Die Freude über die Geburt eines Kindes ist groß. In der Zeitung finden wir Fotos von Eltern mit dem Neugeborenen. Zum Stolz auf den Erstgeborenen mischt sich Verunsicherung bei Vater und Mutter. Hilfe wird auf Ratgeberseiten in Zeitschriften und im Internet gesucht. Der Bayerische Erziehungsratgeber schreibt: „Im ersten Lebensjahr machen Babys zahlreiche Entwicklungsschritte. Die Familie fiebert mit bei den ersten Greifbewegungen, bei den ersten Robb- oder Krabbelversuchen. Bei den ersten Zähnchen leiden die Eltern mit, die ersten kleinen Verletzungen werden verarztet und die ersten Tränen getrocknet.“
Bei unseren Altvorderen vor Generationen kam die Hilfe von anderer Seite. Die jungen Mütter und Väter hörten auf die Ratschläge ihrer Eltern und Großeltern oder der Nachbarin. Die Mutter stand vor allem im Mittelpunkt, der Vater spielte eine Nebenrolle. Viele Regeln und vor allem Verbote mussten beachtet werden, damit das Neugeborene im ersten Lebensjahr nicht zu Schaden kam. Was wurde im vergangenen Jahrhundert am Obermain gesagt? An einige Hinweise soll erinnert werden. Sie bestimmten den Alltag, werden aber heute nicht mehr praktiziert.
Wöchnerin schreckt Hexen ab
Einige Verhaltensregeln betrafen das Kind, andere die Mutter. Vor 100 Jahren durfte die Mutter nach der Geburt sechs Wochen das Zimmer nicht verlassen. Später wurde diese Frist auf zwei Wochen verkürzt. Auf jeden Fall musste sie bis zur Einsegnung, die etwa zwei bis drei Wochen nach der Geburt stattfand, das Haus hüten. Dafür gab es nicht nur medizinische Gründe – der Tod der Mutter bei der Geburt oder kurz danach war vor Generationen häufig der Fall. Eine Geschichte erzählt: Eine Wöchnerin in Marktzeuln schaut, nachdem sie gestorben ist, noch lange nach ihrem Kind, das noch nicht getauft ist. Erst nach der Taufe sei die Mutter nicht mehr gekommen.
Eine Wöchnerin in alter Zeit durfte die Stube erst verlassen, wenn sie wieder „auf dem Damm“ war. Erst dann war sie kräftig genug, Hexen und Geistern zu widerstehen. Bei ihrem ersten Ausgang in den Garten setzte sie den Hut ihres Mannes auf, damit narrte sie die Geister. Oder sie hüllte sich in ihren Brautmantel und schreckte das Böse mit etwas Geweihtem ab. Vor der Taufe durfte die Wöchnerin keine Besuche in der Nachbarschaft machen. Die Kindsbettsuppe wurde ihr meist von den Nachbarinnen gebracht. Außerdem sollte sie in den ersten drei Wochen keinen Regen abbekommen, vom Regen wäre sie krank geworden.
Spiegel bringt Eitelkeit
Diese Verhaltensregeln waren aber nicht auf unsere Heimat begrenzt, sie sind weltweit zu finden. In China musste die Mutter einen Monat nach der Geburt zu Hause bleiben. Indische Mütter durften 45 Tage weder das Haus verlassen noch die Küche betreten.
Mit dem Tauftag begann am Obermain das eigentliche erste Lebensjahr des Kindes. Im Laufe des ersten Jahres mussten einige Brauchtumsregeln beachtet werden. Die Haare des Babys durften bis zum ersten Lebensjahr nicht geschnitten werden. Auch die Fingernägel durften von keiner Schere berührt werden, um dem Baby das Glück nicht abzuschneiden – die Fingernägel mussten abgebissen werden. Das Kind durfte auch nicht in einen Spiegel schauen – das würde Unglück bringen und Eitelkeit hervorrufen.
Zahnen und rote Backen
Beim ersten Besuch in einem fremden Haus schenkte die Hausfrau dem Kind beim Abschied ein oder zwei Eier und einen Wecken, damit es beim Zahnen nicht so viel Schmerzen hat. Dabei wurde der Spruch gesagt: „So weiß wie des Gagala (Ei) solln wern deina Hagala (Zähne).“ Bekam früher ein Kind die oberen Zähne vor den unteren, so bedeutete dies den frühzeitigen Tod des Kindes. Man sagte: „Die Zähne wachsen in das Grab.“ Außerdem schüttete die Mutter das Wasser der ersten Windelwäsche in einen Rosenstrauß, damit das Kind rote Backen bekomme.
