Der Weltenbrand sollte ausbleiben. Kein Wunder bei 7 Grad Celsius und Regenschauern. Doch versucht wurde er immerhin – von 25 Bands an drei Tagen in der Stadthalle. Ragnarök heißt Weltenbrand, Ragnarök heißt in der Korbstadt aber auch ein alljährliches Ereignis.
Niedersachsen, Baden-Würtemberg, Hessen, Thüringen, Hamburg – es gibt kein Bundesland, aus dem kein Auto zu diesem alljährlichen, europaweit bedeutsamen Musik-Festival angereist kam. Pagan-, Folk-, Viking-, Black-Metal – so heißen die Musikrichtungen hier. Es wird der nordischen Mythologie gehuldigt. Ein Nebeneffekt ist an vielen Nummernschildern auf dem Autoparkplatz zu sehen, denn dort taucht die 666 ungewöhnlich häufig auf. Sie gilt in der Zahlenmystik als die „Zahl des Tieres oder des Antichristen“.
666: weniger Satanismus, mehr eine Form von Rebellion und Humor
Vor einem WC steht eine junge Frau, sie heißt Antonia. Ein Foto von sich möchte sie nicht machen lassen, ihr Chef weiß wohl nicht so ganz genau, dass sie hier ist. Aber auf die Sache mit der 666 angesprochen, winkt sie ab. Hinter dem stecke weniger Satanismus als vielmehr eine Form von Rebellion und Humor. Sie selbst habe in ihrem Ort kein 666-Nummernschild mehr bekommen. Also habe sie die Sache umgedreht und eines mit 999 gefordert – und bekommen. „Aber ich stamme aus einem Ort mit der Postleitzahl, in der eine 666 vorkommt, so die Frau aus Waakirchen. Dann wird das WC für sie frei.

Was sind das für Menschen hier, die 4500 düster gekleidet durch den Tag gehen? An einem Auto mit Zeltvordach taucht diese Frage schon darum auf, weil hier zum Start in den Morgen Musik von Karl Dall erklingt. „Heute schütte ich mich zu“, singt der verstorbene Blödelbarde und lässt ein grausliches „Schubidu“ einfließen. Zu diesem Schubidu treten Michael Prügel und Matthias Kornmann hervor und erzählen von sich: „Ich promoviere im Maschinenbau“, erklärt Letzterer. Und Ersterer weist sich als Kalkulator einer Verpackungsfirma aus. „Ich habe auch Riester-Rente und einen Bausparer“, erklärt er und muss schon selbst lächeln. Dann gibt er sich mit seinem Kumpel wieder rebellisch und gestikuliert wie ein Rocker.
Auf Karls Dalls „Heute schütte ich mich zu“ folgt „Böhmischer Traum“
Jetzt aber kommt nicht mehr Karl Dall aus dem Lautsprecher, sondern „Der böhmische Traum“, eine volkstümliche Blasmusik, die mit Rock so viel zu tun hat, wie Batman mit dem Häkeln. „Der böhmische Traum heißt das Stück“, ruft der Kölner Marc Sartory ins Gedächtnis. Er ist da resolut, denn er las es in der Zeitung auch schon mal falsch betitelt. Vor allem aber lacht er selbst.

Dann begegnet man auf dem Parkplatz Lukas Löffler – ein „Bachelor of Science“ im Lebensmittel-Management. Unweit von ihm startet auf dem Parkplatz das österreichische Ehepaar Dominik und Brigitte Lechner in den Tag. Mit freundlichem Gemüt, ruhigem Temperament und Anfang 30. „Es sind so viele Paradiesvögel hier“, erklärt der Mann – ein IT-Security-Mitarbeiter. Seine Frau hat es beruflich auch gut erwischt, ist sie doch im Marketing einer Privatbank tätig. Zusammen haben sie einen Traum. Und er erklärt: „Ich gärtnere schon sehr gerne. Einen Schrebergarten hätte ich gerne, aber das ist zu teuer in Tirol.“
„Man fühlt sich nicht zu alt, hier zu sein. Man sieht hier viele, die mit dieser Musik mit gealtert sind.“
Brigitte Lechner aus Tirol in Österreich (Anfang 30)
Dann greift der junge Mann, der heute in seiner Heimat Bassist in einer Band ist und als Klarinettist einer Blaskapelle in Vintl begann, in eine Tasche, holt eine noch verpackte CD hervor.

Die Band heißt „My dark Fate“. Und wer ist auf der Cover-Rückseite als Sängerin zu sehen? Brigitte! „Mich haben die Bands hier überzeugt“, erklärt die Frau zum Programm und darauf angesprochen, dass sie sich schon in der vierten Lebensdekade befindet, sagt sie:. „Man fühlt sich nicht zu alt, hier zu sein. Man sieht hier viele, die mit dieser Musik mit gealtert sind.“
Black-Metal und intelligente Menschen
Asenblut, Grabeswurm oder Dunkle Umarmung heißen die Bands auf deutsch übersetzt, die in der Stadthalle auftreten. 25 Bands mit viel Logistik, Ausrüstung und dunkel vorgebrachter Sicht zur Welt. Einer derer, die sich hier im Umgriff der Bühne tummeln, ist Andreas „Greimi“ Greim.

Der 46-Jährige trägt dabei seinen unvermeidlichen Wikinger-Helm mit nur einem Horn und gute Laune. Von Beginn an ist er auf diesem Festival zu finden, hilft auch beim Aufbau und hat seine Sicht auf das Publikum: „Bei Black-Metal findest du immer intelligente Menschen, das ist ja ein eigener Stil – der Mainstream ist ja Disco.“ Er ist zum 18. Mal dabei.
Als er das schildert, wummern in der Halle die Bässe, während hinter der Stadthalle genügend Krankenwagen stehen. Bei den Alkohol-Leichen habe sich in diesem Jahr eine Tendenz nach unten ergeben, ist dort zu erfahren. Das läge auch an den Temperaturen, die sich nicht so heiß sind und sich auf den Kreislauf niederschlagen.
Minuten später setzt der Regen wieder ein und wird erst einmal bleiben.
