Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Obermain
Icon Pfeil nach unten
Lichtenfels
Icon Pfeil nach unten

LICHTENFELS: Ende März ist Schluss: "Totentanz" in Dirolls Ballettstudio

LICHTENFELS

Ende März ist Schluss: "Totentanz" in Dirolls Ballettstudio

    • |
    • |
    Doris Diroll verfügt auch über ein Fotoarchiv. Es ist voll mit wertvollen Erinnerungen. Aber sie zu betrachten, schmezt die Balettlehrerin auch.
    Doris Diroll verfügt auch über ein Fotoarchiv. Es ist voll mit wertvollen Erinnerungen. Aber sie zu betrachten, schmezt die Balettlehrerin auch. Foto: Markus Häggberg

    Ausgetanzt. Das Ballettstudio Diroll muss schließen. Auf der Webseite dieser Lichtenfelser Institution steht es konkret und in großen Lettern: „... der letzte Vorhang ist gefallen!“ Was bleibt, sind Leere und Erinnerungen.

    Doris Diroll lässt ein Bild zu, das irgendwie alles ausdrückt. Die Frau setzt sich auf einen Stuhl und um sie herum ist nur die große, weite Leere des Ballettsaals. Solche Bilder kennt man aus der Filmsprache, und sie reden nicht davon, dass da gerade jemand alleine ist, sondern einsam, verloren, in Schwierigkeiten.

    Der zweite Lockdown ist einer zu viel für Diroll

    Denn den ersten Lockdown der Corona-Pandemie hat ihr Studio noch verkraftet, der zweite war zu viel. Jetzt gilt es den Schaden zu begrenzen, Verbindlichkeiten zu lösen. Dazu gehört an diesem Ort die Miete für 220 Quadratmeter voller Ausstattung und Geschichte. Da wären die Duschen, die Umkleiden, die riesigen Spiegelsegmente an der Westseite des Ballettsaals, da wären die doppelreihigen Ballettstangen für schon größere oder noch kleinere Tänzerinnen und Tänzer.

    Ein Bild, das alles ausdrückt: Doris Diroll sitzt auf einem Stuhl und um sie herum ist nur die große weite Leere des Ballettsaals
    Ein Bild, das alles ausdrückt: Doris Diroll sitzt auf einem Stuhl und um sie herum ist nur die große weite Leere des Ballettsaals Foto: Markus Häggberg

    Da wären auch die vier hochwertigen Boxen auf Deckenhöhe und da wäre auch dieser Schwingboden unter den Füßen. 160 Quadratmeter Schwingboden, der nachgibt und federt, sobald man beim Sprung aufkommt. Er ist hier nicht anders als in der Metropolitan Opera in New York oder in der Mailänder Scala. Doch seit dem vergangenen November kam auf ihm niemand mehr nach einem Sprung auf.

    Wie in der Metropolitan Opera in New York oder in der Mailänder Scala

    „Ich darf seit November keinen Unterricht machen und muss die Beiträge an die Leute zurückgeben“, erklärt Doris Diroll ihre Misere. Eine Misere, die vertrackt ist. So spricht Doris Diroll von allerlei Zusammenhängen rund um staatliche Corona-Hilfen. „Die stand mir zu und die habe ich auch bekommen.“ Doch es gibt einen Pferdefuß. In der Novemberhilfe habe sie 70 Prozent des Monatseinkommens vom Vorjahr erhalten. Doch von diesen 70 Prozent seien nur 50 Prozent bei ihr angekommen. Doch auch für nur halbe Hilfen gelten ganze Regelungen: „Wenn ich Hilfe in Anspruch nehme, darf ich kein Einkommen haben.“

    „Ich darf seit November keinen Unterricht machen und muss die Beiträge an die Leute zurückgeben.“

    Doris Diroll, Unternehmerin

    So begann sie mit der Beitragsrückzahlung an Mitglieder. Für 28 Schüler habe das Geld gereicht. Doch ihr Studio hat weit, weit mehr als 28 Schüler. Letztens, so sagt Diroll, sei die Dezemberhilfe eingetroffen. Zu 50 Prozent.

