Heinz Gärtner hat sich vorbereitet. Er wusste von dem Zeitungsbesuch und hat zur Arbeitserleichterung einen Lebenslauf erstellt. 20 Positionen sind dort aufgeführt, 20 Mark- und Wendepunkte eines Lebens als Umtriebiger.
Lehre zum Maschinenschlosser, Facharbeiter, Wehrdienst mit Einzelkämpferausbildung, Panzer-Unteroffizier, Eintritt in die IG-Metall mit 16, in die SPD mit 17. „Wegen der Friedenspolitik Willy Brandts.“ Dann Stationen wie Betriebsratsvorsitzender, IG-Metall-Ortsverwaltung, Lichtenfelser Stadtrat von 1978 bis 2014, Heirat 1987, drei Kinder, DGB-Kreisvorsitzender seit 2002, aktueller Kassier bei den Schneyer Kleintierzüchtern, Berufsschulbeirat und so weiter und so fort.
Ein überzeugter Europäer
Steht man in Gärtners Vorgarten, überragt einen die Europa-Fahne mit den zwölf Sternen um das Dreifache. Hier wohnt ein überzeugter Europäer und diese Überzeugung ist ihm eine ernste Sache. Gleich hinter der Wohnungstür wird es aber spaßig. Dafür sorgt Voltaire und das wie folgt: „Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein!“ Dieses Zitat steht in großen Lettern auf der Glastür, auf die Uschi gute Sicht hat. Uschi ist eine Schaufensterpuppe und hat derzeit grüne Haare.
Kaffe aus der IG-Metall-Tasse
Heinz Gärtner ist ein witziger Mensch mit vielen Facetten, Begabungen und Erinnerungen. Eine der jüngeren Erinnerungen ist eine so politische wie menschliche. Sie ergab sich in Gestalt seines Großvaters, von dessen KZ-Inhaftierung in Dachau er den Entlassungsschein aufbewahrt.
„Ich habe was zu tun mit dem Grundgesetz und der Währungsreform.“
Heinz Gärtner, Jubilar
Auch er ein Heinrich (Langform von Heinz), auch er ein Sozi. Gärtner würde nicht sagen, dass sein Opa ihn politisiert habe. „Das mag eher beiläufig geschehen sein - durchs Zuhören.“ Dass aus ihm ein politisch denkender und empfindender Mensch werden konnte, hält Gärtner lachend und nicht ganz ernst gemeint auch seinem Geburtsjahr 1949 zugute: „Ich habe was zu tun mit dem Grundgesetz und der Währungsreform.“ Dabei greift er zur Kaffeetasse mit IG-Metall-Aufdruck. Man sitzt auf der Terrasse im Garten. Es ist ruhig hier, es ist der rückwärtige Teil des Hauses. Ein Aquarium ist hier zu finden und in ihm schon enorme Kois.
Im Kübelwagen ohne Fenster
Gärtner hat gerne Dinge um sich, nicht überladen, aber zur Betrachtung und sicher auch, um gute Erinnerungen aufsteigen zu lassen. So wie die an seine Zeit, als er als Facharbeiter für die Firma Kapp von 1969 bis 2012 auf der ganzen Welt unterwegs war. Heute ist das anders, heute ist er Rentner. Darum ist er für die Firma mit Weltruf im Getriebebau aus Verbundenheit und Spezialistentum nur noch gelegentlich und lediglich deutschlandweit unterwegs. Weil es Maschinen gibt, mit denen sich nur wenige auskennen, wird er „manchmal reaktiviert“.
Mit CNC-Technik und Steuerungsprogrammen ist der Schneyer heute noch vertraut. Bei der Gelegenheit kommt Gärtner auf einen eigenwilligen Vorfall zu sprechen. Seine damalige Firma pflegte - gemäß den damaligen Handelsbestimmungen - Kontakte zu einer Panzerfirma des Ostblocks. An einem Teilstück des russischen T 72 hatte Gärtner eine Arbeit vorzunehmen. „Im Kübelwagen ohne Fenster und mit abgenommenem Pass wurde ich in die Halle gefahren“, so der Mann, der die Gesamtkonzeptionierung des feindlichen Kampfpanzers freilich nie zur Erfassung bekam.
Sozi, Gewerkschafter und gläubig

In einer Art Laube mit Tunnelgewölbe, die sich gleich nach der Küche befindet und einen Teil des Wohnzimmers bildet, stehen Figuren und Schnitzarbeiten aus China oder Südafrika. Auch eine Matrjoschka aus Russland findet sich hier. Auch in anderen Räumen seines Hauses stößt man auf Mitbringsel aus aller Herren Länder. Gärtner fremdelt nicht mit anderen Kulturen, er schätzt sie, ist interessiert. Eigentlich wirkt er gar nicht wie viele Männer seines Alters. Derzeit liegt auf diesem Tisch eine Karte von Südengland.
Dorthin wird es ihn in Bälde mit einer Reisegruppe ziehen. Sozi und Gewerkschafter und dabei gläubig? In Gärtners Leben kein Widerspruch, er ist gläubig und engagiert sich in der Allianz für den freien Sonntag, im Bündnis gegen Rechts oder der örtlichen Kirchengemeinde. „Können Sie nicht nein sagen?“, ist man an dieser Stelle zu fragen versucht. Stellt man diese Frage wirklich, erntet man ein diplomatisches Gemisch aus Bescheidenheit und Eingeständnis.
Immer auf dem Laufenden
„Es ist ein bisschen beides, auch weil ich weiß, dazu meldet sich schwer ein anderer.“ Dann, als die Frage aufkommt, ob er sich für einen optimistischen Menschen hält, antwortet er: „Auf alle Fälle, man sieht an so einer Demokratie ja auch, dass man was mitgestalten kann.“ Gärtner spricht von Demokratie, nicht von Persönlichem. Als man ihn darauf hinweist, wiegelt er den Verdacht ab, ein Homo Politicus zu sein, ein durch und durch politischer Mensch. Doch das Politische blättert er täglich auf. Mehrere Tageszeitungen gibt es, für die er „manchmal extra schon um sechs Uhr“ aufsteht. „Zwei Stunden Zeitung lesen ist an der Tagesordnung“, dazu bewusst geschaute Politsendungen im Fernsehen.
Das alles will er sich nicht nehmen lassen. Aber dieses oder jenes Pöstchen abzugeben könnte er sich schon denken. Weil er sich in Zukunft mehr seiner Frau und den Enkeln widmen könnte, dem Garten und dem Gewächshaus, weil man ja vielleicht noch „zehn gute Jahre“ hat und nicht jünger wird. Heinz Gärtner wurde heute älter, hat heute 70. Geburtstag. Aber lässt sich ein Leben wirklich erfassen und zu ihm bilanzieren? Manchmal reichen dazu die Zeilen nicht aus.
Auch das Team des Obermain-Tagblatts wünscht Heinz Gärtner zum 70. Geburtstag alles Gute!