Jiddisch ist nach der französischen die zweitwichtigste Sprache, die unseren Dialekt in den letzten Jahrhunderten beeinflusst hat. Viele jüdische Gemeinden prägten unsere Mundart am Obermain und das Leben in den Dörfern und Kleinstädten mit. Heute stehen die französische Ausdrücke im Mittelpunkt, an denen sich der Autor dieser Zeilen aus seiner Kindheit erinnert. „Foah mid dä Kinne-Schäisn aufm Droddewaa und niä middn auf dä Schdrouß!“
„Droddewaa“ statt Gehsteig
So ähnlich wurden die Kinder der 1950er und 1960er Jahre am Obermain von ihren Großeltern zurechtgewiesen, wenn sie ihre jüngeren Geschwister im Kinderwagen – der „Kinne-Schäisn“ – durchs Dorf fahren durften. Auf dem Gehsteig – dem „Droddewaa“ - sollten sie fahren und nicht mitten auf der Straße! Heute würde die jüngere Generation solche Anweisungen kaum mehr verstehen.
Die Generation der damaligen Großeltern, am Ende des 19. Jahrhunderts geboren, verwendete etliche Ausdrücke, die vor über 200 Jahren aus dem Französischen in die deutschen Mundarten eingewandert waren. An den Fürstenhöfen wurde seit dem 17. und 18. Jahrhundert die französische Sprache gepflegt. Die politische und kulturelle Vorherrschaft Frankreichs in Europa machte das Französische bis ins 19. Jahrhundert zur Sprache der internationalen Verständigung.
Französischer Redewendungen durch die Hugenotten
Mit den Gepflogenheiten der Fürsten kam das Volk wenig in Berührung. Weitaus bestimmender für das Einfließen französischer Redewendungen in den jeweiligen Heimatdialekt war die Ansiedlung der Hugenotten. 1685 aus Frankreich vertrieben, suchten die Glaubensflüchtlinge Unterschlupf in Gebieten, in denen evangelische Fürsten regierten. Über 1000 französische Glaubensflüchtlinge, die vor religiöser Verfolgung aus ihrem Heimatland geflohen waren, fanden 1686 in Erlangen ein neues Zuhause. In den folgenden Jahren kamen weitere Hugenotten in Dörfern im heutigen Mittelfranken hinzu.
Um 1700 lebten in Berlin 5000 und in den Gebieten Brandenburgs 15 000 Hugenotten. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg hatte ihnen dort Asyl gewährt. Nach der Annektierung der fränkischen Gebiete durch das Kurfürstentum und spätere Königreich Bayern tauchten in der Zeit Napoleons vor 200 Jahren vermehrt französische Redewendungen am Obermain auf.
Wer kennt noch den „Dorfschandarm“?
In den toilettenlosen Häusern schob man am Abend unter das Bett nicht mehr den Nachttopf, sondern das „Bodschambela“. In der Stube setzte man sich „lescheer“auf das „Schäslong“ oder das „Kannabee“. Als 1846 die Eisenbahn gekommen war, kaufte man sich vor Betreten des Zuges ein Billet und stieg dann in den Waggon. Der Kondukteur (Schaffner) sorgte dafür, dass alles seine Ordnung hatte.
Apropos Ordnung: In den Orten am Obermain sorgte nicht der Dorfpolizist, sondern der Gendarm für Ruhe und Ordnung. Johann Hofmann, genannt der „rued Schuesde“, war vor 110 Jahren der Polizeidiener, also der „Dorfschandarm“ in Altenkunstadt.

Die Liste der französischen Begriffe ließe sich beliebig erweitern. Interessant ist der Bedeutungswandel mancher Ausdrücke: Schimpft bei uns einer über die „Bagaasch“, die ihn nervt, dann meint er nicht sein Gepäck, wie „bagage“ heute in Frankreich noch verstanden wird, sondern eine Gruppe von Menschen, die dafür verantwortlich sein könnte, dass gleich ein „Malheur“ passiert ...
Nicht nur in Franken, sondern auch in anderen deutschen Regionen finden wir französischen Einfluss, so an der Grenze zu Frankreich, so im Saarland, oder im ländlichen Hunsrück.
Nach den 2. Weltkrieg kamen neue sprachliche Akzente
Die Zeit des französischen Einflusses ist lange vorbei. Doch unsere deutsche Sprache und unsere heimische Mundart verwandelt sich weiter. Es ist unüberhörbar, dass sich unser Dialekt immer wieder verändert, so wie sich auch unsere Dörfer am Obermain verändern. Nach den 2. Weltkrieg waren es die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen, die mit ihren „Baraggnsiedlungen“ unserer Dörfer erweiterten und neue sprachliche Akzente setzten. Seit über 75 Jahren beeinflusst eine weitere Sprache unsere Mundart.
Anglizismen sind nach dem Zweiten Weltkrieg mit den amerikanischen Kasernen in unseren fränkischen Wortschatz „eingefallen“. Die amerikanischen Wörter wie Cola, O.K., Kombjuuder, usw., sind aber nicht allein geblieben. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die italenische „Bidsa“ und der türkische „Dööhne“ hinzugesellt. Werden noch französische Wörter von unseren älteren Leser im 21. Jahrhundert benutzt? Vielleicht die französische Bezeichnung für das Sofa? Setzt man sich am Abend noch gemütlich auf sein „Kannabee“?