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MICHELAU: 24-Stunden-Stricken im „Wollkörbla“ in Michelau

MICHELAU

24-Stunden-Stricken im „Wollkörbla“ in Michelau

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    Hatten die Idee zum 24-Stunden-Stricken: Daniela Neumann und Martina Lunz.
    Hatten die Idee zum 24-Stunden-Stricken: Daniela Neumann und Martina Lunz. Foto: Markus Häggberg

    Le Mans hat alljährlich sein 24-Stunden-Rennen. Seit diesem Wochenende gibt es auch das 24-Stunden-Stricken von Michelau. Glaubt man Ausrichterin Monika Riedel vom Laden „Wollkörbla“, dürfte eine Tradition begründet worden sein. Bestrickende Erlebnisse zwischen Koffein, Muschelmaschen, Frühaufstehern und Nachteulen.

    Es ist Freitag, und der Zeiger bewegt sich schon auf Mitternacht zu. Es ist Nacht, es ist finster, und über dem Ort liegt Stille. In Riedels Laden in der Waldstraße aber brennt noch Licht. Das tut es jetzt schon seit gut 17 Stunden und das wird auch die nächsten 12, 13, 15 Stunden so bleiben. Oder noch länger?

    Handarbeitsmarathon

    Stühle wurden an Tische gestellt, Tische an Tische gereiht, eine von einer Firma gesponserte und längst schon mit einer gehäkelten Decke versehene Couch steht auch hier. Wer den Ort betritt, findet auf 150 Quadratmetern und in drei Räumen nicht nur randvolle Regale mit Wolle, sondern von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern mitgebrachte Kuchen, Würste, Gummibärchen oder Salzstangen. Nervennahrung für einen Handarbeitsmarathon. Und ja, auch Eierlikör und Rotweine stehen hier.

    Weit über 20 Frauen und Männer stricken oder häkeln sich nun gerade Mitternacht entgegen, unterhalten sich dabei, fachsimpeln oder vertreten sich auch mal die Beine. Schaulustige gibt es auch. „Es waren ständig so viele Leute wie jetzt hier“, erklärt Ladenbetreiberin Riedel. Wie viele Kannen Kaffee hat sie denn seit dem Morgen schon aufgebrüht? Sie überschlägt kurz gedanklich und sagt: „20 Kannen bestimmt.“

    Der Bayerische Rundfunk hat das Ereignis im Radio angekündigt, und ein regionaler TV-Sender war auch schon da. Doch was ist der Reiz all dessen? Ein Mann in gelber Jacke und im Begriff zu gehen, weiß es genau.

    Früher den Männern vorbehalten

    Günter Bienasch, so heißt er, steht bald vor der Rente und hat jetzt schon Zeit. Dem einstigen Maschinenbauer sagt man hier nach, besonders kunstvoll stricken zu können. Und wo die meisten Männer einen Raglan-Pulli nicht von einem Shetland-Pony unterscheiden können, ist er sogar mit Strickgeschichte vertraut und weiß, wann dieses Muster weshalb in die Welt kam und dass es im Mittelalter in Nürnberg eine den Männern vorbehaltene Strickzunft gab.

    „Ich habe meiner Frau was vor vier Jahren versprochen: ,Weihnachten lerne ich von dir das Stricken!‘“, erzählt der Mann. Und er hielt Wort. Als sie ihm an Heiligabend mit den Worten „So, leg los!“ samt Nadeln kam, habe er schnell gemerkt, dass „es ein toller Ausgleich ist – man lernt Geduld, Selbstdisziplin und Kreativität“. Er will am nächsten Tag wieder hier sein.

    Kurz nachdem er gegangen ist, erhebt sich auch die Seniorin Angelika Negwer von ihrem Platz. „Ich war sporadisch da – von 8.30 Uhr bis 9.30 Uhr, von 14 Uhr bis 16.30 Uhr und von 20 Uhr bis jetzt“, zählt sie auf. Und sagt dann: „Und wieder von morgen früh ab 9 Uhr.“

    Tochter gibt den Anstoß

    Zeit für eine Rückblende, zur Geburt der Idee. Sie kam am 6. Februar während der hier dienstags stattfindenden Strickrunde zwischen Daniela Neumann und Martina Lunz auf. Die beiden Frauen sitzen auch hier. Lunz verrät, dass ihr die Idee eigentlich kam, weil ihre Tochter mal von einem 24-Stunden-Schwimmen berichtete.

    Zwei Räume weiter sitzen die Rentnerinnen Gerlinde Leikeim und Anita Büttner-Liebermann vor Mon Cherie und Marshmallows und stricken. Sie sind Geschwister und gehören gleichfalls jenem Dienstagskreis an. Wie lange noch, Frau Leikeim? „Keine Ahnung. Daheim gehe ich um 1 Uhr ins Bett. Oder um 3 Uhr – ich bin eine Nachteule“, sagt die Seniorin, der man nicht die geringste Müdigkeit anmerkt. Früher, so erklärt sie, habe sie jährlich 52 Paar Socken gestrickt, sei also einiges gewohnt. Um ihre Verpflegung steht es auch gut. „Ich habe zwei Mon Cherie, einen halben Salat und eine gute Flasche Wasser zu mir genommen.“

    „Es ist ein toller Ausgleich – man lernt Geduld, Selbstdisziplin und Kreativität.“

    Günter Bienasch, Teilnehmer am 24-Stunden-Stricken

    Ihre Schwester Anita, die von 9 Uhr bis 15:45 Uhr und wieder seit 21 Uhr strickt, erlaubt sich einen Scherz. Denn der spaßeshalber in den Raum geworfenen Frage, ob so eine Marathon-Strickveranstaltung nicht unter medizinischer Aufsicht ablaufen sollte, pflichtete sie unverblümt humorig bei: „Genau, falls wir hier die Grätsche machen!“

    Den beiden Damen sitzt Petra Götz gegenüber. Was unter ihren Händen gelingt, nennt sich Fliegenschutz für Pferdeohren. Diese Tiere leiden in Sommern häufig unter ungebetenen Fluggästen. Direkt neben Götz werkelt Olivia Lina Mareike Brigitte Hilda Rut (ohne -h) Bartschek. Sie ist auch schon länger hier und hat nach eigenem Bekunden schon sieben, acht Tassen Kaffee intus.

    Gehäkelte Dreadlocks

    Es fallen Begriffe wie Krebsmaschen, Büschelmaschen, Muschelmaschen, Stäbchen, Reliefstäbchen oder Luftmaschen. Klarer Fall, auf dieser Seite des Tisches geht es mehr ums Häkeln. Jetzt erwähnt Bartschek auch noch, dass ihre Dreadlocks durch die Häkelnadel geformt werden. Spricht's und häkelt sich eine Locke.

    Am Ende dieses Tisches sitzen zwei junge Frauen. Sie fallen ob ihrer Jugend hier ein bisschen aus dem Rahmen, aber was sie verbindet, ist ein Lagerfeuererlebnis. Als Kim Kiesewetter (20) und ihre Freundin Tamara Pietschmann im vergangenen Sommer abends im Garten saßen, holte Tamara beim Lagerfeuer die Häkelnadeln raus. Was folgte, war ein Schlüsselerlebnis. „Ich bin hibbelig, brauche was in den Händen zu tun“, lässt die junge Lehrerin Kiesewetter wissen. Dabei versichert sie, dass Häkeln vorzüglich dabei hilft, Stress abzubauen. Ein Satz, der kurz vor Mitternacht fällt.

    13-jährige Frühaufsteherin

    Elf Stunden später sind Anita und Gerlinde noch topfit. „Die eine ist erst vor einer halben Stunde gegangen und man hat ihr nix angemerkt“, lässt Monika Riedel am Telefon mit bewundernder Stimme wissen. Auch sie selbst hat durchgemacht und noch elf weitere Kannen Kaffee gekocht. Zu siebt habe man bis früh um 5 Uhr durchgestrickt. Dann wurde etwas aufgeräumt, abgespült und Frühstück vorbereitet, während andere weiterstrickten und bald neue Strickerinnen und Stricker kamen.

    „Um 6.45 Uhr kam heute eine 13-Jährige, sie wurde von den Eltern hergefahren, hat gehäkelt und sich wieder abholen lassen“, fügt Riedel noch bestens gelaunt an. Sechs Körbe, randvoll mit Kleidung und textilen Spielzeugen, sind das Ergebnis. Sie werden dem Hospizverein in Coburg gespendet.

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