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ZAPFENDORF: Warum Kornelius Holmers Vater Honecker Kirchenasyl gewährte

ZAPFENDORF

Warum Kornelius Holmers Vater Honecker Kirchenasyl gewährte

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    Angekommen ist das Pfarrersehepaar Dana und Kornelius Holmer in  Zapfendorf. 30 Jahre nach dem Mauerfall erinnern sie sich an ihre Jugend in der ehemaligen DDR.
    Angekommen ist das Pfarrersehepaar Dana und Kornelius Holmer in Zapfendorf. 30 Jahre nach dem Mauerfall erinnern sie sich an ihre Jugend in der ehemaligen DDR. Foto: Gerhard Herrmann

    Als Jugendliche haben Dana und Kornelius Holmer den Fall der Mauer erlebt. Aufgewachsen unter den Zwängen der ehemaligen DDR, öffnete sich für sie unerwartet das Tor zur Welt. 30 Jahre später leben die Mecklenburgerin und der Brandenburger als Pfarrersehepaar in Zapfendorf. Angekommen sind sie. Allerdings nicht im Westen, sondern im Süden, wie sie betonen.

    „Wir sind die Generation, der es vergönnt war, Geschichte mitzuerleben – das macht mich sehr dankbar“, sagt Kornelius Holmer. Wie ein Kuriosum mutet es an, dass der damals knapp 14-jährige DDR-Bürger das Ereignis ausgerechnet in der Bundesrepublik erlebte. Am Tag zuvor war er mit seinem gerade 18 Jahre alten Bruder zur Beerdigung der Großmutter nach Recklinghausen gereist – bei familiären Angelegenheiten gewährten die DDR-Behörden schon mal Reisegenehmigungen.

    „Wir sind die Generation, der es vergönnt war, Geschichte mitzuerleben – das macht mich sehr dankbar.“

    Kornelius Holmer, evangelischer Pfarrer

    Scharf waren die Kontrollen bei der Ausreise, erinnert Kornelius Holmer sich. Als sie nach dem Mauerfall zurückfuhren, wollten die Grenzbeamten dagegen das Visum nicht einmal mehr anschauen, sondern winkten die beiden durch. Und die Schachtel Marlboro-Zigaretten, die der Jugendliche sich heimlich am Automaten gezogen hatte, um den Freunden zu beweisen, dass er im Westen war, interessierte niemanden mehr, weil inzwischen alle die Grenze passieren durften.

    Verschlafen hat die damals zwölfjährige Dana Holmer die Nachricht, dass die Grenze geöffnet werde. Umso größer war ihre Überraschung, als sie es am nächsten Morgen erfuhr. „Das war einfach unvorstellbar, frühestens als Rentnerin hätte ich in den Westen reisen dürfen“, sagt sie. Weil so viele die neue Freiheit nutzten, fehlte die halbe Schulklasse beim Unterricht. Den Ausflug in den Westen wagten Danas Eltern erst am Samstag und waren überwältigt vom herzlichen Empfang. Noch 30 Jahre später schwärmt sie von der Freude, mit der die Menschen die Besucher aus der ehemaligen DDR empfingen, ihnen Mandarinen und Schokolade schenkten. Und als die Eltern erschöpft von den vielen Eindrücken ihren Wartburg einen Moment am Straßenrand parkten, wurden sie von einem Ehepaar gefragt, ob sie Hilfe bräuchten und spontan zum Kaffee eingeladen.

    Es war eine glückliche Kindheit, aber Abitur hätte er nicht machen dürfen

    „Für mich kam der Systemwechsel gerade rechtzeitig, sonst hätte ich als Sohn eines Pfarrers wohl nicht das Abitur machen dürfen“, sagt Kornelius Holmer. Seinen neun älteren Geschwistern hatte der Staat dies verweigert, weil sie aus einer „politisch nicht zuverlässigen Familie“ stammten. Außer dem ständigen Druck, sich anzupassen und der Jugendorganisation FDJ oder der „Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ beizutreten, habe er jedoch keine Repressalien erleiden müssen. „Ich hatte eine glückliche Kindheit, auch wenn wir angesichts der Mangelwirtschaft und leerer Regale in den Geschäften manche Entbehrungen ertragen mussten“, betont er. Die Jugendlichen in der DDR hätten durchaus Freiheiten genossen. Vielleicht mehr als mancher heutige Jugendliche angesichts der Medienüberflutung und der Erwartungen der Leistungsgesellschaft.

    Dana Holmer war dagegen bei den Jungen Pionieren, war stolz darauf und hat dort Gemeinschaft erlebt. Dass sie außerdem die Christenlehre besuchte, durfte sie aus Angst der Eltern vor Repressalien allerdings nicht einmal ihrer besten Freundin erzählen. Als Lehrer achteten sie darauf, nicht unangenehm aufzufallen, während bei Holmers regelmäßig bei Tisch über politische Themen diskutiert wurde. Um nicht in die SED eintreten zu müssen, war der Pfarrer Uwe Holmer Mitglied der CDU. Und er habe durchaus auch unangenehme Wahrheiten gesagt, wie bei einer Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, in der er die deutsche Teilung bedauerte, erinnert sich der Sohn. Daher schmerzt es ihn, wenn heute abfällig über die „Blockflöten-Parteien“ gesprochen wird.

    Aufrecht sei der Vater gewesen, trotz des Wissens, von der Stasi überwacht zu werden. So habe ein Mitglied der Jugendgruppe, die der Pfarrer leitete, ihm gestanden, dass er von der Stasi als IM (Informeller Mitarbeiter) auf ihn angesetzt wurde. Durch die Drohung mit der West-Presse sei es dem Vater gelungen, den Jugendlichen aus diesem für ihn belastenden Zwiespalt zu befreien, erinnert sich Kornelius Holmer. Doch es sollte nicht der einzige Spitzel gewesen sein.

    Eine historische Rolle spielte der Pfarrer im Januar 1990, als die SED-Prominentensiedlung Wandlitz aufgelöst und der gestürzte Staatschef Erich Honecker und seine Frau Margot vor dem Volkszorn geschützt werden sollten. Pfarrer Uwe Holmer gab den Honeckers für zehn Wochen Asyl in Lobetal bei Berlin, wo er die Hoffnungstaler Anstalten leitete.

    Als der 77-Jährige vor der Tür stand, öffnete der damals 14-jährige Kornelius Holmer und erkannte ihn nicht. „Er war ein sehr alter, kranker Mann, der kaum Ähnlichkeit mit den Bildern hatte, die ich aus dem Fernsehen kannte“, erinnert er sich. Während es für ihn und seinen Bruder abenteuerlich gewesen sei, mit dem zuvor gefürchteten Machthaber Tür an Tür zu leben, sei die Situation den Honeckers wohl vor allem peinlich gewesen.

    „Als Christen müssen wir jeden Mensch als Gottes Geschöpf annehmen und ihm helfen – ganz gleich, was er getan hat“, habe der Vater das Kirchenasyl begründet. Schließlich könne man nicht im „Vaterunser“ beten „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“, wenn man dies selbst nicht praktiziere.

    Das Kirchenasyl im Pfarrhaus war den Honeckers peinlich

    Auf politische Diskussionen habe sich Honecker nicht eingelassen. „Herr Holmer, es war doch nicht alles schlecht“, habe er abgewiegelt. Und auf den Hinweis des Pfarrers, dass die Familie beim Abendessen bete, habe Honecker gemeint, das kenne er von seiner Großmutter. Schroffer habe Margot Honecker, die Volksbildungsministerin in der DDR-Führung war, auf Glaubensfragen reagiert: „Wir sind Kommunisten – davon wollen wir nichts wissen.“ Für die Zuflucht seien beide dankbar gewesen und Margot Honecker habe später gelegentlich eine Postkarte aus dem Exil in Chile an den Vater geschickt.

    Angesichts ihrer Jugenderlebnisse verstehen Dana und Kornelius Holmer nicht, dass sich die ostdeutschen Ministerpräsidenten Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) und Bodo Ramelow gegen die Bezeichnung der ehemaligen DDR als „Unrechtsstaat“ wehren. „Dazu haben zu viele Menschen unter dem Regime gelitten“, betonen sie.

    Gerade weil vielen Menschen damals nicht bewusst gewesen sei, welche Verbrechen in Gefängnissen wie Hoheneck oder Bautzen verübt wurden, sei es wichtig, die Geschichte der ehemaligen DDR besser aufzuarbeiten. Und 30 Jahre nach dem Mauerfall wünschen sie sich, dass die Deutschen mehr zusammenwachsen. Dazu gehöre vor allem Offenheit – so wie damals, als die Mauer geöffnet wurde. Die Politiker könnten ihren Beitrag dazu leisten, indem nicht immer die Unterschiede hervorgehoben werden.

    Nicht übereinander reden, sondern miteinander

    „Nicht übereinander reden, sondern miteinander“, müsse die Devise lauten. Schließlich sei die Unzufriedenheit in Sachsen oder Thüringen, die sich in Protesten an der Wahlurne spiegeln, angesichts zahlreicher wirtschaftlicher Probleme und nach wie vor niedrigerer Löhne nachvollziehbar.

    Dass sie einmal in Oberfranken leben würden, hatten die Holmers nicht geplant. Nach Stationen in Niedersachsen, wo sie ihre Ausbildung zur Erzieherin absolvierte, und in Erlangen, wo er Theologie studierte, forderte das Heimweh seinen Tribut, und sie lebten mehrere Jahre in Mecklenburg. Doch als sich die Gelegenheit bot, die Pfarrstelle der Zapfendorfer Auferstehungskirche zu übernehmen, haben die Eheleute nicht gezögert. „Ich mache Heimat nicht an einem Ort fest, sondern bei den Menschen, bei denen ich mich wohl fühle“, betont Kornelius Holmer. Und sie sind angekommen. Nicht im Westen, sondern im Süden. Denn die Bezeichnung „Neue Bundesländer“ habe nach 30 Jahren ausgedient.

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