Das Wasser ist so trüb, dass selbst die Hand des nach vorne ausgestreckten Armes im Dunklen verschwindet. Der Taucher tastet sich vorsichtig am Grund des Flusses voran. Zentimeter für Zentimeter schiebt er sich weiter durch das feuchte Nichts. Die Finger tasten über rund geriebenen Kies, weiter über kleine Spitzen aus Stein oder Holz, während der eigene Atem als einziges Geräusch die sonst lautlose Leere durchdringt.
Plötzlich erhebt sich ein Schatten aus dem flachen Grund. Umrisse umeinander gewundener Säulen, hart wie Stein aber glatt wie Glas: So fühlt sich das Gebilde an, das sich fest im Boden verankert gegen die Strömung stemmt. Es ist ein Fahrrad, das der Taucher auf dem Grund des Mains entdeckt hat.
Erlebnisse wie diese kann man nicht künstlich erzeugen, Situationen wie diese nicht im Schwimmbad trainieren. „Im Schwimmbecken hast du 25 Meter Sicht und dann kommt eben die Wand, in Freigewässern hast du oft nur 30 Zentimeter Sicht“, sagt Roman Witerspan. Der 25 Jahre alte IT-Student ist als ausgebildeter Einsatztaucher bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) in Lichtenfels aktiv.
Das Fahrrad hat er während eines Trainingseinsatzes bei einer Brücke über den Main nahe Reuendorf entdeckt. „Strömungen gibt es in unserem Landkreis vor allem im Main bei Lichtenfels oder Staffelstein.“ Ein Taucheinsatz in diesen Stellen sei schon deutlich anstrengender als beim Tauchen in stehenden Gewässern, erzählt der Einsatztaucher.
Bis Roman Witerspan diesen Titel tragen durfte, musste er mehrere Abzeichen und Prüfungen in der DLRG absolvieren, zuerst innerhalb des Landkreises Lichtenfels, dann in Form verschiedener Tauchlehrgänge in ganz Oberfranken. Roman Witerspan ist jetzt Einsatztaucher zweiter Stufe, das heißt, er hat schon Lehrgänge und Übungen zum Nachttauchen, Strömungstauchen und Rettungstauchen absolviert. Trotz dieser Kenntnisse taucht er aber noch immer am liebsten in stehenden Gewässern rund um Lichtenfels und Bad Staffelstein. „Unter Wasser erlebt man eine völlig andere, für den Menschen unnatürliche Welt. Du hast mit deiner Tauchausrüstung mehr als 30 Kilo dabei und schwebst dennoch schwerelos umher“, erzählt er. Ein begeistertes Funkeln stiehlt sich in die Augen des 25-Jährigen, als er von den verschiedenen Tier- und Pflanzenarten erzählt, die es unter Wasser zu entdecken gibt. So leben im Rbensfelder See weiße und blaue Süßwasserquallen, eine jede etwa so groß wie ein Daumennagel. „Bevor ich dort nicht getaucht bin, habe ich nichts davon gewusst. Diese Quallen zu sehen war schon eine echte Entdeckung, das hat mich besonders beeindruckt“, sagt er. „Es ist schon wirklich toll und wahnsinnig entspannend, diese neue Welt jedes Mal aufs Neue zu entdecken.“ Also dient Tauchen auch dem Abbau von Anspannung und Stress? „Nein“, fährt Roman Witerspan sofort nachdrücklich in die Parade, „unter Stress sollte man nicht tauchen.“ Wenn man unter Anspannung stehe, würden Fehler wahrscheinlicher. „So schön die Welt unter Wasser auch ist: Wenn man dort Fehler macht, wird es schnell gefährlich.“
Deswegen ist eine gute Ausbildung wichtig, möchte man sich auch in scheinbar harmlose Gewässer des Landkreises Lichtenfels begeben. Die DLRG bietet nach Meinung von Roman Witerspan hier eine sehr gute Möglichkeit. „Wir haben Leute mit genug Erfahrung, haben genug Fachkenntnis und die nötige Ausrüstung. Auch investieren wir immer wieder in unsere Taucher.“ So wurden erst kürzlich neue Tauchanzüge angeschafft. „Wir wollen technisch immer auf der Höhe bleiben.“
„So schön die Welt unter Wasser auch ist: Wenn man dort Fehler macht, wird es schnell gefährlich.“
Roman Witerspan, Taucher bei der DLRG
Wenn man im Landkreis also tauchen möchte, geht das nur als Rettungstaucher der DLRG? Nein, sagt Witerspan, wer nur den Grundlagenkurs absolvieren wolle, um einfach das Tauchen zu genießen, der könne auch das tun. Niemand werde zum aktiven Einsatz oder in immer neue Fortbildungen gedrängt. Das Ehrenamt lebe schließlich auch von der Freiheit, sich dafür zu entscheiden. Allerdings wachse die Zahl der DLRG-Mitglieder leider nicht. „Es fehlt der Nachwuchs, auch bei uns Tauchern.“
Wer möchte, könne daher zum Saisonstart Mitte September gerne zum Schnuppern bei der DLRG vorbeikommen. Es koste nichts und „wir drängen wirklich niemanden.“ Wer sich dafür interessiere, solle es sich doch einfach mal ansehen, sagt Roman Witerspan.
Im September starten dann auch wieder seine eigenen Übungen und Trainingseinsätze. Was er dieses Mal wohl finden wird? Wieder ein Fahrrad? Roman Witerspan lacht, möchte darüber aber nicht weiter spekulieren. Einige Schätze warten auf jeden Fall noch im Main auf ihre Entdeckung, da ist sich der Taucher sicher.