Das Blut kommt zuerst, fließt durch die Löcher des Fleischwolfs und tropft in den Eimer am Boden. Fleisch schiebt sich tiefrot hinterher, weiß gesprenkelt vom Fett. Dutzende Schweinesteaks werden in den Fleischwolf gedrückt, Brocken für Brocken schichtet sich das Hack höher im Eimer auf. Es riecht nach Blut und Eisen, die Zeiger auf dem Ziffernblatt verdecken einander, zeigen 6.30 Uhr. In der Metzgerei Schardt in Trieb ist Bratwursttag.
Eine fränkische Bratwurst ist nicht einfach ein Nahrungsmittel, ist nicht einfach Essen, sie ist in Oberfranken Kulturgut und regionales Erkennungszeichen. Sie wird gereicht bei jedem Fest der Feuerwehr, gegrillt am Rande vieler Fußballspiele. Wenn sie im kulinarischen Angebot von Volksfesten fehlt, ist schnell vom Supergau die Rede.
Bratwürste mit Silber oder Gold
Die einen Metzger verfeinern ihre Wurst mit speziellen Gewürzen wie Kümmel, die anderen gar mit Silber oder Gold. Es gibt den fränkischen Bratwurstgipfel, eine fränkische Grillschule und den fränkischen Heimatminister Markus Söder, der sagt, dass zur Frühjahrs- und Sommerzeit „der Hunger auf echt fränkische Rostbratwürste in der DNA des Franken eingeschrieben“ sei.
Wer frühmorgens mit nüchternem Magen und zum ersten Mal in der gefliesten Kammer der Metzgerei in Trieb steht und die Herstellung dieser Traditionsspeise beobachtet, dem ist der Gedanke an Hunger auf Bratwurst fremd, dessen DNA giert nicht nach Fleisch im „Brötla“, sondern nach einem kräftigen Kaffee, um den rebellierenden Magen zu beruhigen.
Es ist nicht so, dass der Vorgang abstoßend wäre oder Ekel hervorrufen würde. Ganz im Gegenteil. Es hat etwas beinahe Ästhetisches, zu sehen, wie schlicht und echt die Herstellung von Bratwürsten funktioniert. Es braucht den Metzger, die Schweinesteaks, den Fleischwolf – ein Dreiklang des Handwerks. Es ist der Geruch nach Eisen, der kämpfen lässt. Blut verträgt sich nicht mit einem nüchternen Magen.
Als der Eimer gefüllt ist, wird das Hack in eine Art Trichter gefüllt, aus dem der Metzgermeister es in den Schafsdarm spritzen kann. Warum Schafsdarm? Der ist besonders reißfest. Wenn das Hack mit Druck hineingespritzt wird, ist diese Eigenschaft wichtig, um gut damit zu arbeiten. Knoten, spritzen, knoten, spritzen – der Rhythmus wird etwa zwei Stunden lang gehalten, während sich immer mehr und mehr Bratwürste auf der Arbeitsfläche türmen. Manchmal reißt der Darm trotzdem, die Überreste werden dann abgeschnitten und in einem bereitgestellten Bottich entsorgt. Neuer Knoten, weiter geht's.
Von Region zu Region verschieden
In Oberfranken zeigt sich die Bratwurst so facettenreich wie nirgends sonst auf der Welt. Jede Region hat ihre eigene Besonderheit. Die Coburger Bratwurst beispielsweise besteht klassischerweise aus Rindfleisch, ist etwa 25 Zentimeter lang und, anders als die Trieber Bratwurst von Alfred Schardt, im Schweinedarm abgefüllt. Sie wird üblicherweise über Kiefernzapfen gegrillt.
Rund um Bamberg, Lichtenfels und Kronach ist die Bratwurst normalerweise mittelgrob gehalten, mit etwa 40 Prozent Anteil an Brät. Noch grober wird es weiter im Süden. In der Region rund um Forchheim gibt es die grobsten Bratwürste in Oberfranken. Die Region von Kulmbach über Bayreuth bis nach Hof bietet die feinsten Bratwürste.
Majoran muss rein
Auch die Darreichung hat Tradition, immer als Paar, oft in einem Brötchen. Die Ausnahme ist Coburg, wo es nur eine einzige Wurst in die Semmel schafft. Doch trotz aller Unterschiede schmeckt man auch Gemeinsamkeiten bei einer „typisch fränkischen“ Bratwurst. Majoran, Muskat, Salz, Pfeffer und sogar etwas Zitrone sind in fast jeder Bratwurst als Würze enthalten, egal ob grob oder fein.
Es gibt sie auch im Essigsud und heißen dann „Blaue Zipfel“. Sie werden mit Zwiebelringen, Lorbeerblättern, Nelken und Wachholderbeeren warm serviert.
Egal, welche Zubereitung den Bratwürsten später zuteil wird, nach der Herstellung gehört das Säubern der Arbeitsfläche und des gesamten Raumes genauso dazu wie das Befüllen der Würste. Verunreinigungen oder gar Keime könnten den Untergang eines kleinen Familienbetriebs bedeuten. Bei Schardt werden am Bratwurst-Tag zwischen 350 und 500 Paar Bratwürste hergestellt. Es gibt zwei Bratwursttage in der Woche. In den großen Schlachthöfen und Großmetzgereien sind es dagegen teilweise mehrere zehntausend am Tag.
Endlich auf dem Grill, züngeln Flammen, lecken am Fett der Wurst, das in die Glut tropft und zischt. Dann ist es so weit. Ein Biss. Der Kiefer mahlt. Das Fett fließt. Heimatgenuss.