Videotheken sind out. Mit Video-Schorn ging im Landkreis gar eine Videotheken-Ära zu Ende. Aus, vergessen, vorbei? Unsere Zeitung fragt nach und bekommt Erstaunliches zu hören. Vom Erblühen und Verblühen einer einstigen Innovation.
Heruntergekommen. Nicht im übertragenen Sinne des Wortes, sondern im direkten. Denn 20 Jahre lang befand sich Video-Schorn in einem oberen Stockwerk der Adresse Bamberger Straße 50. Im November gingen die letzten DVDs aber im Parterre über den Tresen. Dann war Schluss. Nach 33 Jahren. Jetzt herrscht hier Ruhe. Die einzigen vernehmlichen Geräusche tönen vom Vorüberfahren der Autos herein.

Ein paar Werkzeuge liegen hier herum und hie und da hängen noch Filmplakate in den Fenstern. In Bälde wird hier eine Bäckerei samt Cafe eröffnen. Es gibt definitiv kein Zurück mehr. Wenige Meter von der Tür entfernt kramt sich Jürgen Schorn einen Sitzplatz hervor.
Erinnerung an das Jahr 1987

Ein paar Stühle stehen hier unter Hölzern und Werkzeugen begraben und einen solchen stellt er auch seiner Tochter Emely (15) parat. Der 41-jährige Kümmersreuther wirkt wie von ruhigem Naturell und beginnt sich zu erinnern. Daran, dass es das Jahr 1987 war, in dem sein Vater Edmund eine Videothek eröffnete und an Szenen seiner Kindheit. „Wir waren nicht die erste Videothek in Lichtenfels. In Oberwallenstadt und in der Stadtmitte gab es welche. Da waren wir Kunde und mit meiner Mutter habe ich die Filme geholt.“
Wie er das sagt, bleibt seine Stimme freundlich neutral. Schorns haben noch mehr Geschäftsfelder und unter ihnen sind die einer Bowlingbahn oder ein Indoor-Spielplatz. Außerdem handelt es sich bei Schorns auch um einen Lohnunternehmer der Landwirtschaft.
Aber dieser Sommer 1986, der war entscheidend. Er war verregnet, und es gab wenig für den Mähdrescher zu tun. So begleitete sein Vater ihn und seine Mutter eben mal zu einer Videothek. Wie er die Gelder gesehen habe, die dort über den Tisch gingen, sei ihm dort der zündende Gedanke gekommen. Den mochte er nicht für sich behalten, sondern wollte davon erzählen. Bei dem nun folgenden Satz wirft Schorn den Kopf leicht in den Nacken und lächelt: „Wie er in Kümmersreuth im Wirtshaus davon erzählte, haben ihn dort alle ausgelacht. Es kommt bald Kabel, haben sie gesagt.“ Geunkt wäre wohl treffender.
10 000 Kunden in der Kartei

Jürgen Schorn denkt nach und streut dabei zweimal ein „Hm“ ein. „Die Gesamtzahl der Kunden lag mal bei 10 000“, ist er sich allein für die Lichtenfelser Videothek sicher, denn „die Burgkunstadter Videothek war extra“. Freilich waren es nicht nur Lichtenfelser, die Kunden waren. Es kamen Leute auch aus Bad Staffelstein oder aus dem Coburger Grenzland. „Die Autobahn nach Coburg hat uns auch noch Kunden gebracht.“ Und dann flossen ja auch noch die „Karteileichen“ in die Statistik ein.
Kurz und gut: „Man habe ein gutes Geld verdient.“ Wie Schorn von alledem erzählt, betreibt er so etwas wie Geschichtsunterricht, wenngleich dieser von ihm auch aus dem Blickwinkel einer Branche erzählt wird.
„Wie wir 1990 eine Videothek in Ilmenau eröffnet haben, da waren die Leute bis auf die Straße Schlange gestanden“, erklärt er das Konsumnachhol- bzw. Konsumerstbedürfnis der Menschen aus der ehemaligen DDR. Damals hieß das Filmformat noch VHS-Kassette. Doch wer hatte im thüringischen Illmenau 1990 ein dazugehöriges Abspielgerät? „60, 70 VHS-Recorder haben wir zum Verleih gehabt.“
Ilmenau aber war nicht nur bei Beginn der Schorn'schen Videotheken erwähnenswert, es war es auch zum Ende. Dass die letzte Runde auf diesem Geschäftsfeld eingeläutet wurde, habe man von genau dort klingeln hören. „Ilmenau ist eine Studentenstadt und da die Zielgruppe ja in jungen Menschen bestand, konnte man dort schon sehen, dass das Internet Verleih-Filme verdrängt.“ Das Unken aus dem Wirtshaus von 1986 sollte jetzt eine Bewahrheitung finden, denn junge Menschen sind im Internet daheim, schauen Filme auf Netflix oder sonst wo. Filme in Haptik hingegen liegen bei jungen Menschen nicht mehr im Trend.
Filmwelt auf 360 Quadratmeter
360 Quadratmeter Fläche hatte die Videothek in Lichtenfels. Jetzt sind die Räume an eine Steuerberatungsgesellschaft vermietet, das Haus gehört Schorns. Die Stellwände, die einst tausende von Filmhüllen beherbergten, sind ausgeräumt. Großflächige Sperrholzplatten sind es, die vielleicht anderweitig Verwendung finden werden.
Bei einer findet sich ein rotes Schild aus vergangenen Tagen: Kinder- und Familienfilme steht schwarz auf rot auf ihm zu lesen. Doch wie kam eine Videothek überhaupt an all die Filme heran?
„Wir waren bei einer Einkaufsgemeinschaft und früher gab es Bestellungen, die man abnehmen musste. Die großen Renner seien laut Statistik Spiel- und Familienfilme gewesen. Filme wie „Nachts im Museum“ oder „Jumanji“, na eben die Filme, die man schaut, wenn man Kinder hat. Aber es gab auch diese anderen Filme, die, welche Horror oder Erotik in die Wohnstuben brachten.
Was Letzteres anbelangte, so spricht Schorn durchaus freimütig über das Kapitel Pornografie. Zu den Angestellten habe er immer gesagt, sie mögen diesbezüglich diskret sein und nicht darüber reden, welcher Lichtenfelser (oder Burgkunstadter oder Ilmenauer) etwas diesbezüglich entliehen hatte. „Da kamen auch Frauen, die wollten sich die Kundenkarte von ihren Männern ansehen.“ Aber auch darauf sei man nicht eingegangen. Die Polizei, so erklärt der Kümmersreuther, habe dann und wann sogar Testkunden für Horror- oder Pornofilme geschickt, die jünger als 18 Jahre waren.
Oder sie habe nachgeprüft, ob Filme verliehen würden, die auf dem Index standen. Doch diesbezüglich habe es keine Beanstandungen gegeben. Dafür aber gab es eigenwillige Kunden. Solche, die sich am Freitag einen Film ausgeliehen haben, diesen am Samstag einem Freund weiter verliehen und der dasselbe am Sonntag tat. Und am Abgabetermin Montag wusste keiner mehr, wo der Film nun letztlich abgeblieben ist.
Der Osten, Lack und Leder
Solche Kunden gab es am Obermain genauso wie in Ilmenau. Aber einen Unterschied zwischen hier und dort habe es laut Schorn doch gegeben: „Die Ilmenauer wollten mehr so Filme mit Lack und Leder.“
Einmal, so berichtet Schorn von einer Kuriosität, sei Video Schorn das Zünglein an der Waage für jemanden gewesen, der eigentlich hätte vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen werden sollen. Sofern er sich nichts mehr hätte zu Schulden kommen lassen. Aber weil er seine Videos nicht abgab und auch auf all die Anschreiben und versuchten Kontaktaufnahmen nicht reagierte bzw. reagieren konnte, sei ihm eben eine Anzeige von Schorn zugegangen und die habe das Gericht dazu bewogen, von einer Haftentlassung etwas Abstand zu nehmen.
Manche Leute habe man aber „auch wirklich 1000 Mal anschreiben müssen“. Er selbst jedenfalls, das kann Jürgen Schorn über sich sagen, sei kein Filmkenner geworden, auch wenn der Name Schorn für Film steht. Dass die Ära der DVD und Bluray zumindest im Verleih vorüber ist, damit habe man sich abgefunden.
Der zweite Lockdown brachte das aus
Zwar habe man gehofft, dass man noch zwei, drei Jahre lang dieses Geschäft hätte betreiben können, doch als sich der zweite Lockdown samt Folgen abzuzeichnen begann, kam man mit sich überein, dass im November Schluss sein sollte.
Schorn erweckt nicht den Eindruck, als ob er der Vergangenheit nachtrauert. Vorbei ist vorbei und in ganz Deutschland gebe es keine 100 Videotheken mehr. Man müsse nach vorne schauen und der DVD-Verleih habe sich eben überlebt. Eine Erfahrung habe ihm das deutlich vor Augen geführt: „Teenager haben heute oft keine Ahnung mehr, wie ein DVD-Player funktioniert.“