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LICHTENFELS: Sagenwelt am Obermain: Die „verworfenen“ Kinder

LICHTENFELS

Sagenwelt am Obermain: Die „verworfenen“ Kinder

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    In alter Zeit traf man sich am Obermain im Winter in der Spinnstube und erzählte Gruselgeschichten, auch welche vom Wechselbalg. Ein Wechselbalg ist nach altem Volksglauben ein eingetauschtes Kind, welches der Wöchnerin in einem ungeschützten Augenblick innerhalb der ersten sechs Wochen nach der Geburt in die Wiege gelegt werden kann.

    Ein Wechselkint

    Dieses „gewechselte“, also vertauschte Kind, fränkisch Wechselbutte, ist zumeist der Abkömmling eines Zwerges und wird als Schrei- und Gierhals von abnormer Hässlichkeit beschrieben. Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm von 1852 bezeichnet das Wort Wechselbalg als Scheltwort für Kinder. In unserer Region wurde als Wechselbalg auch ein tollpatschiger Mensch bezeichnet.

    Das bislang früheste fränkische Beispiel einer Wechselbalgsage stammt aus Ahlstadt bei Coburg, veröffentlicht 1843 von Friedrich Mihm. Im 19. Jahrhundert war der Wechselbalg-Glaube am Obermain noch sehr lebendig.

    In den Strafrechnungen des Amtes Lichtenfels steht 1494: „1 lb die Meichßnerin doselbst, darumb sie die Fritzmanyn ein Wechselkint geheysen hat, Frevel.“ Auf Neuhochdeutsch: „Frau Meichsner von Lichtenfels zahlt 1 Pfund Geld zur Frevelstrafe, da sie Frau Fritzmann ein Wechselkind genannt hat.“

    In Theisau war es der Krähbutz

    Joachim Andraschke schreibt: Der Rechnungseintrag kann als ältester Nachweis des Wechselbalgmotivs in Oberfranken angesehen werden und dürfte im deutschsprachigen Raum neben den literarischen Quellen zur ältesten Überlieferung gezählt werden. Das Wechselkind muss auch als ein Schimpfwort im Rechtsbewusstsein seit langem fest verankert gewesen sein. Der Eintrag zeigt ferner, dass die Bezeichnung auch auf weibliche Personen angewendet werden konnte.

    Der Wechselbalg wird von Berichterstattern des 16. Jahrhunderts als Wechselkind oder verworfenes Kind bezeichnet. Regional sprach man auch von Wechselbutte, Butte, Butz und Büttling. Die Herkunft des Wechselbalgs ergibt sich aus dem Sagenmaterial; weitere Bezeichnungen sind das Alpkind, das Zwergkind, das Nixkind, der Wasserbalg, die Hexenbutte und der Teufelsbalg.

    Im Sagenbuch der Kulmbacherin Elise Gleichmann findet sich, auf mündlicher Überlieferung basierend, die Bezeichnung Wechselbutte, der landläufige Begriff für den Wechselbalg. Allerdings gilt in der Region Unterlangenstadt-Theisau noch heute der Begriff Krähbutz für einen unleidigen kleinen Buben, der sich ungehorsam gebärdet. In der heimischen Mundart wurde das Verb „krähen“ für „schrill schreien“ verwendet.

    Gleichmann beschreibt die Wechselbutte: Sie hat einen großen Kopf, ein karpfengleiches Maul, eine Hundsnase, Ganzkörperbehaarung und ein Schwänzchen am Steiß. Andernorts wird erwähnt, die Wechselbutte halte sich gern am Teich auf, habe ein Maul wie ein Frosch und Glotzaugen wie ein Schellfisch. In einer weiteren Erzählung wird ein Wechselbalg aus einer Wiege von einem grauen Männla zurückgeholt. Diese Beispiele weisen auf die Herkunft des Wechselbalgs aus dem Reich der Zwerge und Wassergeister hin.

    Mit der Kropfbildung zu tun?

    Im Heft Nr. 15 - 2013 der Deutschen Apotheker Zeitung gibt es eine weitere Interpretation: Der Frankfurter Kinderarzt Wilhelm Theopold (1915 – 2009) deutete dieses Schicksal als einen Fall von Kretinismus (Schilddrüsenhormonmangel), den er so beschrieb: Das Leiden beginnt fast unmerklich. In den ersten Tagen erscheint das Kind gesund und wohlgebildet. Aber dann fällt auf, dass seine Stimme einen anderen Klang bekommt, sie wird rau und heiser. Besorgt sieht die Mutter, wie unter dem struppig gewordenen Haar sich die kindliche Stirn in tiefe Falten legt, einem Greisenantlitz ähnlich, und dass die Gesichtszüge stumpf und grob werden. Das ist nicht mehr das Kind, das man der Mutter nach der Geburt in die Arme legte. Es ist ein greisenhaftes, hässliches Geschöpf, und jeder, der es sieht, sagt: Es ist ein Wechselbalg. Dass ein Säugling sich in kurzer Zeit dermaßen verändert, konnten viele Leute sich früher nicht erklären. Sie glaubten, dass er „verwechselt“ wurde. Dieser Aberglaube war vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert weit verbreitet und selbst Martin Luther empfahl, Wechselbälge zu töten.

    Weitere Quelle: Aufsatz „Weil sie die Fritzmann ein Wechselkind geheißen“ von Joachim Andraschke.

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