Für Diskussionen sorgt ein Schreiben der Sozialstation des Roten Kreuzes (BRK) an ihre Klienten, in dem sie darauf hingewiesen werden, dass wegen der Zuspitzung der „Lage auf dem Pflegemarkt“ die Leistungen nach Bedürfnissen in der Planung neu ausgerichtet werden sollen. Der Verein „Miteinander Füreinander“, der mutmaßlich Demonstrationen gegen die Coronabestimmungen organisiert, hat dieses Schreiben im Internet veröffentlicht, um vor einer Verschärfung des Personalmangels in der Pflege durch eine einrichtungsbezogene Impfpflicht zu warnen. Dem widerspricht BRK-Kreisvorsitzender Thomas Petrak: „Die Auswirkungen sind bezogen auf die einrichtungsspezifische Impfpflicht für unsere Sozialstation überschaubar.“
Er merkt aber an, dass sich der Pflegebereich aufgrund des Fachkräftemangels ohnehin in einem Notstand befinde. „Jeder einzelne Verlust von Beschäftigten – aus welchem Grund auch immer – ist besonders schmerzhaft, weil er eben nicht so leicht kompensiert werden kann“, so Petrak.
Ein bis drei Kräfte in Sozialstation sind betroffen: Jeder Verlust schmerzt
In der Sozialstation gehe er von Einzelfällen aus, die aufgrund der Impfpflicht ausfallen könnten. Bei sechs von insgesamt 43 Pflegebeschäftigten sei die Situation noch nicht klar. Von diesen sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seien zwei seit längerem krankgeschrieben, bei einer Mitarbeiterin werde die Nachimpfung geklärt (wegen Johnson/Johnson-Impfung), mit zwei Mitarbeiterinnen laufen Gespräche wegen einer Impfung mit dem sogenannten Tot-Impfstoff, eine Helferin werde sich wohl nicht impfen lassen. „Insofern gehen wir von ein bis drei Beschäftigen aus, die gegebenenfalls in ein Tätigkeitsverbot seitens der Behörden geraten können“, erklärt der BRK-Kreisgeschäftsführer.
Die Impfpflicht offenbare einmal mehr, wie ausgeprägt der Pflegenotstand in Deutschland ist. „Die Impfpflicht ist aber nicht die Ursache für den Notstand, und daher dürfen die eigentlichen Kernprobleme in der Pflege nicht durch eine Diskussion über die Impfpflicht in den Hintergrund geraten“, betont Petrak.
Daher seien die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr verwundert, dass ihr Schreiben ohne Rücksprache im Internet kursiert und für derartige Diskussionen missbraucht werde. „Es ist eben kein berechtigter Weckruf, denn die Impfpflicht ist ja nicht die Ursache für den Pflegenotstand“, unterstreicht er. „Sie mag den bedauernswerten Zustand in der Pflege noch einmal in den Fokus stellen. Das sprichwörtliche Fass war aber schon übergelaufen, und es bedurfte nicht erst jetzt dieser Diskussion, um das zu erkennen.“
Zu der Frage, ob er Ministerpräsident Söders Ankündigung, das Bundesgesetz zur Impfpflicht nicht umzusetzen, hilfreich finde, sagt Petrak: „Es ist zu begrüßen, wenn klare Umsetzungshinweise für die Impfpflicht eingefordert werden. Schließlich hängt das wieder an den Menschen, die sich vor Ort darum kümmern müssen.“ Es dürfe allerdings nicht der Eindruck erweckt werden, der bayerische Ministerpräsident stünde über den Bundesgesetzen: „Schließlich erwarten die Bürgerinnen und Bürger in einer ausgewachsenen Krise wie der Corona-Pandemie eine klare Linie von den politischen Entscheidungsträgern, unabhängig davon, welcher Partei sie angehören.“
Für eine allgemeine Impfpflicht statt einer einrichtungsbezogenen
Angesichts der bisherigen Erfahrungen, die man mit dem Corona-Virus insbesondere bei der sogenannten vulnerablen Personengruppe gemacht hat, sei eine einrichtungsbezogene Impfpflicht durchaus nachvollziehbar. „Sie ist aber nach meiner Einschätzung zu kurz gegriffen, da sich gerade die Beschäftigten in den sensiblen Tätigkeitsbereichen wie der Pflege ungerecht behandelt fühlen“, gibt Thomas Petrak zu bedenken. Daher würde er sich wünschen, dass die einrichtungsbezogene auf eine allgemeine Impfpflicht erweitert wird. „Da die Pandemie die gesamte Bevölkerung betrifft und eben nicht nur einen Teil der Gesellschaft, bedarf es eines umfassenden Ansatzes. Wenn ich das etwas laienhaft ausdrücken darf: Das Virus hat einfach zu viel Zeit, sich an ungeimpften Menschen ,auszuprobieren‘.“
„Die Impfpflicht ist aber nicht die Ursache für den Notstand, und daher dürfen die eigentlichen Kernprobleme in der Pflege nicht durch eine Diskussion über die Impfpflicht in den Hintergrund geraten.“
Thomas Petrak, BRK-Kreisgeschäftsführer
Das Schreiben der Sozialstation sollte vor diesem Hintergrund für die Herausforderungen, die Pflege gut zu organisieren, sensibilisieren. Es solle nicht zur Verunsicherung beitragen, doch nutze es auch nichts, die Augen vor den Problemen zu verschließen. Da die Menschen, die das Rote Kreuz betreue, um die allgemeine Situation der Pflege sehr gut Bescheid wüssten, gehe er davon aus, dass diese Botschaft richtig verstanden werde. Hingewiesen wird in dem Brief auf Hilfen, die Vorrang haben, wie die Medikamentengabe oder die Unterstützung mobiler Klienten beim Ankleiden. Andere Leistungen wie das wöchentliche Duschen werde nur zur angebotenen Zeit erfolgen.
Das Schreiben sollte nur für die angespannte Lage sensibilisieren
„Es geht uns nicht um die Einschränkungen von Leistungen, sondern um die bessere Verteilung der Arbeit“, betont Thomas Petrak. Bisher habe es aufgrund des Schreibens nur eine Nachfrage gegeben, um das Baden im Rahmen der Grundpflege zeitlich zu verschieben. „Natürlich wünschen sich die Menschen ihre eigenen Zeiten, wann die Pflegekraft kommen soll. Allerdings sind die Tätigkeiten, wo es um medizinische Belange geht, wie Medikamentengaben zu einem bestimmten Zeitpunkt, vorzuziehen.“ Dafür werben die Pflegekräfte um Verständnis.
Gleichzeitig betont Petrak, dass keine Angebote gestrichen werden: „Es kommt aber schon einmal vor, dass man Anfragen nicht sofort bedienen kann. In diesen Fällen suchen wir nach Wegen, einvernehmlich zu Zwischenlösungen zu kommen.“