Die Angst vor dem „Ver-“ und „Beschreien“ war groß und in Oberfranken weit verbreitet. Wenn ein Besucher das Kind lobte, so sagte er anschließend immer einen Lobspruch: „Bisd du aber schoo a grouße Buu, behüd dich Godd!“ Ein weiteres Verbot im ersten Lebensjahr: Das Kind durfte nicht zum Friedhof mitgenommen werden. Es würde bald sterben. Wenn das Kind dem Regen ausgesetzt wurde, so glaubten unsere Vorfahren, bekäme es Sommersprossen.
Säuglingssterblichkeit
Das Baby durfte nicht in den Keller mitgenommen werden. Sicher spielte dabei die Unfallgefahr eine Rolle. Die Angst vor dem Sterben des Kleinkindes war groß, sie spiegelt sich in den zahlreichen Regeln und Verboten. Diese Angst war nicht unbegründet: In vielen Familien gehörte der Tod eines Säuglings zum Lebensalltag.
Die Sterblichkeit der im ersten Lebensjahr gestorbenen Kinder konnte in Deutschland erst ab Ende des 19. Jahrhunderts bis etwa in die 1930er Jahre erheblich gesenkt werden. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen hatten sich verbessert, ebenso die Ernährung. Große Fortschritte gab es in Sachen Hygiene, Säuglingspflege und Medizin. Während um 1870 rund ein Viertel aller Neugeborenen innerhalb des ersten Lebensjahres starb, waren es 1938 noch 60 von 1000 Lebendgeborenen. In den Kriegs- und Nachkriegsjahren stieg die Säuglingssterblichkeit aufgrund der verschlechterten Ernährungs- und Hygienebedingungen zwischenzeitlich an. Heute sterben nur noch etwa drei von 1.000 Lebendgeborenen, damit ist der Anteil der Säuglingssterblichkeit am gesamten Sterblichkeitsniveau minimal. Heute ist die Unfallgefahr auch ein Thema: Im modernen Alltag lauern nach wie vor Gefahren. Stürze vom Wickeltisch, von der Couch, vom Sessel oder aus der Babywippe sind ebenso eine Gefahr für Kinder wie das Ersticken durch Bettzeug, Strangulieren und Einatmen von Kleinteilen oder Unfälle beim Autotransport des Kindes.
Fremdeln im ersten Lebensjahr
Im 21. Jahrhundert haben die Verbote und Verhaltensregeln unserer Altvorderen keine Bedeutung mehr. Die jungen Eltern informieren sich bei Ratgebern im Internet oder in Büchern. Der Bayerische Erziehungsratgeber bietet Elternbriefe im PDF-Format an. Detailliert werden die jeweiligen Wochenabschnitte beschrieben. So empfiehlt eine Internetseite zwischen der 5. und 12. Woche: „Sei geduldig, auch wenn dein Baby sich jetzt täglich verändert – du bist und bleibst sein Halt im Leben. Nimm dir nicht zu viel vor und plane viel Zeit mit deinem Baby ein.“
Zwischen fünf und sieben Monaten beginnt meist das Fremdeln, welches vor Generationen für Spekulationen sorgte. Heute wissen wir, dass die Kleinen sehr auf ihre Bezugspersonen fixiert sind, sie lassen sich nicht mehr von jedem auf den Arm nehmen. Manchmal weinen sie sogar, wenn eine fremde Person sie anspricht. Beim Spielzeug gilt die Devise: „Weniger ist mehr – lege immer nur zwei bis drei Spielzeuge in die Nähe deines Babys, damit es vor lauter Auswahl nicht überfordert ist. Wechsle dieses immer mal wieder, damit es interessant bleibt.“
Elternzeit nutzen wenige Väter
Im Durchschnitt ist ein Baby mit einem Jahr cirka 75 Zentimeter groß, also knapp 50 Prozent größer als bei der Geburt. Um den ersten Geburtstag herum kommt es mehrheitlich zu den ersten Wortäußerungen: „Mama“, „Papa“.
Beim Umgang mit der Elternzeit stellt sich die Frage: Wer bleibt zu Hause, wer geht zur Arbeit? Seit Einführung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes im Jahr 2007 steigt der Anteil der Personen kontinuierlich an. Der Anteil der Eltern in Elternzeit, deren jüngstes Kind unter sechs Jahren ist, hat in den letzten zehn Jahren von 10,8 Prozent auf 12,4 Prozent um 1,6 Prozentpunkte zugenommen. Im Jahr 2022 waren rund ein Viertel aller Mütter, deren jüngstes Kind unter sechs Jahren ist, in Elternzeit. Unter den Vätern traf dies allerdings nur auf zwei Prozent zu.