    Für die Betreiberin ist es eine vertrackte Situation

    Obwohl Doris Diroll nichts für die Pandemie kann, will es ihr manchmal so scheinen, als ob sie selbst gescheitert sei.
    Obwohl Doris Diroll nichts für die Pandemie kann, will es ihr manchmal so scheinen, als ob sie selbst gescheitert sei. Foto: Markus Häggberg

    Wie Doris Diroll auf ihrem Stuhl an dem runden Tischchen sitzt, kann sie noch mehr von Vertracktem erzählen. Davon beispielsweise, dass sie Haftpflichtversicherung auch dann für die Ballettkinder abzuführen habe, obwohl sie ja gezwungenermaßen gar nicht unterrichten dürfe. Jetzt, an dieser Stelle und in diesem Moment, wird ihre Stimme beim Erzählen stocken. Sie wird in Richtung der Spiegel blicken und es will dem Betrachter scheinen, dass durch diese Spiegel Erinnerungen zu ihr kommen. Erinnerungen an das Jahr 1990, als das Studio hier eröffnet hat. Auch deshalb hier, weil der 160 Quadratmeter große Ballettsaal noch einen Pluspunkt parat hält: er ist gewissermaßen auf seine eigene Weise barrierefrei, denn starke Träger erübrigen im Verbund mit einer Deckenkonstruktion störende Säulen.

    Doris Diroll hatte all die Jahre auch einen pädagogischen Helfer. An "Paul" ließ sich für Kinder erkennen, wie Gelenke funktionieren.
    Doris Diroll hatte all die Jahre auch einen pädagogischen Helfer. An "Paul" ließ sich für Kinder erkennen, wie Gelenke funktionieren. Foto: Markus Häggberg

    Freier Raum für freies Durchtanzen. Hier wurde an der Stange gearbeitet, wurde gedehnt, ermahnt, aufgemuntert, gelobt, hier war man ehrgeizig und hat auch gelacht. Hier spielte die Musik, hier wurde an Ideen gefeilt, an Choreographien, hier waren der Nussknacker, der Schwanensee oder Carmen. Nicht nur Doris Dirolls Stimme stockt bei der Erinnerung an all das, auch die Augen drohen feucht zu werden.

    Im „Bergschloss“ fing alles an

    Doris Diroll spricht von ganz früher. Sie war jung und sie war begabt. Sie spricht vom „Bergschloss“ und dass sie „dort oben mit sechs Jahren Ballett angefangen“ habe. Tatsächlich ist das Bergschloss-Gebäude von ihrem Studio aus zu sehen. Es wirkt durch das Regenwetter hindurch so grau und trist, wie die Vorstellung, dass hier nach 31 Jahren zum 31. März geschlossen sein wird.

    Kleider, Kostüme, Tutus - in 31 Jahren entstand ein reisiger Fundus.Doch was geschieht jetzt damit?
    Kleider, Kostüme, Tutus - in 31 Jahren entstand ein reisiger Fundus.Doch was geschieht jetzt damit? Foto: Markus Häggberg

    „Meine Eltern wollten das gar nicht, dass ich professionell tanze, sie wollten lieber, dass ich studiere“, fährt Diroll in ihren Erinnerungen fort. Doch dann setzt sie ihre Eltern in ein wunderbares Licht. Sie fuhren einst eigens nach München zu einem Ballettdirektor, ihn zu konsultieren. „Wir haben eine tanzverrückte Tochter“, sagten sie und der Direktor empfahl die Royal Ballet School in London oder die John Cranko Schule in Stuttgart. Welche von beiden auch immer wäre egal, sie zählen beide zu den weltweit führenden.

    Auf dem Weg zurück hatten sie einen Deal im Gepäck

    Als der Vater wieder heim fuhr, hatte er für seine Tochter einen Deal im Gepäck. Wenn sie eine der Aufnahmeprüfungen bestünde, dürfe sie bei glücklicher Fügung beruflich tanzen so viel sie wolle. Wenn nicht, dann nur hobbymäßig. Mit zehn Jahren bestand sie die Aufnahmeprüfungen in Stuttgart und war einer von insgesamt nur 36 Internatsschülern und „die kamen von weltweit“.

    So tanzte Doris Diroll an der Wiener Staatsoper, so auch im Landestheater Coburg. Und als der Körper nicht mehr wollte und „der Hochleistungssport Ballett“ so nicht mehr ausführbar war, da begannen die Überlegungen zu einer eigenen Ballettschule. Und ein nicht minder arbeitsreiches Leben aus Training, Pädagogik, der Entwicklung von Choreographien und Bühnenbildern, dem Aufbau eines Kostüm-Fundus, dem Schneidern solcher Kostüme, dem Bedenken all der wirtschaftlichen, steuerlichen und versicherungstechnischen Fragen, dem Proben für Auftritte und dem Terminieren solcher. Sie tat das, was einem in der Berufswelt so oft geraten wird: spezialisieren.

    Kinderlachen ist auch hier in der Umkleide nicht mehr zu hören.
    Kinderlachen ist auch hier in der Umkleide nicht mehr zu hören. Foto: Markus Häggberg

    Jetzt greift Leere um sich. Kinderlachen ist hier nicht mehr zu hören. Musik zu Jazz Dance auch nicht. Es gibt keine lampenfiebrige Vorfreude der Mädchen, die sich fröhlich beim Schminken an den Spiegeln des Duschraums unweit der Umkleide drängen. Corona hat nun auch die Faschingsveranstaltungen ausfallen lassen. Damit war finanziell zwar nichts verdient, aber immerhin kamen die Kosten rein.

    Unsicherheit und Unwägbarkeiten

    Jetzt kommen wegen Corona eher die Kündigungen rein. 30 Prozent weniger Mitglieder habe das Studio nun, sagt Doris Diroll. Wird Corona im März vorbei sein? Oder im April? Im Mai? Manche Stimmen sprechen gar von Juni? All das sind Unwägbarkeiten, die ein nun erstmalig dringlich gewordenes Bankdarlehen zur Deckung der Monatsmieten bis zum Auszug erschweren. Auch das setzt Doris Diroll zu und unterbindet eine hoffnungsvolle Planung. Man ist ja nicht nur Ballett, man ist ja auch Unternehmen und dann muss man eben einen Schlussstrich wagen.

    Über die Zeit sammelten sich Freubndlichkeiten und schöne Gesten an. Doris Diroll steht an einer Wand mit Ballettmotiven, die ihr vor Jahren von einer Schülerin gestaltet worden ist.
    Über die Zeit sammelten sich Freubndlichkeiten und schöne Gesten an. Doris Diroll steht an einer Wand mit Ballettmotiven, die ihr vor Jahren von einer Schülerin gestaltet worden ist. Foto: Markus Häggberg

    Dass man Tanz per Skype oder so vermitteln könne, mag sich die Frau nicht so recht vorstellen. „Ich muss die Bewegung sehen, ich muss die Muskeln sehen, die Körperhaltung.“ All das wäre per Kamera nicht dasselbe. Denn Tanz, so steht es an einer Wand im Umkleideraum oberhalb von kleinen Kostümchen und Tutus, ist ja nicht nur Präzision und Ausdruck, er ist auch „die verborgene Sprache der Seele“.

    Es wird still werden in den Räumlichkeiten der Bamberger Straße 10, denn diese Sprache wird hier nicht mehr gesprochen werden. Oder wie heißt es auf der Webseite des Ballettstudios doch beschließend: „Ich würde mich freuen, wenn alle die Ballettschule in guter Erinnerung behalten. Danke für eine wunderschöne Zeit. Ich werde euch alle sehr, sehr vermissen.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden