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LICHTENFELS: Damit Retter nicht zu Opfern werden

LICHTENFELS

Damit Retter nicht zu Opfern werden

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    Fast überfahren wurde Feuerwehrfrau Heidrun Stengel aus Wolfsdorf bei der Verkehrssicherung zum Obermain-Marathon im April 2017.
    Fast überfahren wurde Feuerwehrfrau Heidrun Stengel aus Wolfsdorf bei der Verkehrssicherung zum Obermain-Marathon im April 2017. Foto: Gerhard Herrmann

    Wüst schimpft der Autofahrer und gibt Gas. Ruckweise fährt er auf Heidrun Stengel zu, bis die Stoßstange des Wagens ihr Knie trifft. Unfassbar ist der Vorfall beim Obermain-Marathon im vorigen Jahr für die Feuerwehrfrau Heidrun Stengel noch heute. Sie opfert ihre Freizeit, um die Sicherheit der Läufer zu gewährleisten, indem sie die Straße oberhalb von Wolfsdorf sperrt, und wird deswegen fast überfahren. Nicht nur Polizeibeamte leiden unter zunehmender Gewalt, sondern auch Rettungskräfte, wie Feuerwehr und Sanitäter. Zwar ist die Zahl der Übergriffe im Landkreis bisher überschaubar, doch gibt die Tendenz zu denken. Daher appellieren die Retter an das Verständnis der Bürger, dass Einschränkungen während ihrer Einsätze der Sicherheit aller dienen.

    „Ich war so schockiert, dass ich noch nicht einmal den Schmerz spürte“, berichtet Heidrun Stengel von der Auto-Attacke. Erst abends bemerkt sie die blauen Flecken. Doch was tiefer sitzt als die körperliche Beeinträchtigung, ist der Schock über den Angriff. So etwas hat die 51-Jährige in 24 Jahren bei der Feuerwehr noch nicht erlebt.

    Zuerst hatte Heidrun Stengels 20-jährige Tochter vergeblich versucht, den 93-jährigen Mann anzuhalten. Erst dem zu Hilfe gerufenen Kommandanten Alexander Heller gelang es, den Verkehrsrowdy zu stoppen. Was bleibt, ist die Sorge, dass der nächste Übergriff nicht so glimpflich ausgehen könnte. Daher wird ihr bei der Absicherung des Obermain-Marathons im April der Feuerwehr-Kommandant an der kritischen Stelle, wo es schon öfter Ärger mit Autofahrern gegeben hat, zur Seite stehen.

    „Wir setzen unsere Aktiven bei Verkehrsicherungen zu ihrem Schutz immer zu zweit ein, wenn es die Situation erlaubt“, betont Alexander Heller. Beim Obermain-Marathon werden daher allein für den Wolfsdorfer Bereich acht Einsatzkräfte benötigt. Als Ursache für die zunehmende Gewaltbereitschaft vermutet der Kommandant eine wachsende Unzufriedenheit bei vielen Menschen, die nur noch ihre eigenen Interessen sehen und daher kein Verständnis dafür haben, dass die Freiwilligen Feuerwehren ehrenamtlich für die Sicherheit aller Bürger sorgen.

    Mit dem Auto bedrängt wurde auch ein Feuerwehrmann in Hochstadt, der die Ortsdurchfahrt an Allerheiligen 2015 für die Prozession zum Friedhof für fünf Minuten sperrte. „Ist es mittlerweile gerechtfertigt, wenn Helfer ... bei ihren auch zum Teil ehrenamtlichen Tätigkeiten dermaßen beleidigt, bedroht oder verletzt werden?“ fragt Kommandant Holger Herold auf der Facebook-Seite der Hochstadter Feuerwehr.

    Egoismus und Ellenbogendenken vieler Verkehrsteilnehmer sieht Stefan Liebl, Kommandant der Stützpunktfeuerwehr Bad Staffelstein, als Ursachen der zunehmenden Gewalt gegen Einsatzkräfte. „Das ist doppelt ärgerlich, weil die Verkehrssicherung nicht nur dem Schutz der Einsatzkräfte selbst dient, sondern auch dem der Autofahrer vor Gefahrenstellen, wie bei umgestürzten Bäumen“, betont er. Auffällig findet Liebl, dass meist ältere Autofahrer sich den Anweisungen der Feuerwehrleute widersetzen – offenbar, weil sie sich von jüngeren Einsatzkräften nichts vorschreiben lassen wollten. Um mehr Verständnis für die Arbeit der Ehrenamtlichen zu wecken, appelliert er an die Vernunft und lädt alle Bürger ein, die Feuerwehr zu besuchen und sich über ihre Tätigkeit zu informieren.

    „Die Ehrenamtlichen opfern ihre Freizeit und machen ihren Dienst nach bestem Wissen und Gewissen, daher appellieren wir an das Verständnis der Bürger dafür, dass die Einsätze auch mal Einschränkungen mit sich bringen“, sagt Kreisbrandrat Timm Vogler. Er bittet um mehr Respekt vor diesem Dienst zum Wohl von Verunglückten. Gewalt gegen Einsatzkräfte sei im Landkreis bisher glücklicherweise noch die Ausnahme, zumal es sich meist eher um Verärgerung über eine Straßensperrung handele. Daher sei es wichtig, ruhig zu bleiben und den Leuten zu erklären, warum die Sperrung erforderlich ist. Wie jüngst bei dem tödlichen Autounfall am Stadtrand von Weismain, bei dem während der Rettungsarbeiten die Ausfahrt des Netto-Marktes gesperrt werden musste. Das sei für die Betroffenen ärgerlich, doch es gelte, Verständnis dafür zu wecken, dass die Versorgung der Verletzten wichtiger sei, als der Wunsch nach freier Fahrt.

    Zu Gelassenheit rät der Kreisbrandrat auch im Umgang mit Gaffern. Überzogen findet er etwa die Aktion eines Feuerwehrmanns, der Autofahrer nass spritzte, die den Einsatz bei einem tödlichen Unfall auf der Autobahn A3 im Vorbeifahren filmten.

    „Gewalt waren die Einsatzkräfte und Helfer des Technischen Hilfswerks zum Glück noch nicht ausgesetzt“, sagt Zugtruppführer Daniel Schell vom Ortsverband Bad Staffelstein. „Eine kleine Herausforderung ist aber mitunter der Umgang mit einigen wenigen Autofahren während der Nacht- oder Silvesterläufe in Bad Staffelstein, die wir seit vielen Jahren auch mit Unterstützung der DLRG absperren.“ In wenigen Fällen wurden Helfer beschimpft und einer vor Jahren sogar von einem uneinsichtigen Autofahrer leicht angefahren.

    Unter Pöbeleien und verbalen Angriffen leiden die Sanitäter von Rotem Kreuz (BRK) und Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) bei ihren Einsätzen, doch zu tätlichen Angriffen ist es in der Region in jüngster Zeit nicht gekommen. Doch die Tendenz steigt, wie Tobias Eismann, stellvertretender BRK-Rettungsdienstleiter, feststellt. Waren es früher zwei Fälle im Jahr, die er an die Zentrale meldete, sind es heute zwei im Monat.

    „Die Ehrenamtlichen opfern ihre Freizeit ..., daher appellieren wir an das Verständnis der Bürger dafür, dass die Einsätze auch mal Einschränkungen mit sich bringen.“

    Timm Vogler, Kreisbrandrat

    Vor Jahren wurden er und ein Kollege bei einem Einsatz sogar verletzt: Ein Randalierer schlug ihm die Nase blutig und zertrümmerte die Brille des Kollegen. Meist handele es sich jedoch um Beleidigungen und Beschädigungen von Einsatzwagen und Geräten. Während er sich frage, ob er etwas falsch gemacht habe, wenn ihn die Polizei anhalte, würden junge Leute oft aggressiv. Gegen diese Tendenz zur Verrohung könnte allenfalls ein Bewusstseinswandel helfen. Hier seien die Eltern gefragt.

