauchsfällen, der von Vertuschung, Verschleppung und Nichtahndung geprägt sei. „Opferschutz muss immer über Täter- und Organisationsschutz stehen“, fordert Bayer.

    Statt die Täter klar zu benennen und sich bei den Opfern glaubwürdig zu entschuldigen, werde versucht, sich mit beschwichtigenden Worten aus der Verantwortung zu ziehen. Und wie wenig die Kirche bereit sei, umzudenken, zeigte die erschütternden Äußerungen von Bischof Rudolf Voderholzer, dass für die Jugendlichen die Vernehmungen schlimmer seien als der Missbrauch. Vom emeritierten Papst Benedikt hätte er wenigstens eine Bitte um Entschuldigung für seine Fehler erhofft, doch stattdessen kämen nur Floskeln des Bedauerns. Umso ärgerlicher sei es, dass auch der Staat tatenlos dem Versuch der Kirche zusehe, sich aus der Verantwortung zu stehlen: „Das muss die Justiz alles aufklären.“

    Sein Glaube hat keine Religion mehr

    Ein Pilger, der aus der Kirche ausgetreten ist: Reinhold Bayer hat seine Wohnungstür mit der Jakobsmuschel, dem Zeichen der Pilger, und Bibelzitaten geschmückt.
    Ein Pilger, der aus der Kirche ausgetreten ist: Reinhold Bayer hat seine Wohnungstür mit der Jakobsmuschel, dem Zeichen der Pilger, und Bibelzitaten geschmückt. Foto: Gerhard Herrmann

    Zwar ist Reinhold Bayer vor 30 Jahren, als Finanzskandale ruchbar wurden, aus der Kirche ausgetreten, doch seinen „Glauben an meinen Bruder Jesus und seine Botschaft, sich für die Schwächsten einzusetzen“ hat er sich bewahrt. An der Eingangstür seiner Wohnung hat er das Jesus-Zitat „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“ (Johannes 6.37) aufgehängt und auf seinem Arbeitstisch steht eine Heiligenkreuz-Bibel. „Ein Wunder, dass Du dabeigeblieben bist“, habe ein befreundeter Pfarrer einmal zu ihm gesagt. Glaubensfragen beschäftigen ihn weiterhin. Franz von Assisi ist zu seinem Vorbild geworden. Umso schmerzhafter ist für ihn die Haltung der „Kirchenoberen, denen der Systemerhalt wichtiger ist als die Menschen.“

    Nach seiner Frühpensionierung als Lehrer für Sport, Biologie und Geographie ist Reinhold Bayer aufgebrochen und hat die Welt bereist. Seine Erlebnisse hat er als Buch veröffentlicht und den Erlös für ein Missionsprojekt im Senegal gespendet, wo er das Geld persönlich übergab. Auch im Alltag engagiert er sich für die Schwächsten in der Gesellschaft: So hat er zwei Geflüchteten aus Syrien beim Familiennachzug geholfen und betreut zurzeit einen weiteren Syrer in Bamberg. Mit Erfolg: Der Mann hat inzwischen die Meisterprüfung als Friseur bestanden und eine Familie gegründet.

    Der leidenschaftliche Pilger macht sich immer wieder auf den Weg

    Loslassen vom Alltag kann Reinhold Bayer, wenn er auf Pilgertour geht. So ist er schon zweimal nach Santiago de Compostela und nach Assisi gepilgert, Rom, Jerusalem und Trondheim in Norwegen (Olafs Weg) waren weitere Ziele.

    Auch als Pilgerbegleiter bei der ökumenischen Kur- und Urlauberseelsorge in Bad Staffelstein hat er sich neun Jahre lang engagiert. Er versteht das Leben als „Pilgerreise zu Gott.“ Eine Kirche braucht er dabei nicht mehr.

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