Die Hyperinflation vor genau 100 Jahren hat sich tief in das Gedächtnis der Deutschen eingegraben. Im Krisenjahr 1923 wurde Notgeld gedruckt. Der Autor dieser Zeilen war als Jugendlicher überrascht, als er auf dem Dachboden seines Elternhauses einen alten Karton mit Geldscheinen entdeckte. Erstaunt las er den Wert der Scheine, der bis in die Millionen ging. Warum wurden vor genau 100 Jahren solche Geldscheine gedruckt, was kosteten die Dinge des täglichen Lebens?
Zu Jahresbeginn 1923 schrieb das Lichtenfelser Tagblatt: „1923! Wieder ein Jahr dahin, ein Jahr der Nöte und Lasten, der Mühen und Sorgen. Und wieder begrüßen wir ein neues Jahr, zweifelnd und noch skeptischer als vor 12 Monaten; denn wir sind seit dem um 365 Tage der Erfahrungen und Enttäuschungen reicher geworden.“
Astronomische Zahlen
Der Schreiber behielt Recht: In diesem Jahr steigerte sich die Inflation von Monat zu Monat in astronomische Zahlen. In Zeitungsannoncen im Lichtenfelser Tagblatt wurden die Preis-Steigerungen nur bis Anfang September veröffentlicht. Die Preisspirale drehte sich in den folgenden Wochen so schnell, dass die Veröffentlichung der Zeitung nicht mehr mit den täglichen Veränderungen mithalten konnte.
Als Beispiel drei Produkte, die im Alltag für die Menschen wichtig waren: der Gaspreis, der Bierpreis und der Brotpreis. Im Januar 1923 betrug der Preis für einen Kubikmeter Gas 150 Mark, am 10. April 500 Mark, zur Jahresmitte 6000 Mark. Auf über 250 000 Mark stieg er am 27. August, am 25. September mussten fünf Millionen bezahlt werden, am 8. Oktober 25 Millionen Mark. Der höchste notierte Preis: 300 Millionen Reichs-Mark am 23. Oktober.
Beeindruckend auch der Bierpreis: Ein Vollbier kostete am 4. Juni 1200 Mark, drei Monate später, am 6. September, 520.000 Mark, ab dem 12. September schon 1,6 Millionen Mark. Ab dem 25. Oktober ging es mit 3,660 Milliarden weiter, seinen Höhepunkt erreichte der Bierpreis am 19. November mit 290.000.000.000 Mark.
Vergleichsweise moderat steigerte sich der Brotpreis: Ein Pfund Brot kostete am 22. Juni 2000 Mark. Der Preis explodierte bis zum 7. September auf 400.000 Mark.
Ersatzzahlungsmittel Notgeld
Das Inflationsjahr 1923 zwang zahlreiche Körperschaften zur Ausgabe von Notgeld. Notgeld war ein Ersatzzahlungsmittel, das in wirtschaftlichen Krisenzeiten den Mangel an staatlichem Geld beheben sollte. Kommunen, Finanzinstitute oder Unternehmen gaben es heraus, um den täglichen Zahlungsverkehr für die Bevölkerung aufrecht zu erhalten. Notgeld wurde in Bayern bereits im Ersten Weltkrieg gedruckt und in der Inflationszeit bis 1923 verwendet.
Die Stadt Lichtenfels verteilte zunächst vor 100 Jahren im Februar 50 Pfennig-Scheine mit aufwändiger mehrfarbiger Gestaltung. Motive waren das Bamberger Tor und das Stadtwappen mit Blumenkörben. Auf einem hellgrünen Zehn-Mark-Schein waren Knaben mit Garbe und Zahnrad zu sehen.
Im Sommer 1923, kurz vor dem Höhepunkt der Inflation, sah sich der Bezirk Lichtenfels gezwungen, Notgeld in immer stärker steigenden Werten auszugeben. Die Scheine waren weniger verziert; in den letzten Monaten stand nur noch der Geldwert darauf.
Zehn-Billionen-Scheine
Am 23. August kündigte der Bezirk im Amts- und Tagblatt die Ausgaben zu 5.000.000 Mark an. Neben dem Bezirk beabsichtigte auch die Stadt Lichtenfels weitere Ausgaben von Notgeld. Mit Schreiben vom 3. September teilte der Stadtmagistrat dem Bezirksamt mit, dass die Ausgabe von Gutscheinen im Gesamtwert von 15 Milliarden Mark in Scheinen von ein und fünf Millionen vorgesehen sei. Im November steigerte sich dies, Fünf- und Zehn-Billionen-Scheine wurden gedruckt.
Auch die Gemeinde Michelau, die Stadt Staffelstein, die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank und die Bayerische Vereinsbank in Burgkunstadt gaben seit August 1923 Notgeld-Scheine aus. Robert Zink hat in seinem Aufsatz: „Notgeld in Lichtenfels“ diese Situation ausführlich beschrieben.
Gründe der Hyperinflation
Das Krisenjahr 1923 bedeutete nur den Höhepunkt einer Entwicklung, die durch den Ersten Weltkrieg ausgelöst worden war und ab 1919 in eine Inflation mündete, die zur Hyperinflation vier Jahre später führte. Zur Finanzierung des Ersten Weltkrieges hatte das Deutsche Reich nicht auf Steuererhöhungen, sondern auf Kriegsanleihen gesetzt. Mit offensiven Spendenaufrufen unter dem Leitmotiv „Gold gab ich zur Wehr, Eisen nahm ich zur Ehr“ nahm das Reich rund 98 Milliarden Mark auf; rund 60 Prozent der Kriegskosten wurden damit gedeckt.
Mit dem Kriegsende 1918 nahm die Geldentwertung stetig zu. Neben dem Kleingeld gab es nun auch Notgeld-Scheine bis zu 100 Mark. Die Besetzung des Ruhrgebietes im Januar 1923 durch französische und belgische Truppen mit dem nachfolgenden „Ruhrkampf“ markierten den endgültigen Sturz der deutschen Währung ins Bodenlose. Die mehr als 130 Druckereien, die rund um die Uhr arbeiteten, konnten den Bedarf an Banknoten nicht decken. Über 5.800 Ausgabestellen druckten zusätzlich Notgeld: Städte, Post, Eisenbahn und Industrieunternehmen. Zwischen 70.000 und 80.000 verschiedene Scheine sind aus dieser Zeit bekannt.
Transport in Schubkarren
Die Geldentwertung erreichte mit der Hyperinflation 1923 ihren Höhepunkt: Millionen-, Milliarden- und schließlich Billionen-Werte wurden benötigt; sie entsprachen in ihrem Wert dabei kaum mehr als einem Kilo Brot. Erst mit Einführung der Rentenmark als Übergangswährung endete die Inflation. Am Ende der Inflation im November 1923 waren fast 500 Trillionen Mark in Reichsbanknoten und mehr als 720 Trillionen Mark als Notgeld-scheine im Umlauf. Zum Transport des Geldes wurden sogar Schubkarren und herkömmliche Waschkörbe verwendet. Ein US-Dollar kostete 4,2 Billionen Mark.
Quelle: Jubiläumsbuch „150 Jahre Kreissparkasse Lichtenfels“ (im Handel nicht mehr erhältlich) – Aufsatz: „Notgeld in Lichtenfels“ von Robert Zink