Eifrig deckt Tizian die Memorykarten auf und betrachtet die Bilder: Hund, Reh, Meerschweinchen. Als er die zweite Meerschweinchen-Karte entdeckt, hellt ein Strahlen seine konzentrierte Miene auf. Begeistert hält der 25-Jährige die Karten dem Besucher entgegen. Tizian besucht die Fördergruppe im Wohnheim St. Elisabeth des Heilpädagogischen Zentrums der Caritas in Lichtenfels. Hier erfährt er nicht nur Betreuung, sondern trainiert auch sein Sprach- und Konzentrationsvermögen. „Vielleicht kann er eines Tages in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten“, hofft Fördergruppenleiter Tilo Stadelmann für seinen Schützling.
Vier Gruppen- und drei Therapieräume
Eng geht es im Gemeinschaftsraum der Fördergruppe zu, die seit Jahren als Provisorium in der Wohngruppe V des Wohnheims untergebracht ist. Wenn Nadine mit ihrem Rollstuhl den Platz am Tisch wechseln will, muss ein Betreuer erst die Stühle an der Wand zur Seite räumen, damit sie durchkommt. Und das Büro teilt der Fördergruppenleiter mit den Kollegen von der Wohngruppe IV. Entlastung und bessere Therapiemöglichkeiten soll der Bau einer Tagesförderstätte auf dem Gelände neben dem Wohnheim in der Wittelsbacher Straße bringen.
Rund 2,8 Millionen Euro investieren der Caritasverband für die Erzdiözese Bamberg als Träger und die Joseph-Stiftung in den Neubau, wie Caritas-Sprecher Dr. Klaus-Stefan Krieger mitteilt. Zuschüsse dazu gewähren die Regierung von Oberfranken (1,7 Millionen Euro), der Bezirk Oberfranken (182 000 Euro) und die Aktion Mensch (110 000 Euro).
Platz für vier Gruppenräume und drei Therapie-Räume (Krankengymnastik, Ergotherapie, Snoezelen) wird auf insgesamt 900 Quadratmeter Nutzfläche geschaffen. Auch moderne Medien und eine Musikanlage können dann therapeutisch genutzt werden. Im September 2018 soll der Neubau fertig gestellt sein. Eine Nutzung werde bereits für August angestrebt, denn ein Abgänger der Maximilian-Kolbe-Schule für Menschen mit Behinderung wird die Förderstätte dann besuchen, erläutert Wohnheimleiter Thomas Geldner.
Jeweils sieben Besucher pro Gruppe können in der neuen Förderstätte aufgenommen werden. Da jede Gruppe von zwei pädagogischen Mitarbeitern betreut und auch hauswirtschaftliches Personal benötigt wird, könnten auch einige Arbeitsplätze geschaffen werden. Zum Start werden es wohl 21 Klienten sein, doch der Bedarf steigt. Zurzeit werden 17 Menschen mit Behinderung in der Fördergruppe von neun Mitarbeitern während der Tagesstunden betreut. Zwei Drittel von ihnen leben im Wohnheim, die übrigen bei ihren Familien. Als die Einrichtung 2003 aus den Werkstätten St. Joseph im Eichenweg ausgegliedert wurde, waren es nur sechs Besucher täglich, inzwischen herrsche wegen der Verdreifachung drangvolle Enge. „Wir haben mangels geeigneter Räume nicht die Möglichkeit, genug unterschiedliche Therapien anzubieten, um allen gerecht zu werden“, bedauert Thomas Geldner.
„Die neuen Räume werden es ermöglichen, jedem Besucher die Förderung zu geben, die er wegen seines Handicaps benötigt“, erläutert Tilo Stadelmann. So sorge ein Snoezelen-Raum nicht nur für Entspannung und Beruhigung bei verhaltensauffälligen Besuchern, sondern helfe auch, die Sinne mit gezielten Reizen zu aktivieren – etwa Herbststimmung durch mitgebrachtes Laub und entsprechende Beleuchtung zu erzeugen.
„Die neuen Räume werden es ermöglichen, jedem Besucher die Förderung zu geben, die er wegen seines Handicaps benötigt.“
Tilo Stadelmann, Fördergruppenleiter
Tizian war anfänglich so unruhig, dass er es im Snoezelen-Raum nur kurz aushielt, doch inzwischen entspannt er sich dort gut.
Der 25-Jährige hilft gerne im Alltag der Wohnheim-Mitarbeiter, etwa in der Küche, doch für eine Tätigkeit in den Werkstätten für Behinderte ist seine Konzentrationsfähigkeit nicht stark genug. Dank regelmäßiger Sprach- Schreib- und Aufmerksamkeitsübungen hat er enorme Fortschritte gemacht und spricht in relativ zusammenhängenden Sätzen. Sprach er anfangs alle Mitarbeiter mit den zwei Namen der Betreuer in der Einrichtung, an, in der er zuvor untergebracht war, kennt er inzwischen jeden.
Diese Förderung verlangt Einfühlungsvermögen von den Betreuern – etwa beim Memory-Spielen bei jeder Karte nachzufragen, was auf dem Bild zu sehen ist, oder bei Ausflügen nach Kleinigkeiten am Straßenrand. „Mühe, die sich lohnt“, meint Tilo Stadelmann. Denn Tizian freut sich über jeden Erfolg und hebt stolz den Daumen, wenn etwas geklappt hat.
Bei Nadine steht die Erhaltung ihrer Beweglichkeit im Vordergrund. Die 36-Jährige sitzt wegen spastischer Lähmungen im Rollstuhl. Krankengymnastik und Ergotherapie helfen, ihre Bewegungsfähigkeit zu erhalten. Oder der Wechsel vom Rollstuhl in ein sogenanntes Stehbrett, das es ihr ermöglicht, aufrecht zu stehen – wichtig zur Stärkung von Sehnen und Muskeln, sagt Stadelmann.
Wie Nadine und Tizian sind die Besucher der Fördergruppe Menschen, deren geistige oder mehrfache Beeinträchtigung zu schwer ist, um ihnen eine produktive Tätigkeit in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung zu erlauben. In der Förderstätte erhalten sie eine Tagesstruktur. So gehen sie morgens wie die Beschäftigten einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung aus dem Haus und kehren nach Feierabend ins Wohnheim oder die Familie zurück. Das wird künftig auch durch die räumliche Trennung des Neubaus vom Wohnheim deutlich.
„Durch die Förderung soll die Lebensqualität der Besucher erhalten oder im Idealfall eine spätere Tätigkeit in den Werkstätten ermöglicht werden“, erklärt Thomas Geldner. Auch die Eingliederung in die Umgebung und die Minderung von Verhaltensauffälligkeiten sind wichtige Ziele. Neben der Therapie werden auch Farb- und Steckspiele eingesetzt, um die Klienten zu aktivieren. Eine wichtige Rolle spielen regelmäßige Ausflüge, Spaziergänge und der Aufenthalt im weitläufigen Garten des Wohnheims.
Spiele und arbeitsähnliche Tätigkeiten
Außerdem arbeite die Fördergruppe mit den Werkstätten St. Joseph zusammen, um arbeitsähnliche Tätigkeiten einzuüben. Etwa, indem sie den Mitarbeitern in der Küche oder der Verwaltung bei einfachen Aufgaben helfen, wie beim Schreddern von Dokumenten oder beim Putzen.
Eine beachtliche Entwicklung hat Tizian in den sieben Jahren gemacht, die er die Fördergruppe besucht.
Fiel er anfangs durch ausgeprägte Unruhe und Übergriffe auf das Eigentum der Mitbewohner auf – etwa indem er Shampoo in ein Aquarium goss oder einen Fernseher demolierte – kümmert er sich jetzt sogar um andere Besucher, wenn sie den Gruppenraum ohne Begleitung verlassen.
Die neue Förderstätte Die Fördergruppe des Heilpädagogischen Zentrums Lichtenfels ist zurzeit im Wohnheim St. Elisabeth integriert. Eine eigene Förderstätte mit vier Gruppen für jeweils sieben Besucher errichten der Caritasverband für die Erzdiözese Bamberg und die Joseph-Stiftung bis Ende September 2018. Ziele der Förderung sind die Erhaltung und Verbesserung der erworbenen Fähig- und Fertigkeiten der Besucher und die Eingliederung in die umgebende Umwelt. Außerdem die Minderung der Verhaltensauffälligkeiten, vor allem der Autoaggressionen und dadurch eine Verbesserung der Lebensqualität und -situation. Baukosten: 2,8 Millionen Euro. Förderung: Regierung von Oberfranken (1,7 Millionen Euro), Bezirk Oberfranken (182 000 Euro) und Aktion Mensch (110 000 Euro).