Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Obermain
Icon Pfeil nach unten
Main, Rodach, Steinach
Icon Pfeil nach unten

MICHELAU: Rare Einblicke in längst vergangenen Zeiten

MICHELAU

Rare Einblicke in längst vergangenen Zeiten

    • |
    • |

    Über die Michelauer Fotofamilie Schardt berichtete Ernst Schmidt bei der Monatsversammlung des Vereins für Gartenbau und Landespflege.

    Für seinen Vortrag hatte der Referent die dazu vorhandenen Materialien im Gemeindearchiv ausgewertet, die von der Familie Schardt, verpackt in 20 Kartons, gestiftet worden sind und bis ins vorletzte Jahrhundert zurück reichen. Im Jahr 1881, erblickte Johann Georg Schardt das Licht der Welt. Er stammte aus dem Anwesen Schneyer Straße 58 und war mit allen Schardt-Familien in Michelau mehr oder weniger verwandt. Mit der Fotografie hatte er zunächst nur nebenbei zu tun, vielmehr erlernte er – typisch für Michelau – das Korbmacherhandwerk, in dem er auch die Meisterprüfung ablegte und 1922 eine eigene Firma gründete.

    Sein eigentliches Interesse und seine Liebe galten jedoch - nein, keiner Frau, blieb er doch sein Leben lang Junggeselle- sondern der Fotografie, in der er sich ab etwa Jahr 1915 ausprobierte. Ab 1935 arbeitete er schließlich hauptberuflich als Fotograf. Er war Autodidakt und hatte ein gutes Auge für Motive, wie seine Porträts beweisen. Seine Aufnahmen sind auch aus heutiger Sicht von erstaunlicher Qualität und bieten einen guten Einblick in den seinerzeitigen Ortsalltag. Sei es die Errichtung von Gebäuden wie die Gemeindewaage, Kino, Angerturnhalle und Kirchenerweiterung oder ein Autounfall, der deshalb spektakulär war, weil es zu der damaligen Zeit noch kaum Autos gab. Kindergartenjahrgänge, Jungvolkgruppen, der Besuch des Gauleiters Schemm, der das Rathaus mit dem Korbmuseum im obersten Stock einweihte, überhaupt ist die NS-Zeit in Michelau breit vertreten mit Aufmärschen, Umzügen und Kinderfesten von Hitlerjugend, Bund Deutscher Mädel (BDM) und Kraft durch Freude, denn die Vereine waren ja größtenteils aufgelöst.

    Die Freizeitmöglichkeiten waren für unser heutiges Empfinden eher bescheiden, aber trotzdem machte baden im Mühlbach und Main im Sommer und Schlittschuhfahren auf der zugefrorenen Köstnera allen Altersgruppen viel Spaß. Anger- und Lähmer Kerwa waren Jahreshöhepunkte und zogen die ganze Ortschaft an. Nicht fehlen durfte auch das landwirtschaftliche Gespann des Schardt‘n-Bauer-Verwandten, das noch Jahrzehnte später die Michelauer Straßen unsicher machte.

    1922 wird sein Patenkind Georg geboren, bei dem die Leidenschaft seines Onkels auf fruchtbaren Boden fällt und der schon als Jugendlicher mit der Kamera herumhantiert. Wenn er nicht gerade selbst aktiv, war er meistens auf den Aufnahmen seines Patenonkels zu sehen. 1932 bekommt Georg eine Schwester. Die Schardts waren dann viel unterwegs, nehmen viele Straßenansichten, die es so nicht mehr gibt, auf und zeigen Personen, die heute nicht mehr alle zugeordnet werden können. Leider ist viel zu viel Wissen über Land und Leute unwiederbringlich verloren gegangen.

    Georg lernt als Fotograf in Neustadt bei Coburg und schließt seine Lehre 1940 ab. Das Gemeindeleben aus dieser Zeit hält daher sein Patenonkel in Bildern fest. Er ist beim Fähnlein-Treffen des Jungvolkes zu sehen, wird gemustert und dient beim Reichsarbeitsdienst, mit dem er ein Jahr unterwegs ist und kaum nach Hause kommt. Dann muss er als Soldat nach Russland und landet schließlich bei der Marine in Frankreich. Von seinem Patenonkel findet sich aus dieser Zeit hingegen kaum etwas. Aus amerikanischerer Gefangenschaft zurückgekehrt übernimmt Georg das Fotogeschäft seines Onkels, der sich mehr und mehr zurückzieht und ab etwa 1950 nicht mehr in Erscheinung tritt. 1947 heiratet Georg seine Ehefrau Ilse, die ihn 13 Jahre überleben wird.

    Er wird 15 Lehrlinge ausbilden und sein Archiv 1988 der Gemeinde übergeben. Bis dorthin ist er der Gemeindefotograf schlechthin, er dokumentiert umfänglich und rastlos das Gemeindeleben, die wirtschaftliche Entwicklung des Dorfes mit den Firmen, für die er Werbeaufnahmen fertigt, und die Vereine, besonders seinen geliebten Fußballclub; keine Schulklasse, die er nicht im Bild festhält, kaum ein Hochzeitspaar, das er nicht verewigt, und immer wieder Portraits. Auch die Honoratioren wie Bürgermeister, Gemeinderäte, Ärzte, Apotheker und Lehrer entgingen jahrzehntelang seinem wachsamen Auge nicht.

    Der Referent hat die archivierten Glasnegative, die oft zerkratzt und gesprungen sind und überwiegend noch von Schardt Senior stammen, digitalisiert, um sie für die Nachwelt zu erhalten.

    Dafür sprach ihm Vorsitzender An-dreas Robisch seinen Dank aus und natürlich auch für die kenntnisreiche Darstellung von Aufstieg und Ende der Fotografenfamilie Schardt, einem Zeitdokument von erster Güte.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden