Kurz hinterm Eingang hängt eine enorme Säge an der Wand. Die ist nicht von hier, zumindest sehr vermutlich nicht. Einmal fasst Rainer Kober ans Sägeblatt, entfernt dort einen Fussel und fährt mit dem Finger kurz über eine der kleinen Schneiden. Das Ding dürfte eine Reminiszenz an eine Zeit vor dem Vereinsgründungsjahr 1926 sein und sein Werk im Werdenfelser Land verrichtet haben. Die Spuren des bekannten Lichtenfelser Trachtenvereins führen weit weg und nach Süden.

2962 Meter ist er hoch, dieser höchste Punkt im Werdenfelser Land. Dieser Punkt ist die Zugspitze. Dorthin, in den Umgriff dieses Berges, zog es vor rund 100 Jahren Männer aus Lichtenfels, um im Gebirge zu arbeiten. „Das dürften Holzfäller gewesen sein“, befindet auch Kober. Aus den Reihen der Rückkehrer fiel es vier Männern ein, in Lichtenfels einen Verein zu gründen, in dem man sich an diese oberbayerische Region, die sich von Mittenwald bis Farchant erstreckt und Teile der Bayerischen Alpen umfasst, erinnert.
Schlamperer, Sternpolka, Fingerpolka
Das kulturelle Zentrum im Werdenfelser Land heißt Garmisch-Partenkirchen. Eben dieser Gegend wollten die Vereinsgründer kleidungstechnisch gerecht werden, man trug Gebirgstracht. Doch bald nahm man auch die Volkstracht der Lichtenfelser Heimat hinzu. Eben darum heißt der Verein „Volks- und Gebirgstrachtenverein D‘Werdenfelser“. Seit nun gut 20 Jahren steht Kober dieser Gemeinschaft vor, zu der er als Zwölfjähriger kam. Was ihn hier begeisterte, war der Tanz. „Ich tanze gerne“, sagt er und dann zählt er auf: Schlamperer, Sternpolka, Fingerpolka – allessamt Figurentänze. So nennt man Tänze hier, bei denen man zwischen den Drehungen auch noch gestisch Geschichten erzählt. Doch es gab auch Könner, die Plattler tanzten. Bayerischer geht?s nimmer.
Herrlicher Ausblick ins Maintal
Einmal im Jahr führen sich die Werdenfelser auf. Für alle sichtbar und traditionell beim Ausmarsch der Schützen. D‘Werdenfelser gehören zu den Vereinen, die dafür regelrecht gesetzt sind. Rainer Kober tritt durch die Tür der Gaststube des Vereins. Sie liegt hier oben am Waldesrand, ein wenig oberhalb von Kösten und am Ende des Amselweges gelegen. Durchaus versteckt, aber mit prächtigem Blick ins Maintal. Tagsüber sieht man Kloster Banz, Vierzehnheiligen, den Staffelberg, nachts sieht man ein kleines Lichtermeer. Birken stehen hier oben, zwischen ihnen Bänke und dazu ein Kinderspielplatz.
Die Tracht ist nur für Vereinsmitglieder
An einer Hütte kommt im Sommer garantiert Biergartenstimmung auf und das steinerne Haus, welches im Süden des Anwesens liegt, hält ein Notstromaggregat sowie einen Kleiderfundus mit Trachten vor. Eben der Gebirgstracht und der Lichtenfelser Tracht. Puckelhaube heißt das, was aus Taft ist und was die Frauen auf dem Kopf tragen. Was Kober dann und wann auf dem Kopf trägt, ist ein Dreispitz, und der wiederum gehört zur Volkstracht seines geliebten Lichtenfels‘. Die Kleider der Frauen sind dezent, sind in schwarzer Farbe gehalten, sind Mischgewebe und tragen eine Stickerei mit Rosenmuster. Genäht und geschneidert wurden diese Prachtstücke häufig selbst. Diese Kleidung darf nur gereinigt werden und muss bei Austritt aus dem Verein auch wieder abgegeben werden.
Einst zählte der Verein 300 Mitglieder
Zurück zur Gaststube: 60 Menschen hätten hier Platz, ein gemütlicher Ofen steht zentral und die hölzernen Sitzbänke sind floral bemalt. Es atmet die gute alte Zeit hier, es wird „gekartelt“ und für Kinder steht eine Brettspieleauswahl parat. Es gibt hier noch einen Kühlraum und eine Küche, wenngleich nur für Brotzeiten, Wiener Würstchen oder Kaffee und Kuchen. Man ist überhaupt gerne gesellig, auch wenn die Anzahl der Mitglieder abgenommen hat. Irgendwo an einer der Wände steht noch ein Hinweis auf 300 Mitglieder zu lesen. Das ist lange, lange her und bis heute hat sich die Mitgliederzahl nahezu halbiert. Aber wenn man zusammen ist, dann ist man beinahe allsonntäglich hier - erst zum Frühschoppen und für unter sich. Ab 14 Uhr ist man aber offen für jedermann.

Doch man sitzt nicht nur und pflegt Gesang, Gedichte oder mal einen Tanz, man geht auch in die Natur, wandert, wallfahrtet, geht auf Zeltlager oder stattet befreundeten, verwandten oder Pate stehenden Trachtenvereinen Besuche ab. Doch es fallen auch Schatten auf den Verein. „Nachwuchs wäre gut“, fällt Kober hierzu ein. Denn die Jugendgruppe hatte Aderlass und die Sängergruppe löste sich aus Altersgründen ganz auf.
Klar, dass gerade diesem Verein Brauchstumpflege am Herzen liegt. Einer der schönsten ist vielleicht der, welcher bei Hochzeiten gelebt wird. Heiratet ein Werdenfelser, wird er vor der Kirche ein Bändchen durchzuschneiden haben und anschließend durch ein Spalier aus „D‘Werdenfelsern“ gehen.