    „Früher hatte man als Sanitäter einen Sonderstatus, weil die Leute es respektiert haben, dass wir Menschen in Not helfen, heute trifft uns oft der Zorn, dem auch die Polizeibeamten ausgesetzt sind“, sagt ASB-Rettungsdienstleiter Albert Florschütz. Meist seien es Menschen in Ausnahmesituationen oder im Rausch, die derart ausfällig werden. Das belaste die Retter. Von der Gesetzesänderung, die vorschreibt, dass Angriffe auf Rettungskräfte seit vergangenem Jahr mit einer Mindeststrafe von drei Monaten Haft sanktioniert werden, verspricht er sich wenig Besserung. Stattdessen gelte es, schon bei Kindern Verständnis für die Arbeit der Rettungskräfte zu wecken und sich für mehr Respekt im Umgang miteinander einzusetzen.

    Sorge wegen möglicher Infizierung

    „Die Angriffe gegen unsere Beamten nehmen zu, bewegen sich aber im Rahmen des Üblichen“, stellt Ralf Fenderl, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Lichtenfels fest. Meist handele es sich um Beleidigungen, Gewalttaten seien die Ausnahme. Besonders jüngere Leute im Rausch neigten zur Aggression. „Das gehört zu unserem Beruf, schließlich werden wir aktiv, wenn die Leute sich etwas zu schulden kommen lassen“, erklärt Fenderl.

    Betroffen gemacht hat ihn ein Fall vor zwei Jahren, als ein Streifenbeamter beim Versuch, einen Beziehungsstreit in Weismain zu schlichten, verletzt und angespuckt wurde. Da der Verdacht bestand, dass der Täter an einer ansteckenden Krankheit litt, befürchtete der Beamte monatelang, er könnte infiziert worden sein. „So etwas beeinträchtigt nicht nur den Dienst, sondern auch das Privatleben massiv“, betont Fenderl. Gestiegen sei auch der Grad der Aggression. Als ein Streifenbeamter im vergangenen Jahr einen Verdächtigen nach einer Verfolgungsjagd eingeholt hatte, drehte der sich um und schlug ihm unvermittelt mit der Faust ins Gesicht. Und beim Schützenfest rastete eine Betrunkene so aus, dass sie noch in der Ausnüchterungszelle eine Beamtin schlug, kratzte und ihr Haare ausriss.

    Polizei bittet um mehr Vertrauen

    „Während unsere Beamten für derartige Situationen ausgebildet sind, haben es die Rettungsorganisationen schwerer“, sagt Ralf Fenderl. Ebenso wie Polizeibeamte litten sie unter dem zunehmenden Trend, staatliches Handeln in Frage zu stellen. Daher wäre es wichtig, den Bürgern mehr Vertrauen in die staatlichen Einrichtungen zu vermitteln. Es sollte jedem bewusst sein, dass sowohl Polizei als auch Rettungskräfte ein gemeinsames Ziel haben: „Wir setzen uns für ein positives und friedliches Zusammenleben ein“.

    Härtere Strafen Wegen der zunehmenden Gewalt gegen Retter hat der Bundestag im vergangenen Jahr beschlossen, dass bei körperlichen Angriffen auf Polizeibeamte, Rettungskräfte und Gerichtsvollzieher statt Geldstrafen eine Mindeststrafe von drei Monaten Haft verhängt werden soll. Haftstrafen bis zu zwei Jahren können zur Bewährung ausgesetzt werden. Während für die Rettungsorganisationen keine Zahlen vorliegen, weist die Statistik des Polizeipräsidiums Oberfranken auf eine Zunahme der Übergriffe hin. So wurden im Jahr 2016 insgesamt 604 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte registriert, das ist eine Zunahme von 14,2 Prozent (75 Fälle) gegenüber dem Vorjahr. 190 Beamte wurden dabei zum Teil schwer verletzt. Zahlen für 2017 liegen noch nicht vor. Unter dem Motto „Keine Gewalt gegen Retter“ ruft eine Aktion in den sozialen Netzwerken zur Solidarität mit den Rettern auf